Dagebüll. Der Leuchtturm in Dagebüll wurde zu einem Hotel umgebaut. Zu einem sehr kleinen – mit gerade einmal 18 Quadratmetern.

Man hat das Gefühl, die wenigen Wolken am blauen Himmel ziehen auf Augenhöhe vorbei. Hinter dem Deich glitzert das Meer, die Ebbe naht, das Wasser zieht sich zurück. Schafe blöken, sie haben gerade Nachwuchs bekommen, der über die Wiese tollt. Der Wind pfeift und der Blick schweift weiter über die Halligen und die Nachbarinseln Amrum und Föhr. Ich stehe draußen auf der kleinen Plattform des Dagebüller Leuchtturms in mehr als 15 Metern Höhe, im Bann der Aussicht, die ich hier vor Augen habe. Dabei gehören Meer und Deiche für mich zum Alltag, schließlich lebe ich auf Sylt. Doch die Natur auf diese Weise zu sehen, in dieser Höhe, ringsum keine Häuser, die die Sicht versperren, das ist etwas Einmaliges.

Ich habe eine besondere Verbindung zu den Türmen, die früher mal Schiffe sicher in den Heimathafen gelotst haben. In einem Leuchtturm habe ich geheiratet und später davon geträumt, einmal in einem Turm zu wohnen. Jeden Tag mit den Elementen konfrontiert, eine Aussicht, die sich mit Wind und Wetter immer wieder verändert, ohne Nachbarn. Im Dagebüller Leuchtturm kann man sich diesen Traum seit einigen Jahren erfüllen.

Der Leuchtturm stand 20 Jahre lang leer, bis die Wittenbechers ihn kauften

Seit 1988 lotst der Turm keine Schiffe mehr in den Hafen und stand leer. 2009 dachte die Gemeinde über eine alternative Nutzung nach. Da kamen die Berliner Architektin Heike Wittenbecher und ihr Mann Tim ins Spiel: Sie kauften den Leuchtturm vor sechs Jahren und bauten ihn zum Mini-Hotel um. „Nachdem wir den Turm gekauft hatten, gingen zwei Jahre allein für Bauvoranfragen und Genehmigungen drauf. Ohne die Unterstützung der Gemeinde hätten wir das Projekt wohl nicht realisieren können“, erklärt Tim Wittenbecher, der mit seiner Frau auch Turm-Hotels auf Usedom und in Bad Saarow betreibt.

Autorin Simone Steinhardt ist
fasziniert vom Ausblick aufs Meer
Autorin Simone Steinhardt ist fasziniert vom Ausblick aufs Meer © HA | Simone Steinhardt

Der Leuchtturm liegt am Außendeich – das machte die Sache kompliziert. „Verständlich, der Deich ist schließlich lebenswichtig für den Ort“, so Wittenbecher. Doch den Traum vom Turm wollte das Inhaber-Ehepaar nicht aufgeben: Obwohl das Projekt in Dagebüll „das härteste war“, wie Tim Wittenbecher schmunzelnd verrät. „Meine Frau hatte diese Idee von einem besonderen Ort, an dem man sich selbst nahe ist, eine Auszeit nehmen kann. Einen Ort für positive Gedanken.“ Nach zwei Jahren intensiven Ringens mit den zuständigen Behörden konnten die Bauarbeiten endlich beginnen.

Zu dem Zeitpunkt war von dem Leuchtturm nur noch die Außenhaut zu gebrauchen. „Es war eine Ruine. Aber meine Frau hatte eine Vision, wie es am Ende aussehen soll“, so Wittenbecher. Rein technisch realisiert Heike Wittenbecher ein „Turm-in-Turm“-Konzept: In den Leuchtturm wird ein Treppenstahl-Geländer mit Trägern eingezogen, auf denen, neben dem Erdgeschoss, zwei weitere Ebenen gebaut werden.

Nach einem Jahr Bauzeit ist das Mini-Hotel fertig. Jeder Zentimeter der lediglich rund 18 Quadratmeter großen Hotelfläche wurde genutzt. Mit großem Gepäck sollte man dennoch nicht reisen: Einen Schrank gibt es nicht, lediglich im Eingangsbereich eine kleine Garderobe sowie eine Ablage für Kleinkram.

Im Erdgeschoss steht ein Whirlpool aus Kambala-Holz, 900 Liter passen rein, erklärt die Hausdame. Sie bringt morgens auch das Frühstück – in einem Picknickkorb. Eine Rezeption gibt es nicht. Ein weiterer Reiz des Leuchtturms: Man ist ganz für sich. Hinter dem Whirlpool schließt sich ein kleines Badezimmer an. Im Zwischengeschoss steht ein Bett mit Kuhfellen, zwei kleine Fenster geben den Blick auf den Deich und das Meer frei. Nach insgesamt etwa 47 Stufen wartet das Beste: die ersehnte Laterne des Leuchtturms mit einem 360-Grad Blick auf das Meer, den Deich und die Wiesen.

Ein idealer Ort zur medialen Entgiftung – ganz ohne soziale Netzwerke

Ich genieße die Aussicht auf einem kleinen, mit Kuhfell bezogenen Sofa. Es wirkt beruhigend und inspirierend zugleich – hier mal eine ganze Woche verbringen, nur mit sich, gespannt sein, was es mit einem macht, das wäre ein Traum. Doch auch schon die wenigen Stunden, die man im Leuchtturm verbringt, entfalten ihre ganz eigene Wirkung. Fast automatisch „entgiftet“ man auch medial: Diesen Moment werde ich nicht mit anonymen Usern in den sozialen Netzwerken teilen. Dieser Moment soll nur mir gehören – und meinem Mann, dem ich den Aufenthalt im Leuchtturm zum Hochzeitstag geschenkt habe.

Es ist faszinierend: Obwohl wir hier gar nicht weit von unserer Heimatinsel entfernt sind, fühlen wir uns wie in einer Parallelwelt. Den Leuchtturm verlassen wir nur, um im Dorf zu Abend zu Essen. Die Nacht wird dann ein wenig unruhig: Es ist ungewohnt, so nahe am Meer zu schlafen und der Turm hat seine eigenen Geräusche. Vielleicht hält auch die Vorfreude auf die erneute Aussicht in der Laterne am nächsten Morgen wach.

Platz für einen Whirlpool ist in der
kleinsten Hütte
Platz für einen Whirlpool ist in der kleinsten Hütte © HA | Simone Steinhardt

Es sieht anders aus: Die Sonne kommt noch nicht richtig durch, die Halligen am Horizont lassen sich durch den Frühnebel nur erahnen. Doch wir genießen das üppige Frühstück aus dem Picknickkorb, den Blick auf das Meer und den Deich und die Ruhe, die wir nach dieser kurzen Auszeit spüren.

Reiseinformationen

So kommen Sie hin:
Über die A 7 bis Flensburg, dann bis Niebüll und dort über die B 5 bis Dagebüll – oder die A 23 bis Husum und Bredstedt, dann Richtung Ockholm und Dagebüll. Mit der Bahn über Niebüll bis Dagebüll – von dort zehn Minuten Fußweg.
Preise:
Die Übernachtung im Doppelzimmer kostet in der Woche 250 Euro, an Wochenenden und Feiertagen 290 und Silvester 400 Euro.