Kiel. 30.000 Hühner werden getötet. Minister Habeck will Sicherheitsmaßnahmen in Schleswig-Holstein erhöhen. Krisenstab im Einsatz.

Die Lage ist so dramatisch, dass Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck den Grünen-Parteitag in Münster am Sonnabend vorzeitig verlassen hat. Obwohl er sich als Spitzenkandidat für die Öko-Partei bei der Bundestagswahl 2017 bewirbt und innerparteilich Unterstützer generieren muss, eilte er nach Kiel. Denn erstmals seit Ausbruch der Vogelgrippe-Epidemie hat es nun einen großen Nutztierbetrieb in Schleswig-Holstein getroffen. Am Sonntag wurde ein weiterer Fall bekannt, ein Wildvogel im Kreis Herzogtum-Lauenburg war mit der Geflügelpest infiziert.

Der hochansteckende Erreger H5N8 wurde in einer geschlossenen Hühnerhaltungs-Anlage mit 30.000 Tieren in der Gemeinde Twedt nachgewiesen, wie Landwirtschaftsminister Habeck mitteilte. Am Sonntag wurde mit der Keulung der Tiere gemäß der Geflügelpest-Verordnung begonnen. Wie der Erreger in den von der Außenwelt abgeschotteten Bestand gelangen konnte, war zunächst unklar. Habeck nannte die Situation besorgniserregend. „Wir können nach wie vor nur hoffen, dass dies ein Einzelfall ist.“

Die Lage verschlimmert sich zunehmend. Am Sonntag wurde ein Fall von Geflügelpest bei einem Wildvogel im Kreis Herzogtum-Lauenburg bestätigt, teilt das Umweltministerium Schleswig-Holstein am Nachmittag mit. Damit habe sich die Zahl der betroffenen Kreise im Land auf sechs erhöht. Es gebe Fälle in Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde, Plön, Segeberg, der Hansestadt Lübeck und nun auch in Herzogtum-Lauenburg. An der aggressiven H5N8-Variante verendete Wildvögel wurden bisher in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Bayern sowie Mecklenburg-Vorpommern und nun auch Sachsen gefunden. Neben Deutschland sind auch Dänemark, die Niederlande, die Schweiz, Österreich, Ungarn und Polen betroffen.

Vogelgrippe und Geflügelpest: Was man jetzt wissen muss

Bereits seit Mittwoch hatte es in dem Betrieb vereinzelte Todesfälle bei Hühnern gegeben. Sie waren zunächst aber in Zusammenhang mit dem Ausfall einer Lüftung gebracht worden. Der Tierhalter beauftragte daraufhin ein privates Labor. Nachdem dieses am Freitag einen Verdacht festgestellt hatte, wurden amtliche Proben genommen. Das nationale Referenzlabor für aviäre Influenza, das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), bestätigte den Fall nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums. Der Betrieb ist bundesweit die erste Massentierhaltung, die von der aktuellen Vogelgrippe-Epidemie betroffen ist. Der Erreger gilt als ungefährlich für Menschen, ist aber eine erhebliche Bedrohung für Hausgeflügel.

Expertenteam nach Schleswig-Holstein unterwegs

Das FLI will ein Team von Epidemiologen zur Klärung der Ursache der Einschleppung nach Schleswig-Holstein schicken. Der Kreis Schleswig-Flensburg hat einen Sperrbezirk von drei Kilometern und ein Beobachtungsgebiet von weiteren sieben Kilometern eingerichtet. Die Polizei sperrte den Betrieb laut Ministerium zudem ab.

Blick auf einen Hühnerstall in Grumby (Schleswig-Holstein)
Blick auf einen Hühnerstall in Grumby (Schleswig-Holstein) © dpa | Daniel Bockwoldt

Aus Gründen des Tierseuchenschutzes ist es fremden Personen untersagt, das Gelände zu betreten. Habeck und Landrat Wolfgang Buschmann appellierten, sich daran zu halten. Bei Verstößen drohe ein Bußgeld von bis zu 30.000 Euro. Die fahrlässige oder vorsätzliche Verschleppung von Tierseuchen ist strafbar.

Berlin beruft Krisenstab ein

Angesichts der Ausbreitung der Vogelgrippe-Epidemie hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) den Zentralen Krisenstab Tierseuchen einberufen. „Aufgrund der aktuellen Entwicklungen bedarf es schneller, effizienter Koordination und Entscheidungen.“ Der nationale Krisenstab besteht aus den Staatssekretären sowie aus Experten von Bund und Ländern. In einer ersten Sitzung am Sonnabend wurde ein bundesweit einheitliches Vorgehen zum Schutz vor der Geflügelpest beschlossen. Es solle überall dort die Stallpflicht für Geflügel angeordnet werden, wo die Wahrscheinlichkeit eines Eintrages der hochansteckenden H5N8-Variante hoch ist, teilte das Ministerium mit. „Das sind insbesondere Feuchtgebiete, Rastgebiete von Zug- und Wildvögeln, aber auch Gebiete mit einer hohen regionalen Dichte von Geflügelbetrieben.“

Dem Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) wäre eine bundesweite Stallpflicht für Geflügel am liebsten. „Wir müssen schneller sein als sich das Virus ausbreitet“, hatte ZDG-Vizepräsident Friedrich Otto Ripke erklärt. Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Habeck kündigte an, die Sicherheitsvorkehrungen über die Vorschriften der Geflügelpest-Verordnung hinaus erhöhen zu wollen. „Wir schätzen die Lage in Schleswig-Holstein dramatischer und gefährlicher ein als vielleicht einige andere Kollegen — inklusive des Bundeslandwirtschaftsministers.“

H5N8 in vier Bundesländern nachgewiesen

Am Freitagabend hatte sich der Verdacht auf das hochansteckende H5N8-Virus auf einem Hühnerhof im Landkreis Vorpommern-Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) bestätigt. Der dritte derzeit bekannte Ausbruch der aktuellen Vogelgrippe-Epidemie in einer Geflügelhaltung wurde in einem Putenhof in Lübeck-Ivendorf festgestellt.

Die Behörden reagierten mit einer massiven Ausweitung der Stallpflicht-Zonen vor allem in der Nähe von Seen und Flüssen. Damit soll eine Ansteckung über Kot oder verunreinigtes Wasser verhindert werden. Seit Sonntag gibt es in Sachsen einen ersten Vogelgrippe-Fall. Eine am Freitag am Cospudener See bei Leipzig gefundene Wildente habe den H5-Virus, sagte ein Stadtsprecher. Ob es sich dabei jedoch um den aggressiven Typ H5N8 handle, sei noch unklar. Auch in Schleswig-Holstein ist mit dem Herzogtum Lauenburg ein weiterer Kreis von der Vogelgrippe bei Wildvögeln betroffen.

Der Erreger ist für Menschen ungefährlich, aber eine erhebliche Bedrohung für Hausgeflügel. Erstmals war die H5N8-Variante der aktuellen Epidemie in Deutschland am 8. November bei verendeten Wasservögeln in Schleswig-Holstein nachgewiesen worden.