Bad Segeberg. Walter Rothschild muss zum 30. April gehen. Der Schleswig-Holsteiner fühlt sich ungerecht behandelt und klagt vor dem Arbeitsgericht.

Ab 30. April hat Schleswig-Holstein keinen Landesrabbiner mehr. Walter Rothschild, zuständig für den jüdischen Landesverband Schleswig-Holstein mit den liberalen jüdischen Gemeinden Ahrensburg, Kreis Segeberg, Pinneberg, Elmshorn und Kiel, hat vom Vorstand des jüdischen Landesverbands die Kündigung zum 30. April erhalten. Somit ist die Stelle des liberalen Landesrabbiners ab 1. Mai vakant. Rothschild sieht die Kündigung jedoch nicht als rechtskräftig an und klagt vor dem Arbeitsgericht.

Der Landesverband argumentiert, die Kündigung sei ein völlig normaler Vorgang, zumal sich die Gemeinden einen russischsprachigen Landesrabbiner wünschten. Denn 90 Prozent der Mitglieder kommen aus russischsprachigen Ländern. Walter Rothschild jedoch vermutet sehr persönliche Gründe für seine Kündigung. Walter Blender, Vorsitzender des jüdischen Lan-desverbands und der Segeberger Ge-meinde, soll ihn gebeten haben, einer nichtjüdischen Frau schnell den Übertritt zum Judentum zu ermöglichen. Fest steht: Blenders Ehe ist seit Januar geschieden. Nun will er laut Rothschild wieder heiraten. Blender möchte, so sagt der geschasste Rabbiner, dass seine künftige Ehefrau zum Judentum übertritt. Walter Blender sagt dagegen klipp und klar: „Es gibt keine künftige Ehefrau.“

Walter Rothschild betont: „Ich habe versucht, die Ehe Blenders zu retten, aber ich habe mich geweigert, ein Konversionsverfahren einzuleiten, solange Blenders Ehe nicht auch religiös durch den Beit Din geschieden ist.“ Der Beit Din ist das Rabbinatsgericht. Normalerweise ist der Übertritt zum Judentum für Menschen ohne jüdische Wurzeln erst nach mindestens zwei Jahren möglich. Vor dem Übertritt werden die Kandidaten genau von einem Rabbiner oder mehreren Rabbinern geprüft. Sie müssen nicht nur exakte Kenntnisse der jüdischen Lebensgesetze vorweisen, sondern den Übertritt zum Judentum als innere Notwendigkeit empfinden.

Wenn aber ein Jude eine Nichtjüdin nach religiösem Ritus heiraten will, muss sie konvertieren. Walter Rothschild vermutet, sich mit der Weigerung, der Frau eine schnelle Konversion zu ermöglichen, letztlich die Kündigung eingehandelt zu haben. Vorweg gingen eine schriftliche Abmahnung und die Zustellung einer Missbilligung. „Dabei ging es zum einen um eine persönliche Angelegenheit und zum anderen um einen Streit zwischen zwei Familien, bei dem ich vermitteln wollte. Das war aber wohl nur von einer Seite gewünscht“, sagt Rothschild. Als er zum Holocaust-Gedenktag in Auschwitz war, habe er die Kündigung erhalten. „Nach zwölf Jahren Gemeindearbeit als Rabbiner“, sagt Walter Rothschild verbittert.

Seit zehn Jahren ist Walter Rothschild Landesrabbiner von Schleswig-Holstein. Bei der Weihung der Segeberger Synagoge Mishkan HaZafon (Synagoge des Nordens), auch Sitz des Landesverbands, wurde er Ende Juni 2007 von Rabbinerin Sylvia Rothschild, seiner Schwester, auch mit religiösem Ritus in sein Amt eingeführt. „Ich habe die Hoffnung, noch alles rückgängig zu machen, ich habe in Schleswig-Holstein doch noch so viel zu tun“, sagt Rothschild gegenüber dem Abendblatt.

Einen für Ende März anberaumten Schlichtungstermin zwischen Landesverband und Landesrabbiner habe der Vorstand ausgesetzt, weil der Gerichtsstand nicht klar sei. Für den Landesverband sei Kiel Verhandlungsort, für Rabbiner Rothschild Berlin, sein Wohn- und Lebensort, wo er auch als freiberuflicher Rabbiner tätig ist.

Der 1954 in Bradford/England geborene Theologe ist ein viel beschäftigter Mann. Er ist auch Rabbiner der liberalen Wiener Gemeinde Or Chadasch, betreut liberale Gemeinden in Köln und Freiburg/Breisgau, ist im jüdisch-christlichen Dialog aktiv und unter anderem Vorstandsmitglied der Union progressiver Juden in Deutschland. Zudem spielt er in der jüdischen Band Minjan Boys. Über das Judentum hat Rothschild mehrere Bücher geschrieben; promoviert hat er über die Eisenbahn von Damaskus durch die Region Palästina bis Kairo.

„Ich wurde von der Kündigung völlig überrascht. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, es gibt keinen Grund, mir zu kündigen“, sagt Schleswig-Holsteins Landesrabbiner. Er habe bis jetzt keine für ihn plausible Begründung der Kündigung erhalten. „Wir haben uns aufrichtig für seine Arbeit bedankt“, schreibt Walter Blender, seit Gründung des Landesverbands im Jahr 2002 erster Vorsitzender des Verbands, in einer E-Mail an das Hamburger Abendblatt. Ohnehin sei nur ein Zeitfenster von zehn Jahren „angepeilt“ gewesen. Das sei nun um.

„Es ist in vielen jüdischen Gemeinden normal, einen Rabbiner nach fünf bis sieben Jahren zu wechseln“, sagt Walter Blender auf Anfrage. Der Vorstand wünsche sich jetzt einen Rabbiner, der den Gottesdienst auch auf Russisch halten könne. Denn etwa 90 Prozent der 800 Mitglieder seien russischsprachig. Auf keinen Fall habe die Kündigung persönliche Gründe. „Es gibt keinen Antrag auf ein Konversionsverfahren“, wehrt sich Walter Blender gegen Rothschilds Argumentation und bekräftigt: „Es ist alles ein ganz normaler Vorgang.“ Nun hat ein Arbeitsrichter das Wort.