Das Abendblatt stellt die schönsten Ziele im Norden vor. Vierter Teil: eine Sommertour zu den Schlössern in Eutin, Bothmer und Gamehl.
Hans Caspar von Bothmer werde ich in knapp 36 Stunden kennenlernen, zuletzt wohnhaft in London, Downing Street 10. Dort residieren heute die britischen Premierminister.
36 Stunden sind Zeit, den Landsitz des Franz von Stralendorff zu erkunden, Bed & Breakfast inklusive.
Und bis dahin ist auch Gelegenheit, jene Gemächer zu besichtigen, in denen einst Katharina die Große lebte. Dort, wo früher Fürstbischöfe und Großherzöge Hof hielten, wenn draußen kein Schnee lag.
Kutsche oder Cabrio? Diese Frage stellte sich für die Hoheiten damals nicht, auch wenn sie bestimmt gern mit offenem Verdeck an ihren Alleen und Schlössern vorbeigedüst wären. Ich entscheide mich für ein 250 PS starkes Cabrio und nehme den Sommerwind mit.
36 Stunden – das ist ein entspannter Trip mit einer Zeitreise zu drei Schlössern: Eutin (Schleswig-Holstein), Bothmer (Klützer Winkel) und Gamehl (bei Wismar). Los gehts aber, damit der Motor warmläuft, mit einem Schloss im Kreis Stormarn.
Hamburg, 9 Uhr
So beginnt kurz nach neun Uhr die Fahrt auf der B 75 über Ahrensburg ins stormarnsche Tralau (bei Travenbrück). Es ist ein Privatschloss zum Verlieben, ganz versteckt am Ende eines abwärts führenden Weges. Leider kann Schloss Tralau (33 Zimmer, 752 Quadratmeter Wohnfläche) nicht besichtigt werden, aber von außen ist der Bau gut erkennbar. Architekt Hans Griesbach (1848–1904) hat ein bemerkenswertes Beispiel des Eklektizismus geschaffen, das Renaissance und Jugendstil vereint. Kunstwerke aus dem alten Schloss, dessen Anfänge auf das 14./15. Jahrhundert zurückgehen, befinden sich heute in der Bad Oldesloer Peter-und-Paul-Kirche (Kirchberg 4). Dort hängt im Altarraum die spätgotische „Tralauer Madonna“.
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Auf dem Weg nach Bad Oldesloe befindet sich am Rand der B 75 (Kneeden 8) die Traditionsfischerei Kneeden Quell Trave. Inhaber Thomas Jacobsen verkauft hier frischen und geräucherten Fisch. In großen Behältern mit Blubberwasser schwimmen Hechte, Saiblinge und Aale aus der Trave. Weil das Geschäft während der sommerlichen Ferienzeit weniger gut als im Winter läuft, macht der Fischer jetzt erst mal Urlaub. Ich komme im August wieder, versprochen. Dann am besten mit Kühltasche für den Frischfischkauf.
Eine Fahrstunde auf der A 1 später empfängt die Residenzstadt Eutin mit herzoglichem Glanz, und den repräsentiert, noch immer wehrhaft, das barocke Backstein-Schloss. Einst eine mittelalterliche Bischofsburg, entwickelte sich die Anlage zur Residenz der Fürstbischöfe aus dem Hause Schleswig-Holstein-Gottorf und der Großherzöge von Oldenburg. Die Besucher gleiten von einem möblierten Salon in den nächsten und begegnen immer wieder den großen Namen europäischer Geschichte.
Hier lebte sie nun, die Zofe Barbet Cardel. Was könnte sie alles über jene Begegnung im Jahr 1740 erzählen, als zwei Kinder hinter den dicken Schlossmauern einander zum ersten Mal sahen! Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst-Dornburg war damals gerade elf Jahre alt und in Eutin auf Besuch, als auch der zwölfjährige Herzog Karl Peter Ulrich von Schleswig-Holstein-Gottorf Gast auf dem Schloss war.
Aus dem Jungen wurde später der russische Zar Peter III. und aus der kleinen Sophie seine Gemahlin Katharina die Große. Ein Gemälde in einem Gästegemach, dem Katharinenzimmer, zeigt sie als altersmilde, reife Monarchin mit Staatsrobe und russischem Andreasorden.
Ihre Gouvernante Barbet Cardel könnte viel erzählen über jene Wochen, welche Sophie auf Einladung ihres Großvaters, Fürstbischof Christian August, in Eutin verbracht hatte. Dass sie bei ihrem späteren Gemahl schon als Kind eine „Neigung für den Wein“ feststellte. Dass sie mit ihrer Großmutter zwischen den Mahlzeiten Milchsuppe kochte, bei Tisch sich aber „sehr bescheiden“ zeigte, wie Katharina II. in ihrer späteren Biografie schrieb.
Barbet Cardel würde auch über die geheimen Treppen und Winkel auf dem Schloss berichten und von pittoresken Schranktüren, die bis heute schamhaft das Stille Örtchen verstecken. Als Referenz an die Gouvernante bietet das Schlossmuseum Sonderführungen über Barbet Cardel an.
Susanne Zirkel, Mitarbeiterin der Stiftung Schloss Eutin, führt durch die herzoglichen Gemächer, die exzellent erhalten geblieben sind. „Das Schloss“, sagt sie, „wurde vor allem als Sommerresidenz genutzt. Im Winter war es dagegen viel zu kalt.“
16 Uhr: Los gehts nach Gamehl
Inzwischen ist es 16 Uhr, und das Cabrio gleitet in knapp 90 Minuten von Eutin ins mecklenburgische Gamehl. Die Fahrt über Autobahn und Landstraßen ist ein Fest für die Sinne. Der azurblaue Himmel wölbt sich über den weiten Getreidefeldern; es duftet nach reifem Korn und feuchtem Laubgrün. Rechts abbiegen, sagt plötzlich die Stimme im Navigationsgerät. In dieser staubigen Straße machen sich gerade Frauen in Kittelschürzen in ihren Gärten zu schaffen. Am Ende des Weges erhebt sich strahlend schön das 1860 fertiggestellte neogotische Schloss, heute ein Hotel für 50 Gäste. Sein Erbauer: Franz von Stralendorff (1805–1883), ehemals herzoglich mecklenburgischer Kammerherr, Vizelandmarschall, Landrat und zweifacher Ehemann mit 20 Kindern.
Die Stunden auf Schloss Gamehl bieten ländliche Idylle pur. Motorenlärm? Großstadthektik? „Nicht bei uns“, sagt Hoteldirektor Matthias Rilling. Schwalben nisten unter den Dächern, und morgens weckt höchstens der erste Hahnenschrei vom Grundstück nebenan den schlummernden Hotelgast. Einigen Gästen, sagt der Hoteldirektor, sei diese Stille geradezu unheimlich. Sie nutzen, um mehr zu erleben, die günstige Lage für Ausflüge nach Schwerin, Wismar und Kühlungsborn. Auch ich fahre mit dem weißen Cabrio gegen 19 Uhr in die Ostseestadt, wo es zahlreiche gastronomische Angebote gibt. Die Büfetts der asiatischen Restaurants locken mit einem Preis von neun Euro. Aber die wären, stellt sich nach dem Verzehr heraus, in ein Fischgericht im schlosseigenen Restaurant Gamehl besser investiert gewesen. Doch leider schließt es bereits um 21.30 Uhr. Dafür taucht die untergehende Sonne das Meer in sanftrotes Licht. Nur ein restaurierter DDR-Grenzturm unterbricht in der glänzenden Abendsonne jäh die Urlaubsromantik. Er gemahnt an jene Zeit, als eine Flucht in den Westen tödlich enden konnte.
Der neue Tag
Der Morgen nach der Schlossnacht beginnt um neun Uhr mit opulentem Frühstück und Rundgang durch das 2008 eröffnete Hotel. Die 1945 enteigneten Eigentümer Georg von Wallis und Dagmar von Stralendorff-v. Wallis konnten ihren Besitz im Jahr 2000 zurückerwerben. „Während der DDR-Zeit drohte das Schloss zu verfallen, zum Glück ist es jetzt gerettet“, sagt der Hoteldirektor, als die Zeiger der Turmuhr auf elf stehen. Zeit, das Zimmer zu räumen. Zum Abschluss steht die Audienz mit Hans Caspar Bothmer (1656–1732) auf dem Programm. Vorher fahre ich mit dem Cabrio noch einmal an die Ostseeküste und treffe in Hohenwieschendorf auf polnische Erntehelfer. Sie pflücken für den norddeutschen „Erdbeerfürsten“ Glantz und seine Kunden die zuckersüßen Früchte. Jetzt heißt es erst einmal eine Naschpause einlegen.
Eine Allee führt schließlich zu Schloss Bothmer, der größten barocken Schlossanlage Norddeutschlands. Sie befindet sich im Besitz des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Nach der 36,5 Millionen Euro teuren Sanierung ist sie seit wenigen Wochen wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Graf Bothmer, Sprößling einer niedersächsischen Adelsfamilie, ließ diese Residenz vor knapp 300 Jahren bauen.
Der Besucher staunt allerdings nicht schlecht – denn er betritt 20 leere Räume. Zwar glänzen Gobelin-Zimmer, Festsaal und Marketiere-Kabinett mit architektonischer Ästhetik. Aber Mobiliar sucht der Gast vergebens. Es waren einfach zu viele Adelslinien, die hier logierten, um danach wieder ihr Hab und Gut einzupacken. Graf Bothmer hat sein Schloss übrigens nie gesehen, denn er diente 20 Jahre lang als Minister für deutsche Angelegenheiten am englischen Königshof. Statt auf Schloss Bothmer arbeitete er in London, Downing Street 10.
Nach einer Pause im Schloss-Café gehts zurück nach Hamburg. Am Ende zeigt der Tachometer rund 500 Kilometer mehr. Vier Schlösser in 36 Stunden? Geht doch!