Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde: Für Norbert Belz sind Schafs-Herde und Hund mehr Hobby als Broterwerb. Es geht auch um den Erhalt einer Tradition.

Haseldorf. Zwar würde Schnee die Weihnachtsstimmung der Menschen zusätzlich heben, für die 60 Schafe am Haseldorfer Deich jedoch wäre er weniger gut. So haben sie auch zu Weihnachten reichlich zu futtern. Würde es keine Fresskonkurrenz durch Tausende Wildgänse geben, könnte das Leben für die wandelnden Wollknäuel geradezu paradiesischer Natur sein. Auch das gräuliche Wetter bringt aus tierischer Sicht Pluspunkte: Da sich kaum Spaziergänger in die Marsch traut, kann in Seelenruhe gegrast werden.

Und weil Border Collie Shawn ein vertrauter Geselle ist, kann die Herde die Zeit vor dem Heiligen Abend friedlich genießen. Während sie das für den Dezember ungewöhnlich saftige Gras abrupft und genüsslich mampft, hat Schäfer Norbert Belz trotz der vielen Arbeit ein Auge frei für die Idylle dieser Tage. Norddeutscher geht’s nimmer: plattes Land, durchzogen von Kanälen, knorrige Bäume, zerzauste Sträucher, ein Anflug von Nebel. In ein paar Hundert Metern Entfernung nimmt die Elbe ihren Lauf.

Oben auf der Deichkrone kann sich der Hirte mit seiner Weste, dem Filzhut und dem selbst geschnitzten Holzstock wie ein kleiner König fühlen. Dennoch lässt der nasskalte, böige Wind frösteln. „Jetzt etwas Warmes“, lockt Norbert Belz und weist den Weg. Am Fuße des Deichs, auf der anderen Straßenseite, ist der Schäfer mit seiner Familie zu Hause. In der Nachbarschaft wohnt auch Uwe Schölermann, Bürgermeister der 1693 Einwohner umfassenden Gemeinde im Kreis Pinneberg. Die im 13. Jahrhundert errichtete St.-Gabriel-Kirche ist erhabener Mittelpunkt des schmucken Dorfs westlich von Hamburg.

In der gemütlichen Wohnküche brüht Norbert Belz Kaffee auf. Ehefrau Marion stellt Schokokekse auf den Holztisch und setzt sich dazu. Schließlich kümmern sich beide um den Betrieb mit den drei Geschäftssäulen. Und wenn Lammzeit ist, so wie Anfang des Jahres, legen auch die beiden Töchter mit Hand an.

„Mit der Schäferei lässt sich für uns fast kein Geld verdienen“, macht der 59-Jährige von Anfang an klar, „sodass sie mehr einem Hobby gleichkommt.“ Der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann, dessen Eltern einst aus Pommern nach Haseldorf kamen, ist hauptsächlich im Vertrieb von Futtermitteln im Einsatz. Sein Arbeitgeber ist die Firma Trede & von Pein in Itzehoe. Erwerbsquelle Nummer zwei ist die Pferdezucht. Auf 27 Hektar Land erwirtschaftet die Familie Belz Heu und Silage. Ohne volles Engagement von allen geht gar nichts.

In den Stallungen nebenan stehen acht Pferde, davon zwei trächtige Zuchtstuten. Ihre Fohlen werden im Mai erwartet. An den Stalltüren hängen alle möglichen Siegplaketten: Abkömmlinge der Belz-Zucht waren bei der Weltmeisterschaft für junge Pferde, bei Nationenpreisen und im Rahmen des Deutschen Springderbys in Hamburg-Klein Flottbek erfolgreich im Parcours. Die Familie hat sich einen guten Ruf in der Springreiterszene erworben.

Aber nun zum Thema Schäferei. Im Auftrag des Oberdeichgrafs Prinz Udo, der mit seiner Familie derer von Schoenaich-Carolath-Schilden auf dem Gutshof Haseldorf lebt, kümmert sich Norbert Belz mit seinen 60 Suffolk-Schafen um einen gut einen Kilometer langen Deichabschnitt. Dieser ist in Parzellen unterteilt. Schäfer Belz und der sechsjährige Collie Shawn, sein „bester Mitarbeiter“, müssen die Herde regelmäßig umsetzen. Job der grasenden Vierbeiner: Rasen mähen und die Erde festtreten, um so zur Sturmflutsicherheit beizutragen. „Goldener Huf“ wird dieser tierische Einsatz genannt. Der Prinz verpachtet einen erheblichen Teil seines Grünlandes an Schäfer und Landwirte. In der Haseldorfer Marsch sind drei Schäfer aktiv. Die Herde des Kollegen an der Hetlinger Schanze direkt am benachbarten Elbufer umfasst sogar mehr als 1000 Mutterschafe.

Die Familie Belz besaß noch vor rund 20 Jahren 250 Schafe. Der Rückgang um mehr als 70 Prozent basiert auf diversen Problemen. Norbert Belz legt die Fakten frank und frei auf den Tisch. Mit der pauschalen Beweidungsprämie von 700 Euro im Jahr komme er nicht weit. Wenn die Tiere die Lammzeit im Januar und Februar im Stall verbringen, fressen sie Heu und Kraftfutter.

Derzeit sind alle 60 Tiere tragend. Verantwortlich dafür sind zwei Zuchtböcke, die mit je 500 Euro zu Buche schlagen. Um Inzucht zu verhindert, müssen die Böcke alle zwei Jahre ausgetauscht werden. Im Schnitt bringt jedes Muttertier 1,8 Lämmer zur Welt. Diese werden auf dem freien Markt verkauft. Im Januar kommt ein professioneller Schäfer, der die Tiere schert. Über den Daumen gerechnet, erbringen die 60 Schafe 200 Kilogramm Wolle. Den Erlös, insgesamt rund 200 Euro, erhält der Helfer.

Zuletzt im November traf sich der Schafzuchtverband des Landes Schleswig-Holstein in Neuenbrook im Kreis Steinburg zur jährlichen Hauptversammlung. Die zwei Dutzend Schäfer im Gasthof Strüven führten vor allem Klage über eine Plage, die der Zunft immer ärger zu schaffen macht. „Die Zahl wilder Gänse nimmt dramatisch zu“, sagt Norbert Belz. „Bei uns sind es viele Tausend, die den Schafen das Gras wegfressen.“ Außerdem sorgen sie für Unrat und damit für Salmonellengefahr. Folge: „Unsere Schafe werden nicht mehr satt.“ Sie müssen in der Frostperiode länger und früher in den Stall.

„Schafhaltung und Deichpflege bringen mehr Arbeit als Geld“, weiß Marion Belz. „Aber wir hängen auch aus Traditionsgründen daran.“ So sehr, dass nicht jedes Lämmchen verkauft wird. So wie der kleine Mozart. Er wurde mit der Nuckelflasche aufgezogen und gehörte lange zur Familie.