150 Kandidaten bewerben sich beim Casting als Statisten am Segeberger Kalkberg. Auch eine Abendblatt-Redakteurin hat ihr Glück versucht.
Bad Segeberg. Die Sonne steht an diesem Tag Ende März hoch am Himmel über Bad Segeberg. Sie brennt auf der Haut. Das Cowgirl hat Schweißperlen auf der Stirn. Die Tanzschritte erfordern echte Konzentration. Rhythmus halten, die Drehung schaffen. Jetzt bloß nicht patzen. Die Arme gen Himmel: Großer Manitu, lass es regnen! Das Händeklatschen des Choreografen holt das Cowgirl, im echten Leben Redakteurin des Abendblatts, aus dem wilden Westen zurück in die Realität. „Du musst die Schultern locker lassen. Die Schritte müssen nicht perfekt sein“, sagt Jean Marc Lebon. „Es geht um die Bewegungsqualität. Und jetzt das Ganze mit Musik.“
Das Cowgirl ist Teil einer Gruppe von Frauen und Männern, die angespannt den Anweisungen des Cheftänzers folgen. Etwa fünf Minuten sind pro Gruppe fürs Vortanzen eingeplant. Danach gibt Lebon seine Bewertung ab. Drei Sterne ist das Beste, was man in der Kategorie Tanz beim Casting für die diesjährigen Karl-May-Spiele in Bad Segeberg erreichen kann. Damit stehen die Chancen gut, von Ende Juni an auf der Freilichtbühne am Kalkberg an der Seite von Jan Sosniok als Winnetou und Wayne Carpendale als Old Shatterhand zu spielen. 35 Komparsen sucht Regisseur Norbert Schultze Junior für seine Inszenierung von Karl Mays „Unter Geiern – Der Geist des Llano Estacado“. 150 Bewerber und Bewerberinnen sind gekommen, um zu zeigen, dass sie das Zeug für den Western am Kalkberg haben.
Einer von ihnen ist Christoph Bobe. Der 42 Jahre alte Kraftfahrer ist seit 30 Jahren Karl-May-Komparse. Als Zwölfjähriger hat der Bad Segeberger zum ersten Mal in einer Aufführung in der Arena am Kalkberg mitgewirkt. Eigentlich müssen die Statisten mindestens 16 Jahre alt sein. „Bei mir war das damals eine Ausnahme“, sagt Bobe. „Meine Tante arbeitete als Schneiderin bei den Spielen, und so durfte ich mitmachen.“ Bobe erlebte über die Jahre Klaus-Hagen Latwesen, Pierre Brice, Gojko Mitić und Erol Sander als Winnetou. Er mimte den Indianer, den Eisenbahner, den Cowboy, den Saloonwirt, den Pastor, den Banditen, den Siedler – ja sogar eine Frau hat er gespielt.
Seit 1950 gibt es in Bad Segeberg die Karl-May-Spiele auf der großen Freilichtbühne. Schon bei der ersten Aufführung von „Winnetou“ mit Hans-Jürgen Stumpf wirkten viele Bad Segeberger als Statisten mit, nähten die Kostüme und versorgten die Pferde. Heute kommen die Bewerber für die Statistenrollen aus ganz Norddeutschland.
Das Tanzen ist eine Sache. Das Kämpfen eine andere. Auch in dieser Disziplin müssen sich die Bewerber beweisen. Katharina Bartscheerer, 17, ist zum ersten Mal beim Casting am Kalkberg. „Ist ganz gut gelaufen“, meint die Schülerin aus Bad Oldesloe. „Ich musste den Trainer treten, aber das kann ich vom Fußball gut“, sagt die Stürmerin des FFC Oldesloe. Ihr großer Wunsch: „Ich möchte mit Wayne Carpendale auf der Bühne stehen.“ Stuntkoordinator Steve Szigeti hat Katharina drei Sterne mit Kringel auf den Zettel gemalt. Das bedeutet: bestens geeignet für den Showkampf in der Arena.
Auch für Julia Burmester ist das Casting eine Premiere. Die 19-Jährige Hamburgerin hat beim Tanzen zwei Sterne bekommen, bei Kämpfen drei. Auch mit Kringel. Sonja Jacob ist aus Sandesneben nach Bad Segeberg gekommen. Die 25-Jährige studiert Pferdemanagement und gibt Ende Mai ihre Bachelor-Arbeit ab. „Danach habe ich erst mal frei“, sagt sie. „Das wäre ein traumhafter Sommerjob.“
Reich werden kann man als Karl-May-Komparse nicht. 1900 Euro plus Fahrtkostenzuschuss erhalten diejenigen, die angenommen werden, für die komplette Spielzeit. Marc Franzisco, 31, arbeitet als Aufnahmeleiter bei Schwarzkopf TV. Seit zehn Jahren kommt er zum Casting nach Bad Segeberg und wird jedes Mal für die Show als Indianer engagiert. Während der Spielzeiten nimmt er sich eine Auszeit vom Job. Andere, so auch Statist Christoph Bobe, feiern während der Proben und Aufführungen Überstunden ab.
Das Cowgirl soll sich prügeln – vor den kritischen Blicken des Stuntkoordinators: dem Banditen eins aufs Kinn geben, einen linken Haken in den Magen verpassen. Doch dann boxt die Bewerberin dem Trainer versehentlich gegen die Schulter. Das tut weh. Nicht dem Trainer, aber der Bewerberin wird noch zwei Tage später die Hand schmerzen. Für ihren Auftritt bekommt sie dennoch drei Sterne und einen Kringel. „Koordination muss noch trainiert werden“ schreibt Steve Szigeti. Und: „Kick“. Das bedeutet: Die Autorin dieses Textes hat einen richtig guten Tritt. „Ich darf der Jury nicht vorgreifen“, sagt Kalkberg-GmbH-Geschäftsführerin Ute Thienel, „aber das sieht sehr gut aus.“
In zwei Wochen werden die 150 Bewerber Nachricht bekommen. Nur 35 erhalten eine Zusage und werden ab Ende Mai täglich in Bad Segeberg proben. Vom 28. Juni an sind sie dann donnerstags bis sonntags in „Unter Geiern“ als Indianer, Cowboys und Cowgirls zu sehen. 72-mal werden sie auf der Freilichtbühne neben Wayne Carpendale und Jan Sosniok kämpfen und tanzen. Vor insgesamt 250.000 Zuschauern. Ob das Cowgirl dabei ist, wird sich zeigen.