Als Stratege ist er gescheitert, als Macher hat er funktioniert. Eine Kieler Bilanz

Regierungserklärung, Halbzeitbilanz: zwei Begriffe, die Planbarkeit suggerieren, die Bilder von Machern evozieren. Wir sehen Politikstrategen vor uns, die am Reißbrett vorzeichnen, was sie dann Strich für Strich umsetzen. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Politik ist heute ein von Zufälligkeiten geprägtes Geschäft. Der Politiker – zumal der Landespolitiker – ist kein Stratege mehr, sondern nur noch ein Macher. Hier und da mag er dem Zufall noch ein wenig Widerstand entgegensetzen, hier und da mag er eine Reformidee haben. Ansonsten ist er aber hauptsächlich damit beschäftigt, das Land so zu organisieren, dass es einigermaßen gut läuft.

Beweise dafür lassen sich überall finden – auch in Schleswig-Holstein. Das Landesprogramm Wirtschaft, das der Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) in seiner Regierungserklärung erwähnt, wird im Wesentlichen aus EU-Quellen gespeist. Das Landesprogramm Arbeit ebenso. Die Europäische Union legt fest, für welche Dinge das Geld ausgegeben werden kann. Das Kabinett Albig hat nur noch die Aufgabe, die EU-Millionen in die richtigen Kanäle zu leiten.

Beispiel Flüchtlinge. Schleswig-Holstein wird in diesem Jahr viele Schutzsuchende aufnehmen müssen, die Zahl ist die höchste seit 1994. Die Ursache sind diverse Kriege. Alles weit weg von Schleswig-Holstein, aber das Land muss nun erheblich mehr Geld für die Unterkunft und die Betreuung ausgeben. Im nächsten Jahr werden es zusätzlich 53 Millionen Euro sein. Das Land macht hier etwas mehr, als es eigentlich tun müsste.

Beispiel Infrastruktur. Beim Bau der A 20, der für Schleswig-Holstein wichtigen Ost-West-Verbindung, geht es nicht voran. Der Anschluss an die A 7 wird nicht mehr zu schaffen sein. Naturschutzverbände haben geklagt, und das Bundesverwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Vorhersehbar oder planbar war das nicht.

Beispiel HSH Nordbank. Schleswig-Holstein haftet für Milliardenkredite der Bank. Wenn sie in finanzielle Schwierigkeiten gerät, wäre das Land pleite. Vorhersehbar ist das nicht, planbar erst recht nicht.

Mit vielen Strategensprüchen hat Torsten Albig in den vergangenen 30 Monaten ziemlich oft den Eindruck vermittelt, das alles sei nicht wahr. „Wir werden in dieser Legislaturperiode den Anschluss der A 20 an die A 7 schaffen“, hat er bei seiner Regierungserklärung im Juni 2012 gesagt. Wie man das so sagt, wenn man neu im Amt und voller Tatendrang ist. Die Halbzeitbilanz von Albig fällt deshalb zwiespältig aus. Als Stratege ist er gescheitert, als Macher hat er funktioniert. Trotz schwieriger Haushaltslage hat seine Koalition aus SPD, Grünen und SSW Akzente setzen können. Sie hat dabei Glück gehabt, weil der Zufall ihr ein paar zusätzliche Einnahmen bescherte. Sie hat ein paar innerkoalitionäre Konflikte ausgelebt und sich wieder zusammengerauft. Sie hat auch einige Fehler gemacht, zum Beispiel bei dem nicht ausreichend mit den Universitäten abgestimmten Lehrerbildungsgesetz. Aber sie hat ihre Krisen überstanden, sogar relativ gut. Zuletzt hatte man jedoch das Gefühl, dass die Lust am Geldausgeben ein wenig überhandgenommen hat, jedenfalls deutlich stärker ausgeprägt war als die Lust, einen Streit mit Interessengruppen auszuhalten und auszutragen.

Wenn in diesem Punkt wieder mehr Disziplin entwickelt wird, könnten die Deiche der Küstenkoalition bis 2017 halten. Albig hat am Mittwoch im Landtag ein bisschen dazu beigetragen. Er vermied Strategensprüche. Er redete über die Schulen und die Hochschulen und sagte tatsächlich: „Ja, da kann man noch mehr machen. Wir würden schrecklich gern noch mehr machen.“ Das war nicht mehr der große Weltverbesserer, der da sprach. Das war ein Weltverbesserlein. Das ist kein Vorwurf: Wir brauchen Weltverbesserlein.