Hannover/Elmshorn. Die drei untergetauchten Ex-RAF-Terroristen sollen seit 2011 acht Überfälle begangen haben. Beute: 371.000 Euro.

Sie sind routiniert. Sie sind gut vorbereitet. Sie schrecken auch vor belebten Supermärkten nicht zurück. So wie in Elmshorn. Dort überfielen sie am 23. August 2014 einen Marktkauf-Supermarkt. Der Laden am Ramskamp war voll an diesem Sonnabend, als gegen 10.50 Uhr ein vermummter Mann eine Angestellte in das Kassenbüro drängte. Ein Komplize kam hinzu, mit Waffengewalt zwangen sie die Frau, den Tresor zu öffnen. Mit 46.000 Euro Beute entkamen die Männer. Das Landeskriminalamt Niedersachsen ist sich jetzt sicher: Drei untergetauchte Ex-RAF-Terroristen haben diesen Überfall begangen. Auch sieben weitere Taten in Niedersachsen sollen auf das Konto von Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette gehen.

Die ehemaligen RAF-Terroristen sind offenbar zu raffgierigen Räubern geworden. Seit Jahrzehnten wird nach ihnen gefahndet. Unter anderem stehen sie im Verdacht, im Jahr 1993 die noch im Bau befindliche Haftanstalt im hessischen Weiterstadt in die Luft gesprengt zu haben. Schaden damals: umgerechnet 40 bis 45 Millionen Euro. Seit der Auflösung der Roten Armee Fraktion (RAF) im Jahr 1998 leben die drei Ex-Mitglieder im Untergrund. Nun gibt es eine Spur – und neue Erkenntnisse über die Arbeitsweise der Gesuchten, die sich ihr Leben im Untergrund mit Überfällen finanzieren. Demnach haben sie seit September 2011 acht Überfälle verübt und dabei rund 371.000 Euro erbeutet. Die Polizei will bei allen Taten ein gemeinsames Muster gefunden haben und ordnet sie deshalb Staub, 61, Garweg, 47, und Klette, 57, zu.

So wird das Fluchtfahrzeug stets auf eine doch recht auffällige Weise besorgt. Einer der drei Tatverdächtigen erscheint etwa ein bis drei Monate vor dem Überfall bei einem Autohändler und kauft dort einen günstigen Gebrauchtwagen, meist ist es ein Golf III oder ein anderer VW. Betonung auf „günstig“: Mehr als 3000 Euro werden nicht ausgegeben. Bei der Probefahrt lenkt der Interessent nie selbst, sondern nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Das Auto wird bar bezahlt, aber zunächst beim Händler stehen gelassen. Abgeholt wird es erst nach Schließung des Geschäfts, deshalb bittet der Käufer den Händler, das Auto außerhalb des Firmengeländes zu parken.

Der Überfall selbst erfolgt dann zwar unter Einsatz von Waffen – aber in einer zurückhaltenden Weise. Die Täter werden als ruhig, höflich und besonnen bezeichnet. Stets erwähnen sie, dass es ihnen nur um das Geld gehe. Sie maskieren sich mit Sturmhaube, Schal oder Handtuch. Bei Überfällen auf Supermärkte benutzen sie Pistolen und Elektroschocker, bei Überfällen auf Geldtransporte Schnellfeuergewehre und Panzerfaust. Die Supermarkt-Opfer müssen sich auf den Boden legen, einer muss den Tresor öffnen.

Nach der Flucht wird der Wagen in einem Waldstück in der Nähe des Tatorts abgestellt und in Brand gesetzt, um Spuren zu vernichten. Allerdings gelingt das den Tätern nicht immer. Mit einem anderen Auto fahren sie anschließend weiter.

Die etwas nachlässigen Brandstiftungen haben den Fahndern wertvolle Hinweise beschert. Nach dem gescheiterten Überfall auf einen Geldtransporter in Wolfsburg im Dezember 2015 wurde eines der Fluchtfahrzeuge, ein blauer Ford Focus, in einem nahe gelegenen Wald gefunden. Der Ford war in Hannover gekauft worden. Ein Vergleich der Tachostände ergab: Seit dem Kauf wurden mit dem Auto rund 950 Kilometer zurückgelegt. Die Polizei geht deshalb davon aus, dass sich die drei Tatverdächtigen im norddeutschen Raum oder im Westen der Niederlande aufhalten. Zudem wurde eines der Mobiltelefone, mit dem die Tatverdächtigen Kontakt zu einem Autohändler aufgenommen hatten, in den Niederlanden ausgeschaltet. Die Öffentlichkeitsfahndung wurde bereits auf das Nachbarland ausgeweitet. „Es hat Hinweise gegeben, aber eine heiße Spur war nicht dabei“, sagte Frank Federau, Sprecher des Landeskriminalamts, am Dienstag dem Hamburger Abendblatt.

Auffällig ist: In den vergangenen Monaten sind Staub, Garweg und Klette deutlich aktiver geworden. Vier Überfälle im Jahr 2015, einer in diesem Jahr: Es wirkt, als stünden die ehemaligen RAF-Terroristen unter Druck. Drei dieser fünf Überfälle gingen schief, nur zwei waren erfolgreich. Die Beute kann sich dennoch sehen lassen: Rund 110.000 Euro müssten bei sparsamer Haushaltsführung eigentlich reichen, um als Dreier-WG anderthalb Jahre lang gut leben zu können. Warum also noch weitere Überfälle begehen und sich dem Risiko der Entdeckung aussetzen? Wollen sich die drei im Ausland zur Ruhe setzen und brauchen dafür einen größeren Geldbetrag? Ist einer von ihnen krank und benötigt Geld für eine Behandlung? Von den Fahndern ist dazu keine Auskunft zu bekommen.

Tatsache ist, dass die raffgierigen Ex-RAF-Terroristen einen Fehler begangen haben. Denn seit Kurzem kann die Polizei mit aktuellen Fotos nach Garweg und Staub fahnden. Offenbar hat eine Überwachungskamera sie aufgenommen, als sie ein Auto kaufen wollten. Wo genau die Bilder entstanden sind, sagt die Polizei nicht. Aber sie sagt: Es war in diesem Jahr.

Hinweise zu den Gesuchten nimmt jede Polizeidienststelle oder das Landeskriminalamt Niedersachsen unter der Telefonnummer 0511/2 62 62-74 00 entgegen.