Hamburg. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck über das Verhältnis zu Hamburg und wie man grüne Politik machen sollte.
Spätestens seit er bei der Urwahl der Spitzenkandidaten der Grünen als Außenseiter nur denkbar knapp an Cem Özdemir gescheitert ist, gilt Robert Habeck als Hoffnungsträger der Partei. Das Abendblatt sprach mit dem schleswig-holsteinischen Umweltminister über die anstehende Landtagswahl, Schulz-Effekt und grünen Realismus.
Alle sprechen vom Schulz-Effekt, der die SPD in Umfragen hochzieht und andere Parteien, auch die Grünen, runterzieht. Nur die Grünen in Schleswig-Holstein nicht. Warum?
Robert Habeck: Es ist uns offensichtlich gelungen, dass viele Menschen, die von Meinungsforschern angerufen werden, an unsere Arbeit der letzten fünf Jahre denken. Und die war gut. Unser Zuspruch ist also hart erarbeitet, motivierend und eine echte politische Leistung. Als ich 2004 Landesvorsitzender wurde, hieß es immer: Wenn wir gut sind, liegen wir in Umfragen zwei Prozentpunkte hinter den Grünen im Bund. Jetzt liegen wir sieben Prozentpunkte vor dem Bund – das ist schon mal eine Ansage. Aber der Wahlkampf beginnt erst. Wir werden uns anstrengen, weiter unseren Kurs zu fahren.
Wodurch ist das gelungen? Die Grünen waren ausgerechnet im grünen Schleswig-Holstein traditionell immer schwach.
Habeck: Schleswig-Holstein ist traditionell ein Bauern- und Bundeswehrland. Wir haben wenig Universitätsstädte, die Leute waren lange konservativ. Schleswig-Holstein ist kein geborenes grünes Stammland wie Hamburg, Berlin, Bremen oder Baden-Württemberg.
Und wie kam nun die Wende?
Habeck: Wir machen nicht nur Politik für das grüne Milieu, sondern für das Land und die Menschen. Zwar entlang unserer Ideen, aber nicht mit dem Gedanken: Wir sind eine kleine Gruppe, zufälligerweise sind wir an der Macht und haben die Wahrheit gepachtet, und alle anderen halten jetzt mal fünf Jahre die Klappe. Sondern im Gegenteil: Wir müssen schwierigste Prozesse moderieren. Das geht nur, wenn man auch mal den Blick der Betroffenen einnimmt. Eine Politik ohne Machtallüren. Das ist Ansage, die uns jetzt die Kraft gibt, eine eigene Geschichte durchzuhalten.
Also mehr Kompromisse und weniger Ideologie?
Habeck: Für mich ist das – gerade nach fast fünf Jahren im Ministeramt – kein Widerspruch mehr. Kompromisse sind für mich der Motor für Idealismus und Visionen. Also Lob des Kompromisses, aber deswegen gehen wir nicht im Lauwarmen unter, sondern daraus gewinnen wir Kraft für die nächsten Schritte.
Was heißt das konkret?
Habeck: Die Energiewende und die Agrardebatte bedeuten die härtesten Konflikte zwischen Umwelt- und Naturschutz, den Grünen und der Landwirtschaft. Es ist aber trotzdem an sehr vielen Stellen gelungen, die Gegensätze zu versöhnen und Wege zu finden. Ich würde sagen: Gebt uns noch ein paar Jahre mehr Zeit, dann werden wir fantastische Dinge zwischen einem grün geführten Umweltministerium und dem Bauernverband hinbekommen. Wir müssen nur noch diese Rituale überwinden: Immer wenn die Kameras angehen, gibt es auf die Mütze. Dabei haben wir schon beachtliche Fortschritte auch im gegenseitigen Verständnis erzielt.
Und nun einmal ganz konkret?
Habeck: Ein Thema, das mich als Kind von der Küste emotional stark beschäftigt hat, ist der Konflikt zwischen Schweinswalschutz und Fischerei. Die Schweinswale ertrinken in den Stellnetzen der Dorschfischer. Die Dorschfischer, von denen wir nicht mehr sehr viele haben, sind raue Gesellen, aber keiner ist steinreich. Wenn die mir erklären, dass Nullnutzungsgebiete für sie existenzgefährdend sind, dann weiß ich, dass sie mich nicht belügen. Deshalb sind wir von dem ursprünglichen Plan, Sperrgebiete anzuordnen, abgerückt. Jetzt gibt es einen Kompromiss: Die Fischer reduzieren die Netzlängen, wenn die Schweinswale kalben. Kürzere Netze bedeuten weniger verendete Schweinswale. Vier Jahre nach dem Kompromiss ist das Vertrauen so weit, dass die Fischer uns die Schweinswale zur Untersuchung abliefern, wenn sich einer verfangen hat. Früher hat sich das keiner getraut, aus Angst, an den Pranger gestellt zu werden.
Kennen Sie Bauern, die Grün wählen?
Habeck: Logo. Und nicht nur Ökobauern ...
Liegt die Kernklientel der Grünen vor allem im Hamburger Umland?
Habeck: Ja, das bleibt für uns ein zentraler Raum. Trotzdem meine ich, dass wir unser klassisches Wählermilieu über den nach ’68 sozialisierten Lehrer hinaus erweitert haben. Der Hamburger Rand, der städtische Raum, ist für uns wichtig. Aber wie für alle Parteien in Schleswig-Holstein ist es schwierig, weil sich die Menschen nach Hamburg orientieren. Sie gehen in Hamburg ins Kino und ärgern sich über die Verkehrsstaus hier. Die Herausforderung liegt darin, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass die Entscheidungen in Kiel mit ihrem Leben zu tun haben. Da machen uns die Ländergrenzen zu schaffen.
Profitieren Sie eigentlich von den Hamburger Grünen?
Habeck: Selbstbewusst würde ich sagen, es ist umgekehrt. Wir haben mal gedacht, dass die Stärke der Hamburger Grünen eine wichtige Stütze ist. Jetzt können wir vielleicht Grünen auch außerhalb Schleswig-Holsteins helfen.
Hat sich das Verhältnis zwischen den Regierungen der beiden Länder in den vergangenen fünf Jahren verbessert oder verschlechtert?
Habeck: Deutlich verbessert. Es gab zu Beginn der Koalition von SPD, Grünen und SSW in Schleswig-Holstein viel Rangeleien zwischen beiden Ländern: der Streit um die Windenergie-Messe oder die Hafenschlick-Problematik. Jetzt gibt es die Kooperation im Bereich der erneuerbaren Energie, ein neues Gastschulabkommen – und große Infrastrukturprojekte wie der A-7-Ausbau oder die Verlängerung der S-Bahn nach Ahrensburg werden gemeinsam geplant und konzipiert.
Gibt es gar keine Probleme?
Habeck: Auf meiner Agenda steht noch die Wärmeversorgung. Das Kohlekraftwerk Wedel passt nicht in eine Energiepolitik, die Klimaschutz ermöglicht. Das weiß Jens Kerstan auch, der Schlüssel, um das Kohlekraftwerk zu ersetzen, liegt in Hamburg.
Warum läuft es jetzt besser?
Habeck: Es gibt die gemeinsame Erkenntnis, dass nichts besser wird, wenn man sich in Kleinstaaterei begibt. Man muss Probleme lösen und nicht rechthaberisch agieren. Ein Beispiel: Der Umzug der Windenergie-Messe von Husum nach Hamburg hat mir echt wehgetan. Ich komme als Flensburger ja von da oben. Aber für die Stabilität letztlich sogar der Husum-Messe ist das eine gute Lösung.
Wieso ist diese Einsicht der Regierenden plötzlich eingekehrt?
Habeck: Es ist doch im Grunde trivial: Hamburg und Schleswig-Holstein brauchen einander. Anders gesagt: Was wäre Dänemark ohne Kopenhagen? Und ein Stadtstaat ist ohne sein Umland auch nicht besonders viel. Denken Sie nur an die Pendler. Außerdem sind 50 Prozent der Schleswig-Holsteiner HSV-Fans. Die Ländergrenzen sind historischer Zufall und eigentlich eine Dämlichkeit.
Haben wir nicht in Wahrheit eine Art Nordstaat längst verwirklicht, ohne es so zu nennen?
Habeck: Wir sind faktisch auf dem Weg dahin. Aber ohne formale Akte. Denn wenn man versucht, Länder zusammenzulegen, dann rührt das an den Kern dieser manchmal etwas bockbeinigen Lokalmentalität. Also können wir uns das schenken.
Es fehlten nur 75 Stimmen bei der Urwahl der Grünen, und Sie wären Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl geworden. Hadern Sie mit Ihrem Schicksal?
Habeck: Ich habe versucht zu gewinnen, um Verantwortung für den Gesamtladen zu übernehmen. Klar, ich musste mich zweimal schütteln. Das ist geschehen. Es ist jetzt kein Phantomschmerz übrig geblieben.
Aber jetzt sechs, sieben Prozent für die Grünen im Bund – das macht Ihnen schon Angst, oder?
Habeck: Die Umfragewerte sind schlecht und wir unterbewertet. Politik ist doch einfach: Wenn du in der Defensive bist, musst du in die Offensive kommen. Etwas Drittes gibt es doch nicht. Das steht jetzt an. Wir müssen ein Momentum schaffen.
Hätte es mit Ihnen in Ihrer Partei so etwas wie einen Schulz-Effekt geben können?
Habeck: Keine Ahnung. Das ist alles Spekulation. Cem (Özdemir, die Red.) und Katrin (Göring-Eckardt, die Red.) haben das Mandat und meine volle Solidarität.
Sie sind ja ohne Netz und doppelten Boden angetreten, ohne eine Absicherung auf der Landesliste für die Schleswig-Holstein-Wahl am 7. Mai etwa. Wenn die Grünen der nächsten Landesregierung nicht mehr angehören, wären Sie arbeitslos.
Habeck: Und Martin Schulz will das Arbeitslosengeld I verlängern. Das ist doch eine gute Nachricht für mich.
Sind Sie ein Spieler?
Habeck: Spieler im Sinne von pokern oder zocken macht es zu klein. Mir geht es darum, Dinge klar zu entscheiden, auch, damit andere wissen, woran sie sind. Das verlangt die Fairness. Daher die klare Entscheidung für die Urwahl. Nun ist es knapp schiefgegangen, aber die Partei hat mir das erste Netz gespannt. Ich hätte ja auch mit fünf Prozent untergehen können. Dann hätte ich nicht auf dem Landesparteitag das Angebot bekommen können, noch einmal Minister zu werden.
Was gibt Ihnen die Unabhängigkeit?
Habeck: Im Moment ist Politik mein Beruf, ich verdiene ja mein Geld mit Politik, widme ihr all meine Zeit. Aber es ist für mich auch Berufung. Was mich antreibt, ist eigentlich etwas Altmodisches: Staatsdiener zu sein, also meine Kraft und Arbeit für die Gesellschaft zu geben. Das klingt schwülstig, aber darum geht es. Dazu gehört: Es ist ein Amt auf Zeit. Ich gebe mein Bestes, und wenn die Wähler etwas anderes wollen, dann ist das eben so.
Vielen gelten die Grünen ja als Verbotepartei. Sie vertreten da einen anderen Ansatz, sprechen von Optimismus und sagen Ja zu Fortschritt und Moderne. Sind Sie damit ein Außenseiter in Ihrer Partei?
Habeck: Das glaube ich nicht. Die Grünen sind als Protestpartei gestartet und mussten eine Art Wahrheitsanspruch für sich reklamieren. Aus diesem Zustand sind wir herausgewachsen. Unsere Rolle liegt nicht mehr im Dagegen, sondern im Dafür. So sehen das viele, mit denen ich jetzt zu tun habe, bis hin zu Winfried Kretschmann. Und ich habe es während meiner Tour durch die Kreisverbände quer in der Republik gemerkt: Die Grünen brennen für die Gesellschaft.
Was machen Sie, wenn die Grünen der nächsten Kieler Regierung nicht mehr angehören?
Habeck: Ich habe keinen Plan B, aber das Abc hat ja mehr als zwei Buchstaben. Soll heißen: Ich habe 23 andere Pläne und keiner ist privilegiert.
Gibt es etwas, was Sie persönlich vermissen würden? Die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis hat nach ihrem Ausstieg gesagt: Ich vermisse die Kameras und ich vermisse, dass die Leute mich erkennen.
Habeck: Natürlich gehört als eine Einstellungsvoraussetzung eine gewisse Grundeitelkeit zur Politik. Man muss schon reden und überzeugen wollen. Aber für mich wäre das Versprechen, mal wieder anonym zu sein und nicht vor der Kamera zu stehen, eher ein gutes. Die Privilegien des Amtes – Dienstwagen, als Minister angesprochen zu werden – bedeuten mir nichts. Was mir etwas bedeutet, ist der Amtseid. Ich habe mich damit auf eine andere Stufe der Verpflichtung begeben. Das möchte ich ungern verlieren, weil es so sinnstiftend ist. Ich tue derzeit exakt das, woran ich glaube.