2008 ging die Kadettin Jenny Böken über Bord der Gorch Fock und starb. Ein „tragisches Unglück“. Das ist den Eltern zu wenig. Die Suche nach der Wahrheit führt sie auf das Unglücksschiff.

Herzogenrath. Uwe Böken weiß, dass viele ihn und seine Ex-Frau für „durchgeknallt“ halten. Die Eltern geben keine Ruhe. Seit sechs Jahren nicht. Was ist am 3. September 2008 auf der Gorch Fock passiert, wie kam ihre Tochter Jenny ums Leben? Seit sechs Jahren sind Marlis und Uwe Böken getrieben von diesen beiden Fragen. Und suchen nach Antworten. Ihre Entschädigungsklage am Verwaltungsgericht Aachen gegen die Bundesrepublik Deutschland ist ein weiterer Versuch, Antworten zu finden.

An diesem Mittwoch (6.8.) ist Gerichtstermin auf der „Gorch Fock“ in Rostock. Von diesem Segelschulschiff war die 18 Jahre alte Sanitäts-Offiziersanwärterin Jenny Böken aus Geilenkirchen in Nordrhein-Westfalen 2008 während ihrer Nachtwache aus bisher ungeklärten Umständen über Bord gegangen. Das letzte Foto von ihr war noch auf dem Speicherchip ihrer Kamera, gemacht am 3. September am Deck des Schiffs: Eine junge, unbeschwert lachende Frau mit braun gebranntem Gesicht.

Bis heute viele Ungereimtheiten

In dieser Nacht, gegen 23.43 Uhr, fiel Jenny nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Kiel 15 Kilometer vor Norderney in die Nordsee und ertrank. Zwei Wochen später wurde ihre Leiche aus der Nordsee geborgen – ohne Schnürstiefel, wie die Eltern den Akten verwundert entnahmen. Der Kieler Staatsanwaltschaft hatte zum Abschluss der Untersuchungen mitgeteilt: „Die Ursache für den Todesfall konnte nicht abschließend festgestellt werden.“ Die Behörde sprach von einem tragischen Unglück.

Die Eltern kennen die 2000 Ermittlungsseiten der Staatsanwaltschaft aus dem Effeff und geben sich mit dieser Version nicht zufrieden: Wenn Jenny tatsächlich ertrunken wäre, hätte sie Wasser in der Lunge haben müssen. Hatte sie aber laut Obduktionsergebnis nicht, sagt Uwe Böken. Warum hatte sie keine Stiefel an, als sie gefunden wurde? Beim Kampf gegen das Ertrinken könne man nicht mal eben Schnürstiefel abstreifen. „Das passt nicht zusammen“, sagt Uwe Böken. Auch so einige Zeugenaussagen nicht, meint der Anwalt der Bökens, Rainer Dietz, beim Gespräch in Herzogenrath. „In der allerersten offiziellen Meldung der Marine nach dem Ereignis war die Rede von ruhiger See und 17 Grad Wassertemperatur.“

Leute im Rettungsboot hätten aber von 3,50 Meter hohen Wellen gesprochen. Vielen weiteren Ungereimtheiten seien die Ermittler nicht nachgegangen. Die Bökens strengen seit Jahren vergeblich ein juristisches Verfahren nach dem anderen an, um Klarheit zu bekommen: Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel, Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen, Strafanzeigen gegen Schiffsarzt und Kommandanten wegen fahrlässiger Tötung, Klageerzwingungsverfahren - alles gescheitert.

Dienst unter Lebensgefahr?

Gegen die Ablehnung des Klageerzwingungsverfahrens durch das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein haben die Eltern Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Es gibt noch keine Entscheidung. Dem früheren Kommandanten werfen die Eltern vor, dass die junge Frau ganz vorne auf dem Postenausguck bei schwerer See und 15 Grad Wassertemperatur keine Schwimmweste getragen habe und ungesichert gewesen sei. Daraus leiten sie die Frage ab: Hat Jenny Dienst unter besonderer Lebensgefahr getan?

Diese Frage muss ein Gericht klären, wenn Eltern eines verstorbenen Soldaten die Bundesrepublik auf Entschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz verklagen. Bei der Klage der Eltern Böken geht es zwar um 40.000 Euro, aber das Geld spielt für sie nicht die Rolle, sagen sie. Das Gericht wolle sich an diesem Mittwoch bei einem Ortstermin auf der Gorch Fock von den örtlichen Gegebenheiten ein Bild machen, teilte ein Gerichtssprecher mit. Er gehe nicht davon aus, dass das Schiff ablegen werde. Man könne nicht abschätzen, wie lange dieser Termin dauert.