Kiel/Berlin. Der Umweltminister unterliegt bei der Urwahl zum Spitzenkandidaten. Robert Habecks Perspektiven bergen Zündstoff für die Grünen.
Er ist einer der beliebtesten Politiker in Schleswig-Holstein – und der Überraschungsverlierer der grünen Urwahl: Robert Habeck, Umweltminister in Kiel, hätte Cem Özdemir beinahe die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl geklaut. Nur 75 Stimmen fehlten dem „Underdog“ Habeck am Ende zum Sieg gegen das grüne Partei-Establishment, als dessen Vertreter man den Bundesvorsitzenden Özdemir getrost bezeichnen kann. Ein überragendes Ergebnis für den vor der Wahl im Bund weithin unbekannten Flensburger.
Kein Wunder also, dass unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses in Schleswig-Holstein ein heftiges Werben um diesen Überraschungsverlierer einsetzte. Im Norden wird am 7. Mai ein neuer Landtag gewählt, laut Umfragen hat die regierende Koalition aus SPD, Grünen und SSW derzeit keine Mehrheit. Habeck wird also gebraucht.
Habeck ist sehr beliebt
„Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich mich sehr freuen würde, gemeinsam mit ihm weiter für unser Land erfolgreich rot-grün-blaue Politik zu machen“, ließ Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) schon knapp anderthalb Stunden nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses verlauten. „Dazu gibt es jetzt die Chance – wenn er es denn möchte –, und das freut mich sehr. Willkommen zurück, Robert!“
Die Landes-Grünen sehen das genauso. „Wir wünschen uns, dass er jetzt mit uns hier Wahlkampf macht“, sagte die Landesvorsitzende Ruth Kastner. „Und wenn wir die Wahl gewinnen sollten, dann sollte er wieder Minister werden. Robert Habeck ist der beliebteste Politiker in Schleswig-Holstein.“ Im Dezember hatte dies in der Tat eine NDR-Umfrage ergeben.
Verzicht auf Kandidatur bei Landtagswahl
Dass Habeck in Schleswig-Holstein gut ankommt, war schon seit Längerem bekannt. Aber der 47-jährige Vater von vier Kindern, seit 2012 Minister in Kiel, wollte mehr. Mit seiner überraschenden Bewerbung für die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl hatte er im vergangenen Jahr bei den Grünen im Norden für erhebliche Unruhe gesorgt. Denn Habeck setzte alles auf eine Karte. Er schrieb ein Buch zur Kandidatur mit dem süffigen Titel „Wer wagt, beginnt“.
Er verzichtete auf eine Kandidatur bei der Landtagswahl – und er verlangte ziemlich unverblümt, dass die Partei ihm einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl verschaffen möge. Für grüne Männer gibt es in Schleswig-Holstein allerdings nur einen sicheren Platz: den zweiten auf der Liste. Die Plätze eins und drei sind Frauen vorbehalten, Platz vier auf der Liste würde nur bei einem außerordentlich guten Wahlergebnis in den Bundestag führen.
Habeck verdrängte – und verärgerte – mit seinem Ansinnen den schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten und Parteifreund Konstantin von Notz. Der Möllner hat sich in Berlin als Innenpolitiker einen guten Ruf erarbeitet. Warum sollte er hinter Habeck zurückstehen? Warum sollte er auf seine Karriere verzichten, um Habecks zu ermöglichen?
Am Ende stand ein Arrangement: Habeck sagte von Notz zu, für den Fall einer Niederlage bei der Urwahl nicht für den zweiten Platz zu kandidieren. Dieser Fall ist nun eingetreten. Deshalb steht Habeck nun trotz des außerordentlich guten Ergebnisses bei der Wahl derzeit ohne politische Perspektive da. Sein Landtagsmandat wird er mit der Wahl am 7. Mai verlieren, ein Bundestagsmandat wird er nicht bekommen.
„Kraft Prozent Schleswig-Holstein widmen“
Minister könnte er im Falle einer neuerlichen Regierungsbeteiligung der Grünen dennoch weiterhin bleiben. Habeck hatte auch nie ausgeschlossen, da weiterzumachen, wo er aufgehört hätte, wenn er Urwahlsieger geworden wäre. Im Abendblatt-Interview hatte er im August auf die Frage nach seiner Zukunft gesagt: „Wenn ich nicht Spitzenkandidat werde, ist meine Zukunft offen. Stand heute würde ich wahrscheinlich nach einer kurzen Phase des Berappelns schauen, wo ich mich weiter engagieren kann.“
Nach einer sehr kurzen Phase des Berappelns schien er diesen Ort des Engagements schon am gestrigen Nachmittag gefunden zu haben. Es ist – nicht sehr überraschend – Schleswig-Holstein. „Ich werde jetzt meine Kraft zu 120 Prozent Schleswig-Holstein widmen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Überraschungsverlierers. „Cem und Katrin und dem Bundesverband stehe ich natürlich auch zur Verfügung, wenn ich im Bundestagswahlkampf helfen kann.“
Offensive hatte erst einmal Pause
Die klitzekleine Restunklarheit, die auch in diesem Statement steckt, entspricht durchaus Habecks Naturell. Wie heißt es doch in seinem Buch? „Es mag gute Gründe für den Status quo geben, es nicht zu wagen, nichts zu riskieren. Aber die Argumente für die Offensive sind besser.“ Es ist sicherlich nicht verkehrt, das Ministeramt in Kiel als Status quo zu interpretieren.
Gestern hatte die Offensive erst einmal Pause. Habeck konnte sich ganz aufs Einsammeln zahlreicher Glückwünsche konzentrieren. Die kamen auch vom politischen Gegner. Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag, sagte: „Wir gratulieren Robert Habeck zu diesem guten Ergebnis. Wir bedauern, dass die Chance verpasst wurde, dass Schleswig-Holstein auch in der grünen Bundespartei mit einer wahrnehmbaren Persönlichkeit an vorderster Front vertreten ist.“ Daniel Günther, CDU-Fraktionschef, fand: „Habeck hat seine Partei als Einziger wirklich herausgefordert und klar gesagt, was er verändern will.“
Und Monika Heinold, Finanzministerin und designierte Spitzenkandidatin der Grünen, jubelte: „Robert, wir sind stolz auf dich! Du hast Spannung und Schwung in die Urwahl gebracht!“ Um sicherheitshalber noch einmal hinterherzuschieben: „Ich finde es super, wenn Robert Habeck unser Wahlkampfteam unterstützen würde.“