Die Ukraine-Krise überschattet den Besuch von François Hollande bei Kanzlerin Merkel. Beide zeigen demonstrative Einigkeit. Dazu trägt auch der Spontanbesuch einer Stralsunder Hafenkneipe bei.

Stralsund. Die Körpersprache soll es zeigen. Frankreich und Deutschland stehen zusammen. Immer wieder stupst Kanzlerin Angela Merkel François Hollande beim Rundgang durch die Stralsunder Altstadt freundschaftlich auf die Schulter, um ihn auf die Sehenswürdigkeiten der Weltkulturerbestadt hinzuweisen. Merkel hat den französischen Präsidenten für zwei Tage abseits des üblichen Protokolls in ihren Wahlkreis eingeladen. Den Kurs hatten beide schon zum Auftakt vorgegeben: Freimütig wollten sie auch über schwierige politische Fragen diskutieren. Und so war es dann auch.

Noch zum Auftakt am Freitag hatten beide miteinander gefremdelt. Während Merkel auf der Mole von Sassnitz auf der Insel Rügen in den volkstümlichen Gesang eines Shanty-Chores einstimmte, stand Hollande reserviert-freundlich neben ihr. Der Abend endete dann aber bereits – abweichend vom offiziellen Protokoll – bei einem Bier und politischen Gesprächen in Hannis Hafenkneipe in der Stralsunder Altstadt. Dabei dürfte es vorrangig um die Zukunft der Ukraine gegangen sein.

Einheit in der Ukraine-Krise

Die Krise in der Ukraine bestimmte den größten Teil des Treffens in Merkels „politischer Heimat“. Das wurde spätestens am Sonnabend deutlich, als beide zum Abschluss eine gemeinsame Erklärung vorlegten – mit unmissverständlichen Ansagen an Moskau, aber auch Mahnungen an Kiew. „Unsere Forderung ist, dass es eine Präsidentschaftswahl gibt am 25. Mai, die nicht mehr anfechtbar ist“, sagt Hollande.

Neben der klaren Forderung nach freien und fairen Wahlen und einer Deeskalation steht der Wunsch nach einem nationalen Dialog – und zwar zwischen der Regierung in Kiew und Vertretern aller ukrainischer Regionen, also auch des Ostens. Illegale Waffen sollten, so steht es in der Erklärung, vom 15. Mai an unter Aufsicht der OSZE eingesammelt werden. Und: Nicht nur die Gewalt prorussischer Aktivisten, sondern „jegliche illegale Gewaltanwendung“ soll unverzüglich untersucht und strafrechtlich verfolgt werden.

Europa nicht kaputt machen

Horst-Dieter Pohl (58), Inhaber des Stralsunder Whiskyhauses, hat zum Ukraine-Konflikt seine eigene Meinung: Mit einer Flasche französischen Bordeaux, Jahrgang 2012, steht er am Sonnabend vor seinem Laden. Die muschel- und algenbesetzte Flasche lagerte ein halbes Jahr in der Ostsee vor Stralsund. Ein Geschenk von größerem Symbolwert für den französischen Gast kann es nicht geben.

„Ich wünsche mir, dass die europäischen Staatschefs vorsichtig agieren und wir Europa nicht kaputt machen“, sagt er zur Ukraine-Krise. „Wir brauchen Putin für Europa“. Eigentlich wollte er diese Worte auch der Kanzlerin mit auf den Weg geben. Doch dazu kommt es in dem Gedränge nach der Übergabe der Weinflasche nicht mehr.

Hollande wertet die Einladung Merkels als Vertrauensbeweis. „Ich wollte unbedingt in deinen Wahlkreis kommen, um besser zu verstehen, um besser zuzuhören, was Deutschland denkt“, sagt der Franzose zum Abschluss. Dies sei ein weiterer Beweis, dass es Vertrauen zwischen Deutschland und Frankreich gebe.

Frankreich-Fähnchen für die gute Stimmung

Die Stralsunder Tourismuszentrale hat für die bessere Stimmung 500 Frankreich-Fähnchen verteilt. Der Fischhändler Henry Rasmus überreicht Hollande auf dem Markt der Ostseestadt ein Fässchen mit eingelegtem Bismarckhering. Auch einen Abstecher in einen Zeitungsladen machen Merkel und Hollande, um die Schlagzeilen des Tages zu lesen. Auf vielen Blättern ist Russlands Präsident Wladimir Putin zu sehen, der am Freitag auf der Krim eine Militärparade zum Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland 1945 abgenommen hat.

Überrascht zeigt sich Hollande, als er auf den französischen Austauschschüler Clement Larsen aus La Rochelle trifft. Ob es ihm denn so weit ab von der Heimat gefalle, fragt Hollande. Sicher, antwortet der 15-Jährige, leicht irritiert von der Nähe zu seinem Präsidenten. Er sei in einer Gastfamilie untergekommen, deren Tochter vor kurzem für zehn Monate zu einem Schüleraustausch in Frankreich gewesen sei.

So viel Zeit zum Kennenlernen gibt es in der Politik in der Regel nicht. Aber manchmal reichen auch zwei Tage, um sich näher zu kommen.