Kiel. FDP: Grüne verletzen Geschäftsgrundlage. Nach Krisentreffen neuer Anlauf. Was CDU, Grüne und FDP noch trennt.

Die am Donnerstag kurz vor dem Abbruch stehenden Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis in Schleswig-Holstein sollen nun doch vorerst fortgesetzt werden. Das ist das Ergebnis eines Krisentreffens. Alle drei Parteien hätten den festen Willen, sich zu einigen, sagte der CDU-Landeschef Daniel Günther am Abend in Kiel.

Gestern, am Donnerstag, hatte es allerdings mehrmals nicht danach ausgesehen. Von einem möglichen Scheitern war die Rede. Entzündet hatte sich der Streit unter anderem an unterschiedlichen Vorstellungen von FDP und Grünen zum Umgang mit der A 20 und der Fehmarnbeltquerung. Wie eine Kompromissformel aussehen könnte, blieb gestern unklar. Heute sollen die Gespräche fortgesetzt werden.

Heftigkeit des Konflikts überrascht

Die Jamaika-Konstellation aus CDU, FDP und Grünen, Folge der Landtagswahl vom 7. Mai, galt von Vornherein als schwierig. Dennoch überrascht nun die Heftigkeit des Konflikts. Denn zunächst war bei den Koalitionsgesprächen alles in geordneten Bahnen verlaufen. Die Fachgruppen, die die Detailarbeit leisten sollten, waren angeblich auf einem guten Weg.

Daniel Günther, designierter Ministerpräsident, zeigte sich „begeistert“ von Niveau und Klima der Gespräche. Das Jamaika-Barometer stieg. Am Dienstag legte die Fachgruppe Verkehr und Wirtschaft ein 22-seitiges Papier zu den gemeinsamen Zielen in diesen Politikbereichen vor. Froh gestimmt trafen sich die Koalitionäre abends zu einem Grillfest im Haus B, dem Altbau neben dem Landeshaus, der wegen seiner zur Förde gelegenen Terrasse für solche Zwecke besonders geeignet ist. Die CDU hatte eingeladen. Sie wollte den langen Verhandlungsrunden einen Moment der gemeinsamen Entspannung entgegensetzen.

Am Morgen des Mittwoch war es vorbei mit der Entspannung. Die Chefunterhändler der Grünen, allen voran Monika Heinold, stellten fest, dass einige Ausgaben im Verkehrsetat nicht zu finanzieren seien. Und je intensiver sie sich mit dem Papier beschäftigten, umso größer wurden die Bedenken. Heinold, alte und neue Finanzministerin, bat um 10 Uhr um eine Verschiebung der großen Koalitionsrunde, die eigentlich um 11 Uhr beginnen sollte.

So schildert es jedenfalls Wolfgang Kubicki, der FDP-Fraktionsvorsitzende. Wenig später seien dann Heinold und der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) ins Verhandlungszimmer gekommen und hätten ein in 50 Punkten geändertes Papier vorgelegt. „Ein Drittel des Textes sollte überarbeitet werden“, so Kubicki.

FDP: Grüne verletzen Geschäftsgrundlage

Das aber wollten die Liberalen nicht so ohne Weiteres mitmachen. Kubicki empört sich insbesondere darüber, dass die Grünen behaupten, es seien lediglich redaktionelle Änderungen gewesen – also sprachliche Überarbeitungen ohne inhaltliches Gewicht. „Das ist eine Unverschämtheit, es ging um substanzielle Dinge“, sagt Kubicki.

Aus Sicht der FDP hatten die Grünen mit diesem Ansinnen die Geschäftsgrundlage verletzt. „Am Anfang von Koalitionsverhandlungen gibt man sich Regeln, an die sich alle zu halten haben“, so Kubicki. „Zu den Regeln gehört, dass in der großen Koalitionsrunde nur noch die Dinge diskutiert werden, die in den Fachgruppen strittig gewesen sind.“ In der Fachgruppe Verkehr und Wirtschaft sei aber nichts strittig gewesen. „Das war ein in allen Punkten geeintes Papier“, sagt der FDP-Fraktionschef.

Tag der Besinnung

Zudem sei die Fachgruppe von Seiten der Grünen prominent besetzt gewesen – mit der Landesvorsitzenden Ruth Kastner, der Bundestagsabgeordneten Valerie Wilms sowie den Landtagsabgeordneten Andreas Tietze und Bernd Voß. Trotz aller Verärgerung setzten sich die FDP-Unterhändler am Mittwoch zusammen und nahmen sich die Textkorrekturen der Grünen vor. „Mit 13 der 50 Änderungswünsche waren wir einverstanden, die anderen waren untragbar“, sagt Kubicki. Nachmittags trafen die Koalitionäre wieder. „Da sind wir dann mächtig aneinandergeraten“, so der Fraktionschef. „Für uns war da eigentlich schon Schluss.“

Aber Daniel Günther, Verhandlungschef des größten Koalitionspartners CDU, schaffte es, die Streithähne zu beruhigen. Am Ende einigte man sich auf eine Auszeit, eine „Entschleunigung“, wie es Monika Heinold formulierte: Der Donnerstag sollte ein Tag der Besinnung werden, am Freitag wollte man dann die Frage klären, ob und wie weiterverhandelt wird.

Parteiaustrittsankündigungen bei Grünen

Doch der Donnerstag wurde kein Tag der Besinnung. Kubicki verkündete via Nachrichtenagentur, die Wahrscheinlichkeit für eine Jamaika-Koalition liege bei nicht einmal 20 Prozent. „Wir werden nicht in ein Bündnis einwilligen, das die Verkehrspolitik der Vorgängerkoalition fortsetzt“, sagte er dem Abendblatt. Die FDP, die mit Bernd Buchholz den Wirtschafts- und Verkehrsminister stellen möchte, will mehr Geld für die Autobahnplanung ausgeben, um den Bau der A 20 und der Hinterlandanbindung für den Fehmarnbelttunnel voranzutreiben.

Die Grünen sind Gegner beider Projekte. In einem abends versandten offenen Brief der Fehmaraner Grünen Christiane Stodt-Kirchholtes heißt es: „Wir bekommen Parteiaustrittsankündigungen und müssen wütende Anfragen beantworten. Weil die Menschen befürchten, von uns Grünen verraten zu werden.“

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