Wibbese. Die Bundesregierung und Beobachter der Szene warnen vor den „Völkischen Siedlern“. Ökologie als Teil von Rechtsextremismus.

Das Wendland zwischen Elbe und Gorleben gilt als Idyll: Wahlheimat von künstlerischen Großstadtflüchtlingen, mit den Ur-Wendländlern vereint im Kampf gegen Atomkraft und Zwischenlager. Doch dieses Idyll hat Risse bekommen. Offensichtlich ziehen vermehrt Rechtsradikale her. Ein Ehepaar im Wendland-Dorf Wibbese macht dagegen mobil.

Olaf Meyer, 43, ist Sprecher der „Antifaschistischen Aktion Lüneburg“. Offen wie kaum jemand sonst, äußert er sich zu rechtsradikalen Strukturen in der Region. Angefangen Mitte der Achtziger Jahre bei autonomen Gruppen, steckt Meyer seine Kräfte seit 1999 in die systematische Beobachtung der rechten Szene. Warum sich Rechtsaußen in Richtung Land orientieren, erklärt er so: „Manche lehnen das Urbane ab und suchen die Ruhe, um dort unerkannt politisch zu agieren. Hinzu kommt, dass ihnen in der Stadt zu viele Menschen anderer Herkunft leben.“

Nach Meyers Beobachtung ziehen vor allem Jüngere aus der rechten Szene hierher, die sich vom alternativen Leben angesprochen fühlen, jedoch weniger organisiert sind in Kameradschaften oder Parteiarbeit. „Ökologie war schon immer Teil von Rechtsextremismus“, sagt Meyer, „dann in der Terminologie von ,Blut und Boden’. Die These: Ein gesunder deutscher Mensch lebe in einer gesunden Umwelt und sorge für gesunden deutschen Nachwuchs.“

Über sogenannte „Völkische Siedler“ informiert eine Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung, gefördert vom Bundesinnenministerium. Die Stiftung fördert „Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur“. „Rechtsextreme versuchen seit Jahren den ländlichen Raum mit der vermeintlich ,intakten Volksgemeinschaft’ gegen die städtische ,Multikulti’-Globalisierung als Alternative in Stellung zu bringen und untermauern dies durch strategische ,Raumgreifungsversuche’ und Immobilienkäufe“, heißt es darin. Ziele seien eine „langfristige Beeinflussung der Alltagskultur“ und der Aufbau eines „autarken, nationalen Wirtschaftsnetzwerks“.

Die Bundesregierung sehe „die Gefahr, dass die Völkischen Siedler versuchen, durch aktive Mitwirkung in regionalen Ökologieprojekten sowie in Vereinen, Erziehungseinrichtungen, Kirchenstrukturen und anderen Gruppen ihre Akzeptanz zu erhöhen und gleichzeitig ihre teils rassistische Ideologie zu verbreiten“.

Barbara Karsten und Knut Jahn sagen, sie erleben so etwas Ähnliches direkt vor ihrer Tür. Vor fünf Jahren hat sich das Paar ein kleines Holzhaus im Wendland gekauft. Vor einem Jahr kamen die neuen Nachbarn. Einen, der sich „vor Zeugen selbst als Nationalsozialisten bezeichnet“, erzählt Knut Jahn, 70. Vorigen Sommer seien bei Wiesenfesten, Volksmusik und Freibier immer wieder viele Menschen mit Tattoos nebenan zu Besuch gewesen: mit Reichsadlern, keltischen Symbolen und NS-verwandten Runen, erzählt das Paar. „Wir fühlen uns umzingelt.“

Doch vor dem neuen Alltag will es nicht fliehen. Das Paar sieht sich als Speerspitze des Widerstands im Wendland – nicht gegen Atom, sondern gegen Faschismus. „Wir wollen uns entgegensetzen“, sagt Barbara Karsten, 67. „Reißaus nehmen? Dann bekommen sie, was sie wollen. Wir wollen Öffentlichkeit für die Situation hier.“

Ein junges Paar, laut Olaf Meyer der rechten Szene rund um die Neonazi-Hochburg Jamel bei Wismar, der NPD- und Kameradschaftsszene zugehörig, sei nach ein paar Monaten im Dorf wieder weggezogen. „Wir haben dafür gesorgt, dass es nicht Fuß fassen konnte“, erzählt Barbara Karsten. „Wir haben Arbeitgeber und andere über deren Gesinnung informiert.“Die berühmte „Kulturelle Landpartie“ im Wendland im Frühling war bereits voriges Jahr mit Plakaten versehen: „Schöner leben ohne Nazis“ stand darauf. Für dieses Jahr wollen die Wendländer noch mehr Mobilmachung: Barbara Karsten und Knut Jahn planen mit Hilfe der Amadeu Antonio Stiftung einen Infopunkt zum Thema Rechtsextremismus – auf ihrem Grundstück.

Vor fast einem Jahr hatte die „Antifa“ im Wendland eine erste Informationsveranstaltung organisiert, auch die Polizei war dabei. „Wir haben die Situation im Sinne des polizeilichen Staatsschutzes im Auge“, sagt Kai Richter von der Polizeiinspektion in Lüneburg. Die neuen Wendländer Nachbarn seien teilweise bei Veranstaltungen der Szene außerhalb der Region aufgetreten. An ihrem Wohnort selbst würden sie sich jedoch nicht öffentlich äußern.

Der parteilose Landrat Jürgen Schulz nimmt Hinweise auf Rechtsextremismus ernst, schränkt aber ein: „Durch das Grundgesetz gezogene Grenzen sind dabei jedoch zu beachten. Hierzu zählen unter anderem die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Recht auf Meinungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Erkenntnisse, dass sich in Wibbese tatsächlich Aktivitäten entwickeln, die über diesen Rahmen hinausgehen, liegen derzeit nicht vor.“