Zwischen Kirchen und Gewerkschaften gibt es in Niedersachsen einen Kompromiss, der bundesweit Schule machen kann: Für die sozialen Dienste sollen regelrechte Tarifverträge ausgehandelt werden.

Hannover. Das Parlament der Konföderation der fünf evangelischen Kirchen in Niedersachsen hat sich am Wochenende durch Beschluss selbst aufgelöst. Zuvor aber sicherte sich die Synode noch rasch einen Eintrag in die Geschichtsbücher mit der Entscheidung, künftig mit den Gewerkschaften für die sozialen Dienste regelrechte Tarifverträge auszuhandeln. Damit betritt die Diakonie in Niedersachsen Neuland und wird absehbar zum Vorbild für den großen Rest der Bundesrepublik.

Erklärtes Ziel der Partner ist in einem zweiten Schritt ein landesweiter „Tarifvertrag Soziales“, der für rund 200.000 Beschäftigte gelten soll, um den gegenwärtigen „ruinösen und sozialschädlichen Wettbewerb in der Sozialwirtschaft ein Ende zu setzen“. Hochgerechnet auf die Bundesebene geht es entsprechend um rund 1,3 Millionen Beschäftigte der Kirchen, die damit nach dem Staat der größte Arbeitgeber sind. Insgesamt gibt es bei den Wohlfahrtsverbänden bundesweit rund zwei Millionen Beschäftigte.

Jahrzehnte haben die großen christlichen Kirchen eifersüchtig darüber gewacht, vor allem die große Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di rauszuhalten aus den karitativen Einrichtungen. Das sogenannte kirchliche Arbeitsrecht führte dazu, dass für Hunderttausende von Mitarbeitern vor allem der beiden großen Träger Diakonie und Caritas der „dritte Weg“ galt. In einer internen arbeitsrechtlichen Kommission, paritätisch besetzt von Arbeitgebern und Mitarbeitervertretern, wurden die Gehälter ausgehandelt. Streik und Aussperrung sieht das im Grundgesetz verankerte kirchliche Arbeitsrecht ohnehin nicht vor.

Dann aber bestätigte das Bundesarbeitsgericht im einem Grundsatzurteil zwar dieses kirchliche Arbeitsrecht, aber es billigte den Gewerkschaften ein stärkeres Mitspracherecht ein. Hinzu kam, dass immer mehr Mitarbeitervertreter Tarifverträge forderten und vor allem Ver.di diese Forderungen nachdrücklich unterstützte. Aus Kirchenkreisen gab es deshalb auch Kritik, es gehe Ver.di nur um Mitgliederwerbung im großen Stil.

Aber in Hannover trafen sich am Mittwoch nach langen Verhandlungen der hannoversche Landesbischof Ralf Meister für die Konföderation der Evangelischen Kirche, Jörg Antoine als Vorstand des Diakonischen Werks in Niedersachsen, der Ver.di-Landesvorsitzende Detlef Ahting und Sven de Noni als Geschäftsführer des Marburger Bunds, der großen Vertretung der Krankenhausärzte. Unterzeichnet wurde ein Vertrag mit dem sperrigen Titel „Vereinbarung einer Sozialen Partnerschaft zur Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Diakonie in Niedersachsen“. Man wolle, so heißt es einleitend und durchaus selbstbewusst, „im Miteinander der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und den Gewerkschaften ein neues Kapitel aufschlagen“.

Zentrales Element ist dabei natürlich das Aushandeln regelrechter Tarifverträge, aber eben auch der freie Zugang der Gewerkschaften zu den Betrieben und die Teilnahme an Mitarbeiterversammlungen.

Dass die niedersächsischen evangelischen Kirchen jetzt eingelenkt haben, hat aber nicht nur mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu tun, sondern auch mit den wirtschaftlichen Zwängen der Sozialbranche. Diakonie-Einrichtungen etwa im Bereich der Altenpflege konkurrieren mit privaten Anbietern, die mindestens nach Einschätzung der Gewerkschaft Ver.di systematisches Lohndumping betreiben. Das hat in den vergangenen Jahren auch schon diakonische Einrichtungen in die Insolvenz getrieben. Und im Umkehrschluss gab es etwa in Oldenburg bereits im Jahr 2012 ein evangelisches Krankenhaus, das sich über die massiven Bedenken der Kirchenspitze hinwegsetzte und mit Ver.di und dem Marburger Bund einen regelrechten Tarifvertrag schloss. Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Uwe Schwarz, sieht in dem angestrebten „Tarifvertrag Soziales“ „ein entscheidendes Instrument gegen Dumpinglöhne in der Pflege“. Gerade weil die Zahl der Pflegefälle weiter wachse: „Wir brauchen in diesem Bereich hoch qualifizierte und mit Herz und Kraft arbeitende Beschäftigte, die aber auch anständig bezahlt werden müssen.“

Eben wegen der Bedeutung des ersten Tarifvertrags hat auch Ver.di Abstriche gemacht und sich auf ein Schlichtungsverfahren ohne Streikrecht eingelassen. Bereits im April sollen die ersten Tarifverhandlungen für die rund 30.000 Diakoniebeschäftigten in Niedersachsen beginnen.

Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) machte klar, worum es letztlich geht: „Dies ist ein Schritt hin zum Flächentarifvertrag.“

Und der wiederum kann, so rechnete es die Ministerin erfreut vor, anschließend für allgemeinverbindlich erklärt werden und so Lohndumping vor allem bei tariflich ungebundenen Wettbewerbern vermeiden.