Kiel. Beim 133. maritimen Volksfest werden 3,5 Millionen Gäste erwartet – neun Tage lang feiert die ganze Stadt das Mega-Event.

Michail Gorbatschow wird nicht kommen. 3,5 Millionen Gäste werden zur Kieler Woche erwartet, aber der ehemalige russische Präsident ist nicht dabei. Das weltgrößte Segel­ereignis startet am Sonnabend ohne ihn. Am Sonntag sollte der Friedensnobelpreisträger eigentlich mit dem renommierten Weltwirtschaftlichen Preis des Kieler Instituts für Weltwirtschaft ausgezeichnet werden. Die Verleihung ist fester Bestandteil des Kieler-Woche-Kalenders. Aber der 84-Jährige ist erkrankt und hat abgesagt. Er verpasst einiges. Zum Beispiel eine eigentlich ordentliche und vernünftige Stadt, die neun Tage lang ein ganz klein bisschen verrückt spielt.

Die Veranstalter sprechen vom größtem Sommerfest im Norden Europas

Die Kieler Woche ist gewiss ein Mega-Event, dessen Veranstalter diesen abgenutzten Begriff erfreulicherweise nicht verwenden. Stattdessen schreiben sie einfach, die „KiWo“ (wie sie kurz genannt wird) sei „die größte Segelsportveranstaltung der Welt und das größte Sommerfest im Norden Europas“.

Der Festspaß überwiegt eindeutig. 4000 Segler haben sich angekündigt, das ist nicht gerade wenig. Dennoch ist die Kieler Woche mehr und mehr zu einem Vergnügungspark geworden. Die Segel verschwinden hinter den Riesenrädern, den Geisterbahnen und den anderen Fahrgeschäften. Bei dieser 133. Kieler Woche wird das nicht anders sein. Zwar darf sich Kiel an der Seite von Hamburg als Austragungsort der Olympischen Spiele im Jahr 2024 bewerben. Diese Entscheidung ist allerdings erst vor zwei Monaten gefallen. Die Kieler-Woche-Planung war da schon längst fertig. Zwar umschreibt die Presseabteilung der Kieler Woche ihr Großereignis mit den Worten „Segeln, Feiern und Olympiafieber“, aber auf den Internetseiten (www.kieler-woche.de) spielen die Olympischen Spiele kaum eine Rolle. Die Homepage ist gar vollkommen frei von Olympiabegeisterung. Hier geht es nur um drei Dinge: Programm, Programm und noch mal Programm. Beeindruckende 2208 Einträge sind dort gelistet. Die Aufzählung beginnt mit dem 47. Internationalen ADAC-Kieler-Woche-Treffen, das die ADAC-Campingfreunde Schleswig-Holstein organisieren. Sie endet mit dem „Sternenzauber über Kiel“, dem großen Abschlussfeuerwerk an der Innenförde.

Schon die 134. Kieler Woche dürfte anders aussehen. 2017 wird in der peruanischen Hauptstadt Lima der Sieger im Wettbewerb um den Austragungsort der Olympischen Spiele 2024 gekürt. Die 2016er-Ausgabe der KiWo wird da notgedrungen zum Schaufenster: Was hat Kiel drauf? Jedenfalls will man bis dahin mehr olympischen Segelsport an der Förde anbieten.

In den vergangenen Jahren war von den weltbesten Seglern in diesen Bootsklassen kaum jemand dabei. Die Landesregierung hat deshalb erstmals ein Preisgeld ausgesetzt. 3000 Euro bekommen die Sieger.

Standortpolitik nennt man das. Ansonsten zeichnen sich die neun Tage der Kieler Woche durch die Abwesenheit von Politik aus. Der Landtag stellt seinen Betrieb nahezu komplett ein. Der mittlerweile berühmte Landeshaus-Paternoster, den die Landtagsverwaltung unter Missachtung einer neuen Verordnung aus dem Bundesarbeitsministerium gerade wieder zum Laufen gebracht hat, könnte problemlos abgeschaltet werden.

Abgeschaltet wird auch der Politikbetrieb der Stadt Kiel. Die Spaßfraktion übernimmt. Neun Tage lang gibt es nichts als Party. Im Norden ersetzt die Kieler Woche locker jeden Karneval, der Holstenbummel wird zum Rosenmontagszug. Die in aller Welt verstreuten Kieler kommen nach Hause, um alte Freunde wiederzusehen, um mit alten Freunden wieder zu feiern. Die Politiker sind nur noch eine Begleiterscheinung der Lustwandler.

Oberbürgermeister Uwe Kämpfer hetzt von Termin zu Termin, von Grußwort zu Grußwort, und weil er bei 2208 Veranstaltungen unmöglich überall selbst sein kann, hilft ihm die gesamte Stadtverordnetenversammlung. In diesen verrückten Tagen kennt man im Rathaus keine Parteien mehr, sondern nur noch Kieler. Kleiner Auszug aus der „Repräsentationsliste“: 17 Termine sind allein am kommenden Mittwoch wahrzunehmen, unter anderem der Empfang der Kieler Kaufmannschaft, der Oldtimer-Corso zur Kieler Woche und das 57. Internationale Kieler Gymnastiktreffen.

Es ist ein Empfangsmarathon, der am Sonnabend losgeht. Die offizielle Eröffnung ist für 19.30 Uhr terminiert. Auf der Rathausbühne wird natürlich Oberbürgermeister Uwe Kämpfer stehen, neben ihm der Schauspieler Axel Prahl („Tatort“) und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD).

Ihm fällt die Rolle des Eröffners zu. Es wird nicht leicht sein, sie besser zu spielen als seine Amtsvorgängerin Heide Simonis (SPD). Die sagte zum Start der Kieler Woche 1996: „Viel Spaß, und macht keinen Scheiß.“