Hannover. Die Regionalsprache hatte jahrelang ein Folklore-Image. Nun wird sie von der jungen Generation entdeckt.

„Wir haben jetzt Sport, du musst Platt sprechen!“ Wenn Lehrerin Nele Ohlsen in der Turnstunde aus Versehen ins Hochdeutsche verfällt, protestieren ihre Schüler lautstark. Denn sie lieben den zweisprachigen Unterricht an der Kirsten-Boie-Grundschule in Wallhöfen im Kreis Osterholz.

Die Schule ist eine von 23 „Plattdüütschen Scholen“ in Niedersachsen. Die Sprache erlebt derzeit einen Aufschwung und hält Einzug in immer mehr Klassenzimmer.„Über Jahrzehnte war das Plattdeutsche nicht gut angesehen, galt als Bildungshemmnis“, sagt Reinhard Goltz, der Leiter des von der Schließung bedrohten Instituts für Niederdeutsche Sprache in Bremen.

Sprache der armen Leute?

„Früher hieß es immer: Platt ist die Sprache der Bauern und der armen Leute und niemand wusste, was dahinter steckt.“ Doch das volkstümliche Image habe sich gewandelt. „Seit rund zehn Jahren ist Platt ein Kulturgut und lebendiger Teil der Alltagskultur von heute“, sagt Goltz.An der Kirsten-Boie-Grundschule ist Niederdeutsch ein fester Lehr-Bestandteil. Vermittelt wird die Sprache den Kindern im Plattdeutschunterricht.

Zum anderen werden aber auch ganze Fächer „op platt“ abgehalten. In Wallhöfen ist es Sport. „Plattdeutsch ist teilweise sehr fern von den Kindern, für manche ist es wirklich eine Fremdsprache“, sagt Lehrerin Ohlsen. Dennoch: Der zweisprachige Unterricht gefällt. „Die finden das einfach nur toll.“ Zudem sei Platt die Brücke zum Englischen.„Plattdeutsch ist nicht alt und verstaubt. Platt ist eine freche, eine moderne Sprache“, findet auch Hans-Hinrich Kahrs.

Geschichte auf Platt

Er ist Lehrer und Berater für Niederdeutsch bei der niedersächsischen Landesschulbehörde. An seiner Schule, dem Gymnasium Warstade in Hemmoor im Kreis Cuxhaven, gibt es eine Plattklasse, in der Fächer wie Erdkunde und Geschichte auf Niederdeutsch unterrichtet werden. „Plattdeutsch gehört für die Schüler selbstverständlich dazu. Manche Kinder sprechen durchgehend Plattdeutsch“, sagt Kahrs.Das Idiom steht auch auf der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die den Schutz und die Förderung des Niederdeutschen fordert.

In den Schulen im Nordwesten spielte Platt dennoch lange keine Rolle. Andere Länder waren da weiter. In Hamburg und Schleswig-Holstein etwa ist systematischer Sprachunterricht schon länger in den Lehrplänen verankert. An vereinzelten Hochschulen wie Kiel, Flensburg, Greifswald und Oldenburg gibt es nach Angaben von Goltz auch entsprechende Kurse für angehende Lehrer.Niedersachsen zieht langsam nach

Intensivkurse für Lehrer

. 2011 trat ein Erlass in Kraft, der Fachberater sowie Plattdeutsch-Intensivkurse für Lehrer vorsieht. Im Land Bremen wird Niederdeutsch an fünf Grundschulen gesprochen.Nele Ohlsen profitierte vom niedersächsischen Platterlass, sie belegte als Referendarin einen der Sprachkurse. „Ich bin mit Platt großgeworden“, sagt die 31-Jährige.

„Ich hab‘s immer gehört, aber ich dachte, ich könnte es nicht sprechen.“ Mittlerweile schnackt und schreibt sie fließend.Die Lehrerin verbrachte zunächst viel Zeit mit der plattdeutschen Unterrichtsvorbereitung. „Es gab ja gar nichts in Niedersachsen“, sagt Ohlsen. „Da dachte ich: Ich mach das jetzt so, dass das Hand und Fuß hat.“ Sie entwickelte ein Lehrwerk für die erste und zweite Klasse, das dank Spenden in einer schulinternen Auflage von 100 Exemplaren erschienen ist. Dutzende andere Schulen meldeten ihr Interesse an.

Buch soll bundesweit erscheinen

Derzeit laufen Verhandlungen mit dem Kultusministerium, um das Buch landesweit herauszubringen. Mittlerweile hat Ohlsen auch das Buch für die dritte und vierte Klassenstufe fertig.

Bislang ist Plattdeutsch in Niedersachsen und Bremen aber kein verbindliches Element der Lehrerausbildung. „Bisher gibt es - anders als in Schleswig-Holstein - für angehende Lehrkräfte keine Pflicht, Niederdeutsch im Studium zu belegen“, heißt es von der niedersächsischen Landesschulbehörde. „Die meisten niedersächsischen Hochschulen halten - auch für das Lehramtsstudium Deutsch - gar keine Niederdeutsch-Angebote vor.“

Professur nicht wieder besetzt

Der Studiengang Niederdeutsch an der Universität Göttingen wurde geschlossen, die Professur nicht wieder besetzt.An der Universität Oldenburg können Lehramtsstudenten im Fach Deutsch ein „Zertifikat Niederdeutsch“ erwerben. Im Rahmen des Bachelor-Studiums an der Bremer Uni ist Platt ein wählbares Modul, aber plattdeutsche Sprachkurse fehlen. Noch also hängt Platt in Niedersachsen viel von engagierten Lehrern ab - wie Nele Ohlsen.