Stormarn. In keinem anderen Kreis in Deutschland werden so wenige Straftaten aufgeklärt wie in der Region zwischen Hamburg und Lübeck.

Ekkehard Klug, der sonst um Erklärungen nicht verlegene schleswig-holsteinische FDP-Landtagsabgeordnete und Innenexperte, sagt: „Ich habe keine Erklärung dafür.“ Er weiß es nicht, sein SPD-Kollege Kai Dolgner weiß es nicht, und das Landespolizeiamt weiß es auch nicht so ganz genau: Warum ist ausgerechnet der Kreis Stormarn das deutsche Verbrecherparadies? Warum werden in der Region zwischen Hamburg und Lübeck bundesweit am wenigsten Straftaten aufgeklärt? Die Quote lag im vergangenen Jahr bei nur 41 Prozent. Das ist ausweislich der Kriminalstatistik der letzte Platz unter allen Kreisen und Städten: Platz 402. Selbst Hamburg (43,8 Prozent, Platz 398) und Berlin (43,9/397) sind besser.

Die Stormarner Polizei gilt schon seit Jahren als Problemfall. Immer wieder im März tritt die Führungsriege der Polizeidirektion Ratzeburg, zu der der Kreis Stormarn gehört, vor die Presse, legt die neue Kriminalstatistik vor und verkündet wortreich, dass die Situation eigentlich gar nicht so schlecht sei. Die Wahrheit sieht anders aus: Seit 2010 liefert der Kreis Jahr für Jahr die niedrigste Aufklärungsquote in ganz Schleswig-Holstein ab. Besonders bei den Wohnungseinbrüchen steht der Kreis schlecht da. Es lohnt sich, einen Blick auf die immer wiederkehrenden Erklärungsmuster der Ordnungshüter zu werfen.

So sagte Holger Meincke, der stellvertretende Chef der Polizeidirektion, im März 2012 bei der Vorstellung der Statistik: „Die Aufklärungsquote ist weiter gesunken. Da sind wir nicht stolz drauf.“ Aber: „Diebstähle sind für uns häufig nur schwer aufzuklären. Steigt also die Zahl der Fälle, sinkt die Aufklärungsquote.“ Das liege vor allem an der geografischen Lage des Kreises. Durch die Nähe zu den Bundesländern Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie durch die gute Anbindung durch die Autobahnen kämen Täter schnell hin und auch wieder weg. Deshalb habe man es in Stormarn häufig mit auswärtigen Tätergruppen zu tun. „Wir wollen die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Hamburg und Niedersachsen weiter intensivieren und uns stärker vernetzen“, kündigte Meincke an. Insgesamt sei die Lage „relativ entspannt“ und „besser als im Land“, so der Polizeidirektor.

Ein Jahr später, März 2013. Auftritt Meincke. „Wir werden weiterhin versuchen, die Zahl der Einbrüche einzudämmen - mit einem landesweiten Konzept, mehr Streifenfahrten, besserer Spurensicherung und Informationsveranstaltungen zum Einbruchschutz“, gelobte der Polizeidirektor. Ansonsten laute die Zusammenfassung für die Statistik des Jahres 2012: „Einfach gesagt, haben wir weniger Kriminalität und mehr Aufklärung.“ Quote in jenem Jahr: 42,2 Prozent – schlechter als 2011.

2013 stieg sie wieder auf 44,2 Prozent. Bei Wohnungseinbrüchen ging es hingegen bergab: Die Quote fiel von 10,2 Prozent im Vorjahr auf nun 6,3 Prozent. „Das liegt daran, dass es oft reisende Tätergruppen sind, die uns das Leben schwer machen“, sagte Stormarns Kripo-Chef Hans-Jürgen Köhnke.

Das schwere Leben ging auch 2014 weiter. Polizeidirektor Meincke war bei der Vorstellung der Statistik dennoch „ein bisschen“ zufrieden. Denn die Zahl der Einbrüche in Stormarn war um 14 Prozent gesunken. Meincke: „Wir haben eine Trendwende eingeleitet, das heißt aber nicht, dass wir uns nun zurücklehnen werden.“ Die Aufklärungsquote ging wieder in den Keller: 43 Prozent.

Im Jahr 2015 war dann von der Trendwende nichts mehr zu erkennen. Die Zahl der Einbrüche in Wohnungen und Häuser stieg um exorbitante 47 Prozent. Der Schaden, der dabei angerichtet wurde, war hoch. Allein die gestohlenen Dinge hatten einen Wert von fast 2,7 Millionen Euro. Holger Meincke sagte bei der Vorstellung der Statistik im März 2016: „Wir werden auch weiter an der Spurensicherung festhalten. Wir erzielen bessere Ergebnisse, wenn Experten statt normale Streifenbeamte die Tatorte nach Fingerabdrücken, Reifen- und Schuhabdruckspuren und, wenn möglich, auch DNA-Spuren untersuchen.“

Möglicherweise helfen ja diese modernen Methoden weiter. Die Erklärungsansätze, die im Landespolizeiamt zu hören sind, wenn man nach der niedrigen Aufklärungsquote fragt, lassen allerdings vermuten, dass Stormarn noch lange Schlusslicht bleiben wird. Torge Stelck, der Pressesprecher der Behörde, sagt: „In diesem Kreis überwiegen die Eigentumsdelikte, und darunter die Wohnungseinbrüche. Das sind anonyme Taten, bei denen es keinen Bezug zwischen Täter und Tatort gibt. Deswegen sind sie schwieriger aufzuklären.“ Hinzu käme, dass es eine hohe einwandernde Kriminalität gebe, denn die Region sei verkehrlich gut an Hamburg angebunden und habe einen großen Wohlstand.

Wirklich stichhaltig ist der Erklärungsansatz des Landespolizeiamts nicht. Denn auch die Kreise Pinneberg und Segeberg sind von Hamburg aus per Bahn und Auto gut zu erreichen, und auch dort wohnen viele Wohlhabende. Dennoch gelingt es den Polizisten, deutlich mehr Straftaten aufzuklären als den Kollegen in Stormarn. Aufklärungsquote 2015 im Kreis Segeberg: 45,5 Prozent. In Pinneberg: 46,4 Prozent. Warum ist das so? Der SPD-Innenexperte Klaus Dolgner antwortet: „Das kann ich Ihnen garantiert nicht erklären.“ Die Quote in Stormarn sei „traditionell schlecht“. Es wäre schön, wenn sich die kriminologische Forschung dieses Themas annehmen würde.

Das Land solle den Kreis unterstützen, findet die FDP

Die 324 Stormarner Polizisten sind nach Angaben von Holger Meincke weiterhin dabei, ihre Durchschlagskraft im Kampf gegen Einbrecher zu verbessern. Im Mai hieß es, es gebe neue Ermittlungs- und Tatortgruppen. Zivilfahnder seien in Ahrensburg und Reinbek unterwegs. Die Bemühungen im Bereich der Prävention würden verstärkt. In einem gesonderten „Sachgebiet 5“ wolle man organisierte Bandenkriminalität verfolgen.

Der FDP-Landtagsabgeordnete Ekkehard Klug findet, dass das Land durchaus noch etwas mehr tun könnte, um den Verbrechern die Arbeit zu erschweren. „Viele Polizeireviere müssen immer wieder Beamte für Demos oder für Einsätze bei Fußballspielen abstellen, weil die eine Einsatzhundertschaft, die Schleswig-Holstein hat, unterstützt werden muss“, sagte er. „Die sind dann raus aus der täglichen Arbeit. Damit das aufhört, brauchen wir eine zweite Einsatzhundertschaft.“

Ob das Stormarn hilft, bleibt offen. Schließlich müssen auch die anderen Kreise und kreisfreien Städte Beamte abgeben – ohne derart schlechte Aufklärungsquoten zu haben. Ein hinterer Platz in der bundesweiten Statistik dürfte dem Kreis wohl weiterhin sicher sein. Es sei denn, es geschehen Wunder – Wunder wie in Passau. So entnimmt man der Statistik des Bundeskriminalamts doch mit einigem Erstaunen, dass der ostbayerische Landkreis eine Aufklärungsquote von 96,2 Prozent haben soll: Platz eins in Deutschland. Fast jede Straftat wird dort aufgeklärt? Herrliches Bayern.

Die Zahl stimmt tatsächlich. Ein erfreulicher Nebeneffekt des Flüchtlingsstroms beschert dem Polizeipräsidium Niederbayern diesen Traumwert. Pressesprecher Armin Angloher sagte dem Hamburger Abendblatt: „Im Landkreis Passau hatten wir 2015 eigentlich eine Aufklärungsquote von 67,5 Prozent. Wenn man allerdings die ausländerrechtlichen Verstöße mitzählt, die sich im vergangenen Jahr wegen der zahlreichen Grenzübertritte aus Österreich ergeben haben, dann kommen wir tatsächlich auf 96,2 Prozent.“ Das Praktische: Jeder ausländerrechtliche Verstoß war mit der Feststellung der Personalien an der Grenze auch gleich schon aufgeklärt. Herrliches Bayern.