Schleswig-Holsteins Ministerpräsident zieht zufrieden Halbzeitbilanz. „Sie haben dem Land nichts mehr zu bieten“, kontert die Opposition

Kiel. Torsten Albig (SPD) geht nach zwei Ministerrücktritten und einigen koalitionsinternen Turbulenzen in die Offensive. Mit einer 53-minütigen Regierungserklärung versuchte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident am Mittwoch, die vergangenen zweieinhalb Jahre als Erfolg darzustellen, einen Entwurf für die zweite Hälfte der bis 2017 währenden Legislaturperiode zu liefern und beides mit einem höheren Sinn zu versehen.

In Schleswig-Holstein vollziehe sich ein Wandel, sagte Albig: „Unser Land setzt sich an die Spitze – gerade wenn es um die Ergreifung der Chancen geht, die in den Herausforderungen der Zukunft liegt.“ Daniel Günther, der CDU-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer, ging Albig scharf an. „Diese Halbzeitbilanz ist ihre Schlussbilanz“, sagte er. „Sie haben dem Land nichts mehr zu bieten.“ Zwischen diesen beiden Extremen – dem der totalen Fähigkeit und dem der totalen Unfähigkeit – entwickelte sich im Landtag eine mehrstündige Debatte.

Albig nutzte einen großen Teil seiner Redezeit für eine Leistungsschau seiner Regierung und der sie stützenden Fraktionen von SPD, Grünen und SSW. Er verzichtete weitgehend auf pathetische Klänge, die ihm sonst gern einmal unterkommen. „Die Lage in Schleswig-Holstein ist weit besser als vor zehn Jahren“, sagte er. „Sie ist auch besser als vor zweieinhalb Jahren.“ Die Betreuungsplätze in Kindertagesstätten seien ausgebaut worden. „Mit unserer Quote von 30,4 Prozent stehen wir jetzt auf dem dritten Platz der westdeutschen Länder – nach Hamburg und Rheinland-Pfalz“, sagt Albig. Bei den Kita-Gebühren sei das Land sozial gerechter geworden. „Kinder aus ALG-II-Familien sind davon jetzt befreit.“

In der Bildungspolitik sei es gelungen, ein modernes Zwei-Säulen-Schulsystem aus Gemeinschaftsschulen und Gymnasien zu schaffen. „Obwohl die Schülerzahlen um rund acht Prozent fallen, nehmen wir nur gut drei Prozent der Lehrerstellen aus dem System“, sagte Albig. Jetzt müsse die Qualität der Bildung verbessert werden. „Unser Ziel bleibt deshalb eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung.“ Dies sei aber nur Schritt für Schritt zu erreichen.

Gelungen sei auch die Energiewende. „Als Deutschland sie ausgerufen hat, hat Schleswig-Holstein mit beiden Händen zugegriffen. Wir verdienen mit Wind Geld, schaffen Arbeit und sichern nebenbei noch die nationale Energiewende ab – mit preiswertem, sauberem Strom.“

Bei der Infrastruktur sah Albigs Bilanz weniger positiv aus. „Kaputte Straßen, kaputte Schulen: All das ist Realität in unserem Land.“ Den Sanierungsstau in Krankenhäusern und Hochschule finde er „unerträglich“. Aber: „Beim Gestalten des Wandels sind uns Grenzen gesetzt.“ Damit meinte Albig offenbar das Geld. Die in der Landesverfassung festgeschriebene Schuldenbremse verbietet, grenzenlos Kredite aufzunehmen. Ab 2020 soll das nördlichste Bundesland gar gänzlich ohne neue Schulden auskommen. Wohnungsbau, kommunaler Finanzausgleich, Minderheitenpolitik, Kulturpolitik, Gesundheit, Pflege: Albig ließ in seiner Leistungsschau kaum ein Thema aus.

Für die Zukunft blieb dann nicht mehr viel Zeit. Offenbar will sich der Ministerpräsident bis 2017 hauptsächlich mit der Optimierung der bisher beschlossenen Reformen befassen. Hinzu kommt der Plan, die Sozialstaffel bei den Kita-Gebühren zu vereinheitlichen. Hinzu kommt das Ziel, ein beitragsfreies Kita-Jahr einzuführen. Das finanziell größte Vorhaben will Albig erst 2018 starten: ein „100-Millionen-Euro-Erneuerungsprogramm für unsere Infrastruktur“.

Der CDU-Fraktionschef Daniel Günther reagierte mit einer von Spott durchzogenen Rede auf Albigs Ausführungen. Die Leistungsbilanz sei unvollständig gewesen – „den schönen Sommer hätten Sie doch auch noch erwähnen können“. Den „Murks der letzten zweieinhalb Jahre“ würden die Menschen zur Genüge kennen. „Im bundesweiten Vergleich sind Sie der lauteste Ministerpräsident, wenn es um die blödesten Vorschläge geht“, sagte er – und spielte damit auf Albigs „Schlaglochsoli“ an. Was Günthers Rede indes fehlte, war eine Beschreibung der Alternativen, die die CDU zu bieten hat.

Für Albig wie für Günther war die Debatte im Landtag auch eine Art Bewährungsprobe. Der Ministerpräsident steckt, wenn man einer NDR-Umfrage glauben darf, gerade in einem massiven Imagetief. Die CDU allerdings ebenso. Albig wie auch Günther versuchten, mit ihren Reden zu punkten. Ob es ihnen gelang, muss offen bleiben. Die Beifallsäußerungen hielten sich am Mittwoch jedenfalls selbst bei der eigenen Klientel in Grenzen. Ohnehin bekam die Debatte, je länger sie dauerte, Züge des Absurden. Ministerpräsident Albig hatte sich für seine Rede vorab 40 Minuten reservieren lassen, was selbst in Teilen der Koalition für Stirnrunzeln gesorgt hatte. So lang? Am Ende sprach er 53 Minuten, was gemäß den Landtagsregeln jedem der sechs Fraktionsvorsitzenden die Möglichkeit eröffnete, 53 Minuten lang zu antworten.

Nicht jeder nutzte diese Zeit sinnvoll. Wolfgang Kubicki (FDP) warf Torsten Albig vor, eine Rede „auf Pepita-Niveau“ gehalten zu haben: „viele kleine Punkte, keine großen Linien“. Ansonsten fanden sich im Beitrag des FDP-Fraktionschefs durchaus Elemente bereits gehaltener Reden. Und Lars Harms (SSW) lobte zum wiederholten Mal die Politik des Dialogs, die die Küsten-Koalition betrieben habe. Das hatte Torsten Albig wohl nicht gemeint, als er von der „Ergreifung der Chancen“ gesprochen hatte.