Wandsbek. Der Bezirkspolitiker Ingo Voigt gibt zu, für NPD-Organe geschrieben zu haben - er habe es aber getan, weil seine Familie bedroht wurde.

Der Wandsbeker SPD-Abgeordnete Ingo Voigt steht unter Nazi-Verdacht. Der mit der Kommunalwahl im vergangenen Jahr in die Bezirksversammlung Wandsbek gewählte Poppenbütteler Rechtsanwalt soll in der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ publiziert und einen lobenden Nachruf auf den 2009 verstorbenen NPD-Funktionär Jürgen Rieger verfasst haben, in dem er sich „in Hochachtung vor dem Menschen und Anwalt Rieger“ verneigte. Die Wandsbeker SPD-Fraktion hat Voigt um Stellungnahme gebeten. Noch am Dienstagabend legte Voigt sein Mandat als Abgeordneter nieder.

„Die Zitate sind schon merkwürdig und werfen Fragen auf“, sagte der Wandsbeker SPD-Fraktionsgeschäftsführer Marc Buttler. „Aber wir warten die Stellungnahme ab und überlegen dann, was zu tun ist.“ Buttler hatte noch bis 2014 eine gemeinsame Kanzlei mit Voigt.

Der linksalternative Online-Blog "publikative.org" hatte zuerst über die Beiträge Voigts für die Neonazis berichtet und den Fall aufgedeckt. Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung eines Urteils für die NPD-Zeitung sowie einen zweieinhalbseitigen Nachruf im Gedenkband „Rieger – ein Anwalt für Deutschland“, der dem Abendblatt vorliegt. Darin lobt Voigt diverse Neonazis und schreibt, dass es ihm „eine Ehre“ gewesen sei, die Abwicklung der Geschäfte von Rieger zu übernehmen.

Voigt bestätigte diese Veröffentlichungen auf Abendblatt-Nachfrage. An den Inhalt könne er sich nicht mehr erinnern. Er habe die Beiträge gar nicht selbst geschrieben. Voigt hat nach eigener Aussage nur seinen Namen dafür gegeben, um den Konflikt mit Mitgliedern der rechtsextremen Szene zu beruhigen. „Meine Familie und ich sind bedroht worden“, sagte Voigt, der zwei junge Kinder hat. Über die Drohungen schreibt er auch im Nachruf auf Rieger.

Der Strafrechtler Voigt war nach dem Tode Riegers 2009 von der Anwaltkammer zum Abwickler der Rieger-Mandate bestellt worden – eine Verpflichtung der Kammer, die nur in Ausnahmefällen abzulehnen ist. Die Kammer selbst wollte sich zum konkreten Fall nicht äußern. Zwar hätte Voigt Beschwerde bei der Kammer einreichen können, wäre aber bis zur Entscheidung darüber wirksam eingesetzt und deshalb haftbar für Fristabläufe gewesen. Deshalb nahm er die damals noch laufenden Verfahren der Kanzlei an.

Zunächst sei alles gut gegangen, aber als er im Namen der Erben Rechnungen für seine Arbeit stellte, habe er Drohungen aus der rechten Szene bekommen. Mit Mails, Postsendungen und Anrufen seien er und seine Frau „terrorisiert“ worden, unter anderem mit dem Hinweis, dass Kinder „auch mal wegkommen können.“ Es habe Morddrohungen gegeben.

Voigt erhebt Vorwürfe gegen Polizei und Verfassungsschutz, die ihm nicht geholfen hätten. „Sie sagten, dass sie warten müssten, bis etwas passiert ist“, sagte Voigt. Das schien dem Anwalt wenig verlockend. „Es gab dann das Angebot, durch Beiträge in rechten Publikationen die Lage zu beruhigen“, sagte er. Das habe er schließlich auch auf Anraten der Hamburger Sicherheitsorgane gemacht. Die Erben Riegers hätten zudem in Anbetracht seiner Lage darauf verzichtet, offene Forderungen bei Mandanten einzutreiben. Der Hamburger Verfassungsschutz kann auf Nachfrage des Abendblatts grundsätzlich keine Angaben zu Einzelfällen machen. Ein Sprecher wies jedoch zurück, dass Sicherheitsbehörden jemals zu einer Veröffentlichung von Artikeln in Neonazi-Publikationen raten würden - und sei es nur zum angeblich besseren Schutz einer bestimmten Person.

In seinem Nachruf auf Rieger mutmaßte Voigt, dass Rieger etlichen Mandanten möglicherweise nie Rechnungen geschickt habe. Voigt schrieb die Drohungen aber fast im selben Atemzug den „vielen Neidern“ Riegers zu. Voigts Beitrag bemüht sich um eine „saubere Trennung“ zwischen dem Politiker und dem Rechtsanwalt Rieger, dem er „außerordentlichen Scharfsinn, ein phänomenales Gedächtnis“, und einen „freundschaftlichen Umgang“ mit Ausländern und Andersdenkenden bescheinigte. Er habe viele Menschen verteidigt, die von anderen Anwälten abgelehnt worden waren und sein Prinzip, „Anwalt für Deutschland“ zu sein, wirklich gelebt. Voigt dankte auch anderen Neonazi-Größen wie Udo Voigt und dem unter anderem wegen Gewaltdelikten verurteilten Thomas Wulff für ihre „unkomplizierte Unterstützung.“

Wie Voigts SPD-Mitgliedschaft mit der Ideologie Riegers in Einklang zu bringen sein soll, bleibt ein Rätsel. Rieger verteidigte vor allem Rechtsextremisten und war selbst als Holocaustleugner bekannt. Er vertrat offen völkisch-rassistische Ideologien in der Tradition der Nationalsozialisten, die sogar manchen in der NPD zu radikal waren. Rieger führte seit 2006 die Hamburger NPD und wurde auch Bundes-Vize. Immer wieder erwarb er Immobilien, die der Neonazi-Szene als Treffpunkte dienten.

Ob Voigt heute wieder so handeln würde, wisse er nicht, sagte der SPD-Politiker. „Es hat sehr konkrete Drohungen gegeben und die Aussicht, die Lage mit einigen definitiv nicht ausländerfeindlichen Äußerungen relativ einfach zu befrieden. Da habe ich dann das Pragmatische getan.“ Er sei froh, dass diese Episode Vergangenheit sei und er keinerlei Kontakt mehr zur rechten Szene habe.

Dass er mit seinem guten Namen für die schlechte Sache geworben habe, wollte Voigt so nicht stehen lassen. Die Beiträge wären ohnehin nur von Rechtsextremen gelesen worden. Die Vorgänge hätten seine Persönlichkeit nicht verändert. „Ich bin mir treu geblieben. Wenn es eine andere Möglichkeit gibt, macht man das nicht wieder.“