Hamburger Experten klären Unfallursache im Wittdüner Hafen auf. Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung ermittelt auch im Fall der gesunkenen „Costa Concordia“
Wittdün. Nur einen Tag nach dem Fährunglück auf Amrum ist offenbar die Ursache ermittelt: Mit hohem Tempo war die „Adler Express“ am Mittwoch gegen eine Kaimauer geprallt, 27 Menschen zum Teil schwer verletzt. Verantwortlich dafür soll ein defekter Joystick gewesen sein, mit dem die Antriebe gesteuert werden. Gestern Morgen hatten sich zwei Experten der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung von Hamburg aus auf den Weg in den Norden gemacht. „Ein üblicher Ermittlungsfall für uns“, wie Direktor Volker Schellhammer sagt.
Die „Untersucher“, so der offizielle Sprachgebrauch, befragten Beteiligte, sahen sich die Schäden und simulierten gemeinsam mit anderen Schiffsexperten in Husum das Manöver - wobei der Fehler entdeckt wurde. „Das geht wohl in diese Richtung“, sagt Schellhammer. Der Jurist ist mit schnellen Urteilen nach solchen Havarien zurückhaltend. Die elf Mitarbeiter der Bundesstelle sind zwar unabhängig, unterstehen keinem Weisungsrecht anderer Behörden oder Ministerien. Doch oft ist der Druck groß. Immer wenn es in deutschen Hoheitsgewässern oder auf Schiffen unter deutscher Flagge zu größeren Seeunfällen gekommen ist, reisen die Experten aus Hamburg an. Millionenschäden, Todesfälle, schwere Verletzungen – oft sind dann auch Anwälte im Spiel, es geht um große Summen, nicht selten spektakuläre Unfälle mit hoher Medienaufmerksamkeit.
Eine britische Werft für Luxus-Motorboote drohte kürzlich gar mit Schadenersatzforderungen, weil die Experten nach einem Unfall zwischen Boot und Surfer in der Neustädter Bucht in ihrem Bericht zu dem Schluss gekommen waren, dass solche PS-Boliden nicht sicher zu fahren seien. „Denen hab ich eine barsche Mail zurückgeschrieben und dann nix wieder gehört“, sagt Schellhammer.
Vor einigen Tagen erst war einer seiner Mitarbeiter im englischen Goole, wo auf dem deutschen Kümo „Suntis““ drei Seeleute aus zunächst rätselhaften Gründen gestorben waren. Schnell fanden die Hamburger Ermittler heraus, dass sie wohl durch Sauerstoffmangel im Laderaum erstickt waren. Frisches Holz hatte das Schiff aus Itzehoe geladen, eine Ladung, die extrem viel Sauerstoff verbraucht. Schellhammer deutet auf Fotos, die seine Leute ins Büro gesendet haben. Die kleine Einstiegsluke zum Laderaum ist dort zusehen, eine steile Eisenleiter führt herunter, zwei Arbeitshandschuhe liegen auf dem Boden. „Hier sind die gefunden worden, nur einen Meter vom Ausstieg entfernt“, sagt Schellhammer.
Warum der Containerfrachter „Flaminia“ 2012 in Flammen aufging, ist ein weiterer Fall der Hamburger, über den vielfach berichtet wurde. Mühsame Detektivarbeit am Schreibtisch bedeutete er für sie. „Da ist so vieles verkohlt, dass sich Ursachen nur schwer erkennen lassen “, sagt Schellhammer. Seine Leute wühlen sich dann durch lange Ladungslisten, versuchen zu erkennen, ob da irgendwelche Möglichkeiten bestanden haben könnten, dass zwei verschiedene Stoffe zusammen lagerten, die vielleicht nicht zusammen gelagert werden sollten.
Auch die „Atlantic Cartier“ ist ein solcher komplizierter Fall, der noch immer zu Schlagzeilen führt. Noch gibt es keine Erkenntnisse, warum das teilweise mit radioaktivem Material und Munition beladende Schiff mitten im Hamburger Hafen in Brand geraten war. Die Stadt sei an einer riesigen Katastrophe gerade mal so eben vorbei geschrammt, warnen jetzt die Grünen.
Seit wenigen Wochen unterstützen die Hamburger Unfall-Ermittler auch ihre Kollegen in Italien, um den Untergang des Kreuzfahrtschiffes „Costa Concordia" zu untersuchen. 32 Menschen waren dabei gestorben, darunter zwölf Deutsche. Die Hamburger prüfen jetzt vor allem, warum die Notstromgeräte für die Fahrstühle offenbar nicht funktioniert hatten. Etliche Leichen wurden dort später gefunden. Eigentlich hätten die Fahrstühle auf Deck vier anhalten sollen, wo es zu den Rettungsbooten ging. „Die waren aber überall, nur nicht dort“, sagt Schellhammer. Einen grauenvollen Verdacht haben die Hamburger daher: Möglicherweise waren manche Opfer des Unglücks lange regelrecht eingesperrt, bevor sie ertranken.
Wenn eigene Landsleute auf Seeschiffen im Ausland zu Schaden gekommen sind, haben die jeweiligen Untersuchungsstellen nach internationalen Abkommen genau dieselben Ermittlungsrechte wie örtliche Behörden. „Ein Recht haben und ein Recht durchsetzen – das sind allerdings zwei verschiedene Sachen“, sagt Schellhammer. Doch die Hamburger Bundesstelle hat sich seit ihrer Gründung 2002 international ein guten Ruf erarbeitet. „Wir sind so etwas wie die Vorreiter gewesen“, sagt Schellhammer.
Tatsächlich hatten zuvor verschiedene Seeämter in Deutschland Schiffsunfälle untersucht – und dabei ging es dann vor allem darum, den Schuldigen heraus zu finden. „Das hat sich völlig gedreht“, sagt Schellhammer. Die Hamburger Bundesbehörde mit Sitz an der Bernhard-Nocht-Straße ist seinerzeit nach dem Vorbild der Bundesstelle für Luftunfall-Untersuchung in Braunschweig geschaffen worden, um eine möglichst unabhängige Expertentruppe mit weitreichenden Ermittler-Rechten zu installieren. Aber nicht mehr um „Schuld und Sühne“ geht es dabei, sagt Schellhammer – sondern darum, Erkenntnisse zu gewinnen, um künftige Unfälle zu vermeiden.