Frankreichs Präsident auf Deutschland-Besuch. Diesmal aber nicht in Berlin, sondern im Wahlkreis der Kanzlerin. Zwei Tage, in denen Merkel und Hollande auch nach einem neuen Gleichgewicht suchen können.
Stralsund. Es ist schon eine Weile her, dass die Franzosen in den Straßen von Stralsund die Köpfe rollen ließen. Vor mehr als 200 Jahren jagten Napoleons Truppen dort oben im Norden deutschen Freischärlern nach. Die Lichtgestalt im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft, der preußische Husarenoffizier Ferdinand von Schill, wurde am 31. Mai 1809 in Stralsunds Fährstraße zu Fall gebracht. Der größte Teil von Schills Leiche wurde verscharrt. Den Kopf allerdings bekam Napoleons jüngster Bruder, Jérôme Bonaparte, als Geschenk.
Es wird friedlicher zugehen, wenn sich nun an diesem Freitag Angela Merkel und François Hollande für ein Wochenende an der Ostseeküste treffen. Kreidefelsen, Stralsunder Altstadt und Bäderarchitektur: Die Kanzlerin Merkel führt den französischen Staatspräsidenten zu den Attraktionen ihres Wahlkreises. Auch der Bismarckhering wird an der Ostsee nicht fehlen. Zwei Tage fernab von Paris oder Berlin, die man dazu nutzen kann, auch mal über grundsätzlichere Dinge zu reden.
Der Wahlkreis von Merkel ist nach der Pleite der Stralsunder P+S-Werft mehr denn je durch den Tourismus geprägt. Beim zweitägigen Besuch von Hollande will sie ihrem Gast die schönsten Seiten von Rügen und Stralsund zeigen.
Solche Einladungen für besonders wichtige Partner haben bei Merkel Tradition. 2006 kam der damalige US-Präsident George W. Bush zum Grillen. 2012 hatte sie den seinerzeitigen Vorsitzenden der Euro-Gruppe zu Gast, Jean-Claude Juncker. Für Hollande, mit dem sie anfangs gefremdelt hatte, ist es jedoch eine Premiere. Der Sozialist ist jetzt auch schon bald zwei Jahre im Amt.
Merkel und Hollande beraten über Ukraine-Konflikt
Zu bereden gibt es einiges. Allem voran wird es wieder um den Konflikt in der Ukraine gehen. Wichtigstes Ziel ist, die 28 Staaten der Europäischen Union gegenüber Russland zusammenzuhalten. Dazu ist zwischen Merkel und Hollande eine enge Abstimmung erforderlich – vor allem, was die Frage verschärfter Sanktionen angeht, falls die Präsidentenwahl am 25. Mai nicht so verläuft wie erhofft.
Thema wird mit Sicherheit auch die Zukunft des französischen Alstom-Konzerns sein, an dem sowohl Siemens als auch die US-Konkurrenz General Electric (GE) Interesse haben. Die Regierung in Paris lässt keinen Zweifel daran, dass ihr eine Lösung mit den Deutschen lieber wäre. Offizielle Sprachregelung in Berlin ist hingegen, dass es sich um eine unternehmerische Entscheidung handele.
Über die Tagespolitik hinaus geht es allerdings auch um grundsätzlichere Fragen. Im Binnenverhältnis von Europas engster staatlicher Zweierbeziehung ist einiges aus dem Gleichgewicht geraten. Frankreich hat, vor allem aufgrund seiner wirtschaftlichen Probleme, an Einfluss verloren. Manche Experten sind der Meinung, dass Frankreich Deutschland brauche, um Schwäche zu kaschieren – und umgekehrt Deutschland Frankreich, um Stärke zu verstecken.
Die Frankreich-Expertin Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hält ihr Heimatland inzwischen sogar nur noch für den „Juniorpartner“. „Zu einer neuen Ausbalancierung kann es nur kommen, wenn es Frankreich gelingt, seine wirtschaftlichen, haushaltspolitischen und sozialen Probleme in den Griff zu bekommen“, meint Demesmay. Dazu werde allerdings „viel Geduld und Durchhaltevermögen“ erforderlich sein.
Der sogenannte „Pakt der Verantwortung“ mit milliardenschweren Einsparungen und Steuerentlastungen für Unternehmen, den Hollande nach langer Wartezeit im Januar verkündet hatte, wurde in der großen Koalition zufrieden zur Kenntnis genommen. Mit dem neuen Premierminister Manuel Valls – ein Mann vom rechten Flügel der Parti Socialiste (PS) – müsste man in Berlin ebenfalls auskommen können.
Genau registriert wurde allerdings auch, dass Valls wegen des starken Euros, der Frankreichs Wirtschaft zusätzlich zu schaffen macht, eine „besser angepasste Geldpolitik“ verlangte. Die Deutschen halten von solchen politischen Einmischungsversuchen traditionell wenig – was Merkel, bei aller Freundschaft, Hollande vermutlich auch wissen lassen wird.