Der Tunnel durch den Fehmarnbelt soll Dänemark und Deutschland enger verbinden und Rekorde brechen. Norddeutschland wird von dem Bau profitieren – beim Tourismus, im Güterverkehr, am Arbeitsmarkt.
Das Fundament für ihren Erfolg haben Jesper Hovmand-Simonsen, seine Frau Susanne und ihre Mitarbeiter selbst gelegt. 2007 stellte das Ehepaar sein Gut Knuthenlund auf ökologischen Landbau um und machte daraus einen der größten Höfe in Dänemark, der nach diesen strengen Standards produziert. Das 1000-Hektar-Anwesen mit mehreren Hundert Tieren auf der süddänischen Insel Lolland wurde in der Gastronomie vor allem für seine Schaf- und Ziegenkäse bekannt, die oft ausgezeichnet wurden. Auch der Tourismus spielt auf dem 1729 gegründeten Gut eine wichtige Rolle: Rund 35.000 Menschen aus vielen Ländern besuchten Knuthenlund in diesem Jahr.
Damit ihr Unternehmen weiter wachsen und gedeihen kann, hoffen die Gutsbesitzer auch auf den Tunnel durch den Fehmarnbelt. Mit dessen Bau will Dänemark im kommenden Jahr beginnen. 2021 sollen Autos und Züge zwischen Lolland und Fehmarn fahren. „Der Export unserer Produkte ist heutzutage langwierig und kompliziert“, sagt Hovmand-Simonsen, 42, der auf dem Hof jüngst eine traditionell arbeitende Getreidemühle mit 3000 Tonnen Jahreskapazität errichtet hat. Entweder würden die Waren des Gutshofes in Richtung Europa über die dänischen Inseln Seeland und Fünen sowie über Jütland exportiert. Oder aber per Lkw und Fähre von Rødbyhavn nach Puttgarden und dann über das deutsche Festland. „Beides ist unpraktisch und bringt oft Verspätungen. Wenn unser Großhändler in Belgien Käse aus Sizilien bezieht, kostet ihn das nicht mal den halben Transportpreis, den er für Ware von uns aus Dänemark zahlen muss.“ Auch bei den Gästezahlen wäre eine feste Querung des Fehmarnbelts ein großer Fortschritt: „Wir rücken mit diesem Tunnel näher an Norddeutschland und an ganz Europa heran“, sagt Hovmand-Simonsen. „Wir versprechen uns sehr viel davon.“
Es ist derzeit das größte Verkehrsprojekt in der Europäischen Union. Seit den 90er-Jahren laufen Diskussionen und Vorplanungen für eine feste Querung des Fehmarnbelts. Nachdem zunächst eine Brücke favorisiert worden war, soll es nun ein sogenannter Absenktunnel werden. Mit 17,6 Kilometern Länge wäre es der längste, der bislang je realisiert worden ist. Das dänische Staatsunternehmen Femern A/S plant und organisiert den Bau und das nötige Kapital. Rund 6,2 Milliarden Euro kostet das Bauwerk nach der jüngsten Schätzung. Für die Rückzahlung der Kredite aus den Einnahmen von Bahn- und Straßenmaut veranschlagt Femern A/S etwa 32 bis 37 Jahre, je nach Höhe der notwendigen Rückstellungen. Die Planer erwarten eine Förderung der Europäischen Union von mindestens 18 Prozent der anfallenden Baukosten.
Das östliche Dänemark mit den Inseln Seeland, Falster, Lolland und Møn setzt große Hoffnungen auf die Realisierung. Mit der Öresundbrücke, die seit 2000 das schwedische Malmö und Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen verbindet, und der festen Beltquerung wäre die Region erstmals auf einem kurzen Straßen- und Schienenweg an Europa angebunden. Speziell Lolland und Falster wollen mithilfe einer festen Beltquerung wirtschaftlich aufholen. „Das ist nicht nur eine Verbindung zwischen Fehmarn und Lolland, sondern eine Verbindung zwischen Skandinavien und Europa“, sagt Lollands Regionalbürgermeister Holger Schou Rasmussen, 49. „Die Fehmarner waren für uns immer Freunde. In sieben Jahren, wenn der Tunnel fertig ist, werden sie für uns auf Lolland auch Nachbarn sein.“ Der Politiker hofft, dass die Verkehrsader die Wirtschaft belebt, dass damit auch die Landflucht in seiner 43.000 Menschen zählenden Gemeinde eingedämmt wird: „Vor allem junge Leute mit guter Ausbildung sind hier in den vergangenen Jahren abgewandert.“
In Ostholstein allerdings, von der Lübecker Bucht bis zum Fährhafen Puttgarden auf Fehmarn, fürchten viele Anrainer und Unternehmen aus der Tourismusbranche die Folgen der festen Querung: verstärkten Transitverkehr auf der Straße wie durch Güterbahntransporte, die Entwertung von Häusern und Grundstücken, irreversible Schäden an der Natur. Die Umweltorganisation Nabu, die auch die Vertiefung von Weser und Unterelbe juristisch blockiert, will am Fehmarnbelt dazu beitragen, „das nächste Milliardenprojekt mit erheblichen Auswirkungen auf die Meeresökologie und die Haushalte beider Länder“ zu verhindern. Auch die Reederei Scandlines, Betreiber der Fähren zwischen Rødbyhavn und Puttgarden, leistet Widerstand. Sie hält ihn für wirtschaftlich sinnlos und die eigenen Transportangebote für langfristig attraktiver.
Deutsche Politik steht hinter dem Projekt
Die deutsche Politik hingegen steht hinter dem Projekt, wie auch der größte Teil der regionalen Wirtschaft. Den Bau des Tunnels durch die Ostsee und die Hinterlandanbindungen auf deutscher Seite regelt ein Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark. Er wurde 2008 unterzeichnet und 2009 von beiden Ländern ratifiziert. Die Regierung von Schleswig-Holstein, derzeit geführt von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), versicherte in verschiedenen Parteikonstellationen während der vergangenen Jahre immer wieder ihre Unterstützung für die feste Fehmarnbeltquerung. Die deutsche Position im Dialog mit Dänemark ist eindeutig: „Es geht hier nicht nur um Güter, sondern vor allem um Menschen“, sagt Claus Robert Krumrei, 59, Deutschlands Botschafter in Kopenhagen. „Die feste Fehmarnbeltquerung zeigt anhand eines einzelnen Projektes praktisch und symbolisch, was wir in der Europäischen Union im Großen tun. Der Transport von Waren wird mithilfe dieser Verbindung ebenso zunehmen wie der Austausch am Arbeitsmarkt über die Grenze unserer Länder hinweg.“
Auch Hamburgs Regierung stellt die Vorzüge des Projekts heraus. „Die Metropolregionen Hamburg und Kopenhagen durch eine feste Fehmarnbeltquerung enger miteinander verbinden zu können ist eine Riesenchance“, sagt Wirtschafts- und Verkehrssenator Frank Horch (parteilos). „Man muss nicht über die Grenze schauen, um zu verstehen, welchen Nutzen solche Verbindungen bringen. Man muss sich nur die heutige Nähe zwischen Hamburg und Berlin vor Augen halten, vor allem durch den Ausbau der ICE-Verbindungen der Deutschen Bahn nach der deutschen Einheit.“ Der Schienenweg von Hamburg nach Kopenhagen wird im Vergleich zur heutigen Route über Jütland um 160 Kilometer kürzer sein. Mit einem direkten Schnellzug beträgt die Fahrzeit im Personenverkehr dann zwei Stunden und 40 Minuten. Heutzutage sind es zwei Stunden mehr – mit der bestmöglichen Verbindung.
Insgesamt wird der Fehmarnbelt mit einem Tunnel für den Verkehr durchlässiger. Wer auf den Zug angewiesen ist, sollte heutzutage, aus Dänemark kommend, nicht später als 19.15 Uhr am Bahnhof in Puttgarden stehen – der nächste Zug fährt erst um 5.19 Uhr. Von Rødbyhavn nach Kopenhagen immerhin geht der letzte Zug um 22.29 Uhr – der nächste dann um 5.59 Uhr. Die Aussicht auf eine unkomplizierte Verbindung zwischen den Metropolregionen Hamburg und Kopenhagen beflügelt viele. Lolland soll mit einem eigenen Bahnhof an die neue Verbindung angeschlossen werden. „Ich hoffe, dass meine Kinder nach 2021 ganz selbstverständlich darüber nachdenken, ob sie in Hamburg studieren oder in einem Autohaus in Lübeck eine kaufmännische Ausbildung machen – und dabei trotzdem eine gute Verbindung in ihre Heimat nutzen können“, sagt Stig Rømer Winther, 53, Chef der Wirtschaftsförderungsagentur Femern Belt Development mit Sitz in Holeby auf Lolland.
Damit diese Verbindung pünktlich fertig wird, knüpft Mogens Hansen, 58, am regionalen Netzwerk. Der Manager der staatlichen Realisierungsgesellschaft Femern A/S steht auf einer Aussichtsplattform neben dem Fährhafen von Rødby. Über die Ostsee ziehen Scandlines-Schiffe ihre Bahnen. Hinter dem Informationspunkt liegt ein See, umgeben von Brachland, dahinter ein Windpark mit 40 Anlagen. Dort sollen in sieben Jahren Autos, Lastwagen, Züge in die und aus der Erde rollen.
3000 Menschen arbeiten an der Baustelle
Das Areal nördlich des Fährhafens wird in den kommenden Jahren eine Großbaustelle sein und zugleich Standort für die neue Fabrik, in der die riesigen Tunnelelemente entstehen. 89 Bauteile werden in der Anlage gegossen, über Hellinge ins Wasser geführt und dann hinaus aufs Meer geschleppt. In einer vorbereiteten Rinne am Grund werden sie miteinander verbunden und später mit Meeresboden bedeckt. Jedes Element misst 217 Meter Länge und 47 Meter Breite. Die Fabrik für die XXL-Teile soll einen Kilometer breit sein. „An der Baustelle werden mindestens 3000 Menschen arbeiten, bei den Projekten in der Region noch einige Tausend mehr“, sagt Hansen. „Für Süddänemark ist das eine große Sache. Wir brauchen Unternehmen und Fachleute aus vielen Ländern und wünschen uns, dass sich möglichst viele deutsche Unternehmen an dem Tunnelbau beteiligen. Und wir hoffen, dass viele Unternehmen nach dem Bau dauerhaft hier bleiben, etwa aus der Logistikbranche.“
Auf der deutschen Seite wird die Bahnanbindung zwischen Puttgarden und Lübeck ausgebaut. Zudem muss der Bund die Fehmarnsundbrücke in den kommenden Jahren durch neue Bauwerke ersetzen. In Dänemark wiederum werden das Eisenbahnnetz umfassend erneuert und Autobahnabschnitte neu gebaut. Zwischen Puttgarden und Kopenhagen entsteht eine Hochgeschwindigkeitsstrecke für die Bahn. Die Stadt Køge südlich von Kopenhagen wird damit und durch eine neue Autobahn zu einem logistischen Drehkreuz im östlichen Dänemark. „In der Region Seeland werden in den kommenden Jahren umgerechnet 23 Milliarden Euro investiert, in Verkehrswege und Hafenanlagen, aber auch in ein neues Universitätsklinikum hier bei uns und in andere universitäre Einrichtungen“, sagt Køges Bürgermeister Flemming Christensen. „Wir schätzen, dass dadurch rund 10.000 neue, hochwertige Arbeitsplätze entstehen.“
Mittelpunkt all dessen wird der Fehmarnbelttunnel sein. Mogens Hansen von Femern A/S blickt auf die Ostsee. Trüb dümpelt das Meer dahin. Noch ist nicht zu erahnen, was an diesem Ort entstehen soll. Schilder und Bauzäune hier und dort, Vorbereitungen am Areal der künftigen Baustelle. „Die Menschen auf Lolland diskutieren den Fehmarnbelttunnel nicht so kontrovers wie in Schleswig-Holstein“, sagt Hansen. „Sie freuen sich vor allem auf den wirtschaftlichen Aufschwung, den das Projekt ihnen bringen wird.“