Razzia in Lüneburg: Ermittler durchsuchen nach dem verheerendem Feuer im Wasserviertel ein Restaurant und die Wohnung eines Verdächtigen. Der Schaden soll mehr als 3,5 Millionen Euro betragen.
Lüneburg. Mehr als acht Monate nach dem Großbrand in Lüneburgs historischem Wasserviertel hat die Polizei die Wohnung eines Verdächtigen durchsucht. Der Mann ist 41 Jahre alt und arbeitet in einem italienischen Restaurant, das schräg gegenüber des abgebrannten Hauses liegt. Nach dem Feuer musste das Gebäude abgetragen werden, der Schaden wird auf mehr als 3,5 Millionen Euro geschätzt.
Am Donnerstag haben Polizeibeamte parallel sowohl das Restaurant als auch die Wohnung des Verdächtigen untersucht. „Wir haben einige Gegenstände sichergestellt“, sagte Polizeisprecher Kai Richter dem Abendblatt am Freitag. „Den Verdächtigen haben wir in seiner Wohnung angetroffen.“ Da Haftgründe wie etwa Fluchtgefahr nicht vorliegen, haben die Beamten den Mann nicht festgenommen. Er ist weiter auf freiem Fuß.
Verdächtig ist der 41-Jährige der Beihilfe zur Brandstiftung. Die Polizei ermittelt weiter und sucht eine Person, die sich in der Brandnacht aus Richtung des Tatorts zügig in eine Seitengasse verdrückt und von dort durch einen Seiteneingang das italienische Restaurant betreten habe, in dem auch der 41-Jährige arbeitet. Diesen Mann beschreibt die Polizei als etwa 1,80 Meter groß mit lockigem Haar. „Wir gehen davon aus, dass dies der mögliche Täter ist“, sagte der Sprecher.
Gegen die Wirtsfamilie des zweiten Restaurants ermittelt die Polizei nicht. Mehr als 20 Beamte arbeiteten zwischenzeitlich in der Sonderkommission zu dem Fall, derzeit sind es noch zwölf. Ermittelt wird nicht nur wegen Brandstiftung, sondern auch wegen elffachen versuchten Totschlags, da sich zur Tatzeit elf Menschen in dem Haus befanden. Sie alle konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, bevor sie Verbrennungen und Vergiftungen erlitten hätten. Die Mieter, zum großen Teil Studenten in Wohngemeinschaften, haben jedoch alles verloren, was sie bei der Flucht vor dem Feuer nicht greifen konnten.
Seit Dezember klafft eine Lücke in der Postkarten-Ansicht des Lüneburger Stintmarkts, vielen bekannt als Kulisse der ARD-Serie „Rote Rosen“. Nach der Brandstiftung ist lediglich das denkmalgeschützte Kellergewölbe aus dem 16. Jahrhundert erhalten, der Rest des 150 Jahre alten altrosa Fachwerkhauses musste wegen akuter Einsturzgefahr abgerissen werden.
Ausgebrochen war das Feuer in der Nacht zum 2. Dezember in der Küche des italienischen Restaurants „La Trattoria“. Da es direkt am Wasser liegt, mussten Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr Hamburg den ehrenamtlichen Lüneburger Kollegen mit einem 53 Meter langen Teleskopkran aushelfen – in der 73.000-Einwohner-Stadt gibt es lediglich eine Freiwillige Feuerwehr. Mehr als 500 Menschen von Feuerwehren und Rettungsdiensten waren in der Nacht und am Tag danach im Einsatz.
Der Besitzer will das Haus so originalgetreu wie möglich wieder aufbauen lassen. „Wie Phoenix aus der Asche“ solle es auferstehen. Ein Bauantrag ist bereits gestellt. Wie ein Neubau soll der Nachfolger allerdings nicht aussehen – außer innen vielleicht. Von außen soll die Fassade des nach dem einstigen Eigentümer und Schnapsbrenner Georg von Lösecke benannten Gebäudes so alt wie möglich wirken. Dafür wollen die Architekten sogar Secondhand-Fachwerkbalken einsetzen.
„Wir suchen nach gebrauchten Hölzern mit Patina“, sagt Gunnar Schulze, beauftragter Architekt des Projekts. Wo neue Materialen nötig sind, werden auch die ein altes Gesicht tragen: Ziegel im historischen Klosterformat, in Handstrich hergestellt. Zunächst muss der Untergrund gesichert werden: Geplant ist eine Betonpfahlgründung in den Achsen der Kellerwände, die gleichzeitig das historische Gewölbe sichern und das neue Gebäude tragen soll.
Auch am Nachbarhaus, von Feuer und Löscharbeiten ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen, lässt die Eigentümerin aufwendig sanieren und die Fassade restaurieren. Nach dem Brand war die Kneipenmeile Am Stintmarkt über Tage hinweg wie ausgestorben. Mindestens eine Woche hatten Cafés, Restaurants und Gaststätten geschlossen. Bis heute bleiben Passanten auf der Brücke über die Ilmenau stehen und blicken auf die klaffende Lücke in der Reihe schmucker Fachwerkfassaden.
Ende nächsten Jahres, hoffen Stadtverwaltung und Eigentümer, könnte die Reihe wieder geschlossen sein. Wie bisher sollen in den oberen Stockwerken Wohnungen entstehen, auch die italienische Familie der „Trattoria“ plant einen Neuanfang in dem neuen alten Haus. Der Betreiber des Irish Pub im Untergeschoss hat seinen Neustart bereits in der Fußgängerzone vollzogen: Er hat in einem historischen Gewölbekeller an der Apothekenstraße einen neuen Pub eröffnet.