Niebüll/Hamburg . Lange Wege in der Geburtshilfe in Schleswig-Holstein. Krankenkassen stellen weitere Kliniken auf den Prüfstand.

In den Kreißsälen gehen die Lichter aus: Ein Positionspapier der gesetzlichen Krankenkassen, das dem Abendblatt vorliegt, stellt die Geburtshilfe in den Krankenhäusern Niebüll, Preetz und Ratzeburg auf den Prüfstand. „Außerdem sollte die Geburtshilfe des Krankenhauses Eckernförde überdacht werden“, heißt es in der Stellungnahme zur Geburtshilfe in Schleswig-Holstein.

Der für Niebüll, Preetz und Ratzeburg erwartete Geburtenrückgang gebe diesen Standorten keine Perspektive mehr, hieß es. Die Zahl der gebärfähigen Frauen sinkt nämlich in ganz Schleswig-Holstein einer Bevölkerungsprognose zufolge bis zum Jahr 2025 um neun Prozent. Mit fast 19 Prozent werde der Rückgang am stärksten in den Kreisen Plön mit Preetz, aber auch im Herzogtum Lauenburg ausfallen, heißt es in dem Papier. Offenbar mit gravierenden Folgen für die schwangeren Frauen, die weitere Wege für die Geburt zurück­legen müssen.

Seit gut 15 Jahren erleben die Kliniken im Norden mit ihren Geburtsabteilungen einen Aderlass. Erst in dieser Woche musste die nordfriesische Klinik Niebüll mitteilen, dass sie ihre Kreißsäle vorübergehend schließen werde – wegen Hebammenmangels.

Damit sind jetzt insgesamt elf geburtshilfliche Abteilungen in Schleswig-Holstein nicht mehr in Betrieb, wie eine Abendblatt-Anfrage beim Kieler Gesundheitsministerium ergab. „Die Entwicklung in Niebüll ist bedauerlich und zeigt, wo die Grenzen von Krankenhausplanung sind: Dort, wo schlichtweg das Personal fehlt“, sagte Christian Kohl, Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Der Abwärtstrend begann mit der Schließung der Geburtshilfe in Kaltenkirchen im Jahr 2000, danach folgten Kappeln (2001), Helgoland (2004), Mölln (2006), Brunsbüttel (2006), Elmshorn (2007), Bad Oldesloe (2012), Westerland auf Sylt (2013), Oldenburg (2014) und Wyk auf Föhr (2015). Wie auf den Ostfriesischen Inseln gibt es auch auf Amrum, Pellworm und Fehmarn keine geburtshilfliche Einrichtung. Alle stationären Geburten finden auf dem Festland statt.

Das Klinikum Nordfriesland hatte in den vergangenen Wochen im deutschsprachigen Raum um Hebammen geworben – leider vergeblich. „Daher müssen wir die geburtshilfliche Abteilung an unserer Klinik Niebüll zum 30. Juni leider schließen“, sagte Christian von der Becke, neuer Geschäftsführer des Klinikums Nordfriesland. Allerdings versuche die Klinikleitung, die Anzahl der Beleghebammen wieder so weit aufzustocken, dass der Betrieb „absehbar wieder aufgenommen werden kann“. Um die Versorgung Tag und Nacht sicherzustellen, benötigt die Klinik in Niebüll fünf Hebammen. Derzeit sind es lediglich drei. Wegen der Urlaubszeit können im Juli 25 Dienste nicht besetzt werden. Werdende Mütter müssen sich deshalb seit Freitag an das Geburtshilfeteam der Klinik Husum wenden.

Wer auf den Inseln und den Halligen lebt, kann sein Kind im Rahmen des sogenannten Boarding-Angebots zur Welt bringen. Die Frauen haben damit die Möglichkeit, bis zu zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin kostenfrei eine Unterbringung in unmittelbarer Nähe der Klinik in Anspruch zu nehmen. So stellt die Sana Klinik Eutin ein Apartment für Frauen von der Inseln Fehmarn zur Verfügung. Im Jahr 2015 haben sechs Mütter dieses Angebot genutzt.

„Auf Sylt gibt es zusätzlich zum Rettungsdienst des Kreises Nordfriesland eine von Gemeinde und Krankenkassen finanzierte Hebammen-Rufbereitschaft“, sagt der Kieler Ministeriumssprecher Kohl. Zudem gebe es im Notfall den Rettungsdienst des Kreises Nordfriesland. „Er ist nach Wahrnehmung des Ministeriums gut und professionell aufgestellt.“

Gesundheitsministerin
Kristin Alheit
(SPD) sagt, es
werde keine schnellen
und einfachen
Lösungen geben
Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) sagt, es werde keine schnellen und einfachen Lösungen geben © picture alliance / dpa

Ein Grund für den Fachkräftemangel bei den Hebammen liegt an den neuen gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Seit dem 1. Juli müssen freiberuflich in der Geburtshilfe tätige Hebammen in Deutschland eine weitere Erhöhung der Haftpflichtprämien tragen. Sie steigt von derzeit 6274 Euro auf 6843 Euro. „Wenn wir nicht endlich eine tragbare Lösung bekommen, klettern die Haftpflichtprämien jährlich weiter, und immer mehr Hebammen steigen aus dem Beruf aus“, warnt Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands.

Nach der Schließung der Kreißsäle in Niebüll drängt die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Kieler Landtag, Katja Rathje-Hoffmann, die Landesregierung zum Handeln. „Die Ministerin muss endlich ein Konzept vorlegen, wie die Geburtshilfelandschaft in Schleswig-Holstein künftig aussehen soll. Solange sie dieses schuldig bleibt, werden die Stationen weiter schließen.“ Und die nordfriesische CDU-Abgeordnete Astrid Damerow kritisiert: „Für die Frauen an der Westküste wird die Situation zunehmend unerträglich. Dabei geht es nicht nur um weite Wege, sondern vor allem um Planungssicherheit.“

Nach der ersten Schließungswelle hatte Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) erklärt, dass es keine einfachen und schnellen Lösungen für die Geburtshilfe gebe. Ihr Sprecher teilte nun mit, dass die Schwangeren über die Entwicklungen in Niebüll ausreichend vom Kreis und den betreuenden Gynäkologen informiert werden müssten. Zudem seien die Kliniken in Husum und Flensburg sowie der Rettungsdienst auf die Situation eingestellt.

Schon jetzt befindet sich in Flensburg die Geburtsstation mit der höchsten Versorgungsstufe, inklusive einer Kinderklinik. Wie aus dem Positionspapier der Krankenkassen hervorgeht, ist künftig mit einer weiteren Zentralisierung der Geburtshilfe zu rechnen. Erfahrungen in Finnland, Schweden und Portugal belegen nach Einschätzung der Krankenkassen: „Es stellt kein erhöhtes medizinisches Risiko dar, eine Schwangere auch zu einer entfernteren Geburtsklinik zu transportieren.“