Lübeck. 3500 Polizisten sollen gewalttätige Proteste beim G7-Gipfel verhindern. An der Spitze des Widerstands steht ein Spielwarenhändler.

Rund drei Wochen vor dem Treffen der G7-Außenminister in Lübeck steigt die Nervosität in der Stadt und im Land. Der schleswig-holsteinische Innenminister Stefan Studt (SPD) musste auf Druck der Opposition im Kieler Landtag seine Teilnahme an einer Reservistenübung absagen, die zeitgleich zum Gipfeltreffen stattfinden sollte. Und die Lübecker Polizei hat ihre Einsatzvorbereitungen aktualisiert. Ursache: Die Ausschreitungen während der Demonstrationen bei der Eröffnung der Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt. In der Hansestadt ist die anfängliche Freude über den Besuch der sieben Außenminister mittlerweile einer gewissen Sorge gewichen: Werden die Demos gegen das Treffen am 14. und 15. April so schlimm wie die Proteste in Frankfurt?

Hoffentlich nicht, sagt Thomas Nommensen, der Lübecker Kreisvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Aber zugleich befürchtet er, „dass es bei den Gegendemonstrationen in Lübeck zu ähnlichen Gewaltakten von sogenannten Aktivisten aus ganz Europa kommt, die sich unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit zusammenrotten könnten, um Polizeikräfte unter Inkaufnahme schwerster Verletzungen anzugreifen“.

Befürchtungen gibt es auch auf der Gegenseite. Christoph Kleine, Sprecher eines Bündnisses namens „Stop G7 Lübeck“, findet die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei vollkommen übertrieben. „Und das alles nur, um sieben Personen zu schützen“, sagt er. Der Stadt drohe ein „Belagerungszustand“. Kleine ist bundesweit als Demonstrant unterwegs. Im Zivilberuf ist er Chef eines Spielwarenvertriebs, der „Trullala“ heißt und „alles rund ums Kaspertheater“ vertreibt – natürlich auch die dazugehörigen Puppen, also den Kasper, den Wachtmeister und das Krokodil.

Mehr Aufsehen hat zuletzt aber Kleines Einsatz in Frankfurt erregt. Dort trat er als Sprecher der „Block­upy“-Bewegung auf. Eine klare Verurteilung der Gewalttaten war von ihm nicht zu hören. Rund 100 Polizisten und Feuerwehrleute wurden verletzt, Polizeiautos gingen in Flammen auf. „Das war nicht das, was wir geplant hatten“, sagte Kleine hinterher nur.

Was in Lübeck geplant ist, bleibt unklar. Eine Untergruppe von „Stop G7 Lübeck“, die sich „Block G7 Lübeck“ nennt, will offenbar Zufahrtswege blockieren. Der DGB ruft zu einer Kundgebung auf, die Linke ebenfalls, die DKP zu einer weiteren. Doch ein paar Fakten sprechen dafür, dass die Zahl der Demonstranten nicht an die in Frankfurt heranreichen wird. Dort waren es etwa 17.000. Selbst Kleine rechnet für Lübeck mit ganz anderen Dimensionen. „Wir haben für unsere Demo am 14. April 1000 Teilnehmer angemeldet.“ Eine europaweite Unterstützung wie in Frankfurt, wo es gegen die EZB ging, dürfte es in Lübeck nicht geben – zumal sich die Außenminister mitten in der Woche treffen, was die Anreise erschwert.

Die Polizei, die sich seit Oktober auf den Ernstfall vorbereitet, rechnet derzeit mit 3000 Demonstranten und Einsatzkosten von zehn Millionen Euro. Sie hat eine Urlaubssperre verhängt und will mit 3500 Kräften vor Ort sein. Die G7-Staaten – Großbritannien, USA, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und Deutschland – werden zusammen etwa 500 Teilnehmer in die Hansestadt entsenden. Hinzu kommen rund 1000 Journalisten, die über den Gipfel berichten.

Kein Wunder, dass Lübecks Polizeichef Heiko Hüttmann sagt: „Es gab hier noch keine Veranstaltung dieser Größenordnung.“ Den Lübeckern muss er einiges zumuten. Zwei Bereiche der Altstadt-Insel werden zur Sperrzone, die anderen Teile dürfte durch Demonstrationen blockiert sein. Die Lübecker Kaufleute sorgen sich schon um die Umsätze, die an den Tagen des Gipfeltreffens in den Keller fallen werden. Joachim Gutt, der stellvertretende Landespolizeidirektor, sagte am Mittwoch im Innenausschuss des Landtages: „Wir rechnen mit Blockaden und anderen fantasievollen Aktionen. Wir rechnen nicht mit Gewalt gegen Menschen, aber schon mit Gewalt gegen Sachen.“ Klar sei: „Wir werden nicht provozieren.“

Hinter all dem verschwindet, worum es in Lübeck eigentlich geht. Die Außenminister wollen über aktuelle politische Themen sprechen, unter anderem steht wohl die Ukraine-Krise auf der Tagesordnung. Was ist daran schlecht, Christoph Kleine?

„Frieden schafft man nur, wenn man mit den Konfliktparteien redet, und Russland haben sie ja rausgeworfen aus dem G8-Club“, meint er. „Aber egal, ich bin auch gegen G8. Da reden nur die mächtigsten und reichsten Länder miteinander.“ Hätten denn die schwächsten und ärmsten Länder bessere Chancen, das Ukraine-Problem zu lösen? „Das Thema gehört in die Uno“, sagt Kleine. Die G7 seien eine Institution ohne jegliche Legitimation. Kleine: „Das Treffen in Lübeck ist doch nur eine reine Medienpräsentation, die dem Bürgermeister Bernd Saxe zu ein paar schönen Fotos im Kreis der Mächtigen verhilft.“

Wird an der Trave also ein von 3500 Polizisten geschütztes Kaspertheater aufgeführt? „Trullala“-Chef Kleine sieht es offenbar so. Bürgermeister Saxe trägt einiges dazu bei. Mitte März, als sechs Demos gegen den Gipfel angemeldet waren, scherzte er gegenüber den Kieler Nachrichten: „Vielleicht werden es auch sieben – es ist ja schließlich das G7-Außenministertreffen.“

Kurz darauf ging sein Wunsch in Erfüllung. Er wurde sogar übererfüllt: Der G7-Gipfel in Lübeck wird nun von acht Demonstrationen begleitet.