Das Abendblatt stellt die schönsten Ziele im Norden vor. Fünfter Teil: Ein wohldosiertes Abenteuer mit Kajak und Planwagen.

Am Ende schmerzen die Arme. Und die Beine. Und der Rücken auch ein bisschen. Die Hände reagieren mit Blasenbildung. Aber das war ja vorher klar: Der Schaalsee, dieses Tier- und Pflanzenspektakel mit dem Prädikat Unesco-Biosphärenreservat, wird einem nicht geschenkt. Das geht bei der Tagesgebühr von acht Euro los, um überhaupt ein Paddel in das klare Naturschutzgebietswasser stechen zu dürfen. Und hört bei den leichten sportlichen Abnutzungserscheinungen noch lange nicht auf. Doch, und das kann man vorwegnehmen: Der Schaalsee, dieses von eiszeitlichen Gletschern geformte Umweltparadies, ist jeden Cent und jeden übersäuerten Muskel wert. Allein wegen der Ruhe.

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Denn noch liegt der östliche Teil des Naturparks Lauenburgische Seen im „toten Winkel“ ausflugswilliger Hamburger. Sagen zumindest die Einheimischen. Auch in der Hochsaison würden sich nicht unangenehm viele Großstädter in diesen Landstrich verirren. Die Städte Ratzeburg und Mölln wirken da als natürlicher Puffer. Dabei geizt gerade dieser Teil des Naturparks nun wirklich nicht mit Reizen. Waldreiche Hügel säumen glasklare Gewässer mit intakten Uferzonen. Hier sagen sich Seeadler und Eisvogel gute Nacht. Deshalb: Jetzt bitte nicht alle auf einmal hinfahren!

Hamburg , 9 Uhr

Etwa eine Stunde, hatte der Kanu-Verleiher am Telefon gesagt, solle man einplanen. Ein Mann vom Fach. Die Wegmarken Horner Kreisel, A 24 und die Ausfahrt Gudow sind noch Musik in den Ohren erfahrener Berlin-Pendler. Doch schon nach dem Verlassen der Autobahn wird es sehr schnell sehr ländlich. Denn jetzt kommen Hollenbeck, Sterley und Seedorf ins Spiel. Die großen Unbekannten. Mit etwas Navigationsgeschick gelingt die Anreise.

Schaalsee-Camp, Sterley, 10.30 Uhr

Der kleine Wald-Campingplatz ist Ausgangspunkt und Übernachtungsstation. Mein Sohn und ich haben einen der sechs Planwagen gebucht. Erster Eindruck: sieht gut aus. Lage: am Wasser. Klientel: Familien und Entspannungssuchende. Dauercamper: aber nicht doch. Status: Geheimtipp. Zum Ausladen ist später Zeit. Das Taxi wartet, es soll uns zum Startpunkt der etwa zwölf Kilometer langen Tour am ersten Tag bringen. Nächster Halt: Ratzeburg, Küchensee, Einsetzstelle Theaterplatz.

Ratzeburg, Theaterplatz, 11 Uhr

Kanu oder Kajak? Das war die Grundsatzfrage. Empfehlenswert für Paare oder Einzelpaddler: das Kajak. Weniger windanfällig, insgesamt wendiger. Nachteil: wenig Platz für Gepäck. Wir nehmen es trotzdem. Die Bootseinweisung geht für uns alstererfahrene Freizeitkapitäne schnell, das schmale Tourgepäck (Wasser, Stullen, Kekse, Äpfel, Kamera, Sonnencreme, Sonnenhut, Badehose, Handtuch) ist zügig verstaut. Zwei Schwimmwesten, zwei Paddel, eine Tourenkarte und ein Wanderkajak wechseln für zwei Tage und 38 Euro den Besitzer. Los geht’s! Rauf auf den Küchensee, einmal zum gegenüberliegenden Ufer, zwei Kilometer gen Süden zum Warmfahren. Erkenntnis Nummer 1: Fahrradhandschuhe hätten den Abnutzungseffekt für zarte Journalistenhände womöglich verzögert. Erkenntnis Nummer 2: Die Natur kommt schneller als man Schwanenküken sagen kann. Es dauert ungefähr 35 Paddelschläge und man steckt mittendrin, im Reich von Reiher, Rotfeder und Co. Laubwälder zieren den Uferbereich, der Schilfgürtel zeichnet mit Seerosenteppichen weiche Konturen, das Haus am See, hier darf es sein. Die Anstrengung? Geht so. Der Gegenwind? Nervt.

Farchauer Mühle, 12 Uhr

Das erste Anlegemanöver ist das Werk von Amateuren. Holprig, unbeholfen, mit Beinahe-Kentern. Glücklicherweise ohne Publikum. Der Rest ist leicht gemacht. Anleger für Kanufahrer sind auf der ganzen Strecke mit gelben stilisierten Wellen gekennzeichnet. Wer will, kann die Ausdauertour von Lübeck über die Wakenitz bis zum Schaalsee buchen. Zum Einstieg reichen uns aber zwei Tage. Der bis dato auf dem Kajak festgeschnallte Kanuwagen ist jetzt Gold wert – das Boot muss das einzige Mal aus dem Wasser. Mit wenigen Handgriffen ist der Wagen zusammengeschraubt und das Kajak an Land gehievt. Die 700 Meter vom Küchensee bis zur Einsetzstelle am Schaalseekanal schaffen auch Schluffis wie wir. An der Farchauer Mühle kann man sich aber auch stärken – Kaffee, Kuchen, warme Küche, alles da.

Schaalseekanal, 12.30 Uhr

Die Badestelle am Pipersee. Der Abend bricht an, die Stand-Up-Paddler brechen auf
Die Badestelle am Pipersee. Der Abend bricht an, die Stand-Up-Paddler brechen auf © Nico Binde

Das Einsetzen des Kajaks ist idiotensicher. Am Anfang präsentiert sich der Schaalseekanal noch als klassische, künstliche Wasserstraße. Immerhin mit so klarem Wasser, dass man die Vegetation bis zum Grund betrachten kann. Im Jahr 1923 wurde der Kanal als Auslauf des Schaalsees gebaut, für Technikbegeisterte: Das dazugehörige Wasserkraftwerk ist immer noch in Betrieb. Im Grunde handelt es sich aber um ein weitgehend renaturiertes, stehendes Gewässer, das mit zunehmender Distanz wilder wird. Zunächst säumen Bäume die Ufer, nach etwa drei Kilometern wird daraus ein urwüchsiger Wald. Umgestürzte Baumleichen reichen bis ins Wasser, ein trinkendes Wildschwein stillt seinen Durst und dann, da, ein Eisvogel! Das Tier fliegt natürlich davon. Aber, hey: Wildnis!

Salem, Badestelle, 14.30 Uhr

Der etwa fünf Kilometer lange Kanal endet im Salemer See, der den Blick des Hobbyabenteurers weitet. Gleich links schmiegt sich der namensgebende Ort Salem mit Anleger, Restaurant und Badestrand ans Ufer. Dem emotionalen Impuls „Pause! Jetzt!“ wird nachgegeben. Der ideale Ort ist gefunden. Einen frischen Flammkuchen und einige Sprünge vom Steg später fahren wir weiter ostwärts, den etwa einen Kilometer langen Salemer See querend. Vorbei an einem weiteren Strand (Naturcampingplatz Salem) und einer Ferienhaussiedlung geht es in den Pipersee. Nicht weniger naturbelassen, nicht weniger einladend. Wir folgen den waldreichen Ufern bis zur Badestelle.

Schaalsee-Camp, Sterley, 17 Uhr

Home sweet home, zumindest für eine Nacht. Der kanufreundliche Campingplatz hat einen eigenen Anleger sowie Platz zum Lagern der Boote. Einen Stand-Up-Paddle-Verleih für die Styler unter den Wasserwanderern gibt es auch (zwölf Euro pro Stunde). Platzmitarbeiterin Elisabeth zeigt uns das gewählte Nachtlager, einen von fünf ausgebauten Planwagen nach Western-Art (22,50 Euro für Erwachsene und Kind). Ideal für Leute, die kein eigenes Zelt aufbauen möchten. Alles, was man braucht sind Isomatten und Schlaf­säcke. Daneben gibt es Tipis, klassische Zeltplätze und Wohnmobilbuchten. Für Kinder toll: Badestelle, Slackline, Bogenschießen, Feuerstelle, viel Natur – sowie gleichgesinnte Gleichaltrige und gleichaltrige Gleichgesinnte.

Restaurant Zum Fuchsbau, 19 Uhr

Klar, grillen wäre erste Wahl beim Camping, zumal es eine kleine Versorgungsstation auf dem Platz gibt. Aber direkt neben dem Schaalsee-Camp prangt am Restaurant Zum Fuchsbau der verheißungsvolle Slogan: saisonal, regional, genial. Ok, probieren. Also einmal Matjes Hausfrauenart (10,50 Euro) und Fischstäbchen (6 Euro). Mundet! Danach noch mal baden und dann wohlig vermuskelkatert in die Federn, pardon, den Planwagen.

Schaalsee-Camp, 9 Uhr

Sonntags gibt es Brötchenservice, ansonsten muss man mal kurz zum Bäcker in Sterley (drei Kilometer). Danach zusammenpacken und einsetzen des Kajaks mit Ziel Schaalsee. Die Natur ruft, der Körper stöhnt.

Pfuhlsee/Schaalsee, 10 Uhr

Der kleine Pfuhlsee ist beliebte Brutstätte, ein Silberreiher steigt vor uns zum Fischfang auf, ein Schwanenpaar bringt seine Jungen in Sicherheit. Ständige Begleiter außerdem: Libellen. Ob Blaugrüne Mosaikjungfer oder Hauben-Azurjungfer, alle sind sie da. Und dann: Der Schaalsee – weit und groß und spiegelglatt. Heimat von Seeadler, Rohrdommel, Fischotter und Großer Maräne. Neben uns startet aber nur ein Kormoran. Mit bis zu 72 Metern ist der See der tiefste Norddeutschlands, Buchen-, Bruch- und Feuchtwald säumen seine Ufer. Kurzum: ein Traum.

Seedorf, Strandbad, 12 Uhr

Nach drei Kilometern Natur bietet Seedorf das Gefühl von Zivilisation. Der Gasthof am See hat einen Anleger. Machen wir, bei Currywurst und Pommes (sechs Euro), mit Sitzplatz am Ufer. Das benachbarte Strandbad sieht gut aus, wir müssen aber weiter.

Groß Zecher, Kutscherscheune, 15 Uhr

Letzter Halt nach weiteren drei Kilometern ist die Kutscherscheune in Groß Zecher, kurz hinter einem Ort, der Zuckerhut heißt. Eigener Anleger, vorzügliche Tortenauswahl (3,20 Euro das Stück). Der perfekte Abschluss! Jetzt schön langsam zurück ins Camp, auch mal treiben lassen, Druck rausnehmen. Die Expedition ins Tierreich genüsslich ausklingen lassen. Am Ende noch mal dem kreisenden Seeadler zuwinken. Ja, so hatten wir uns das vorgestellt, das wohldosierte Abenteuer.

Hamburg, 20 Uhr

Wir sind zurück. Und erzählen keinem, wie toll das alles war. Sonst fahren am Ende noch alle hin.