Beide Kontrahenten streiten sich seit Jahren um mehr Mitsprache und ein Streikrecht. Angedacht ist jetzt eine Schlichtungslösung anstatt des Streikrechts. Betroffen sind 30.000 Beschäftigte.

Hannover. Im jahrelangen Streit der Gewerkschaft Verdi mit Kirche und Diakonie um mehr Mitsprache und ein Streikrecht steht in Niedersachsen eine Lösung mit bundesweiter Signalwirkung bevor. In einer Woche wollen beide Seiten eine Regelung vereinbaren, die der Gewerkschaft mehr Einfluss und der Kirche eine formale Wahrung ihres Sonderwegs im Arbeitsrecht ermöglicht.

Sehr schnell soll dann ein Tarifvertrag besiegelt werden, der den rund 30.000 Beschäftigten in evangelischen Krankenhäusern und Altenheimen in Niedersachsen mehr Geld beschert. Verdi hofft, dass der Kompromiss – statt eines Streikrechts ist eine Schlichtungslösung vorgesehen – auch in anderen Bundesländern Schule macht.

Zuvor hatten beide Seiten auf ihren Positionen verharrt, was die Gewerkschaft und die Kirchen in Westfalen und Niedersachsen bis vor das Bundesarbeitsgericht brachte. Beide Seiten sahen sich nach dem Urteil vom November 2012 in Teilen als Gewinner, was einen Kompromiss in der Sache nicht leichter machte.

Die Erfurter Richter hatten das Streikverbot für Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen zwar gelockert und eine bessere Einbindung der Gewerkschaften angemahnt, das Selbstbestimmungsrecht der Kirche im Grundsatz aber bestätigt.

Kern des Konflikts war anders als meist nicht das Geld – die Kirche stand einer besseren Bezahlung nicht im Weg – sondern das Prinzip. Wie in anderen Bereichen der Wirtschaft sollten Kirchen- und Diakonie-Beschäftigte aus Verdi-Sicht ein Recht auf Streik und klassische Tarifverhandlungen erhalten und nicht auf eine einvernehmliche Festlegung ihrer Bezahlung über den sogenannten Dritten Weg vertrauen müssen. Ohne Streikrecht und Gewerkschaftsbeteiligung wird bei dieser kircheninternen Regelung in paritätisch von Arbeitgeber und Beschäftigten besetzten Kommissionen das Entgelt ausgehandelt.

Die Gewerkschaft versuche schlicht im Bereich der Diakonie neue Mitglieder zu gewinnen, schimpften Kirchenleute hinter den Kulissen. Das Beharren der Kirche auf ihrem Sonderrecht wiederum erklärten Außenstehende mit der Sorge der verstärkt in der öffentlichen Diskussion befindlichen Kirche, auch an anderer Stelle ihren fest verankerten Platz in der Gesellschaft einzubüßen. So geriet etwa die Fortdauer der Staatsleistungen an die Kirchen in die Kritik.

Dass die Streithähne aufeinanderzugingen – in Niedersachsen aber auch auf Bundesebene – lag schließlich an der Einsicht, dass beiden Seiten an einer besseren Bezahlung und Ausstattung gerade in der Pflege gelegen ist. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beschloss im November ein neues Arbeitsrecht, das den 20 Landeskirchen nun die Wahl zwischen dem kircheninternen Dritten Weg oder klassischen Tarifverträgen – Streikrecht aber ausgeschlossen - ermöglicht. Niedersachsen ergreift diese Möglichkeit nun. Als kirchengemäßer Tarifvertrag wird der Zwitter zwischen Gewerkschaftsforderung und Kirchentradition bezeichnet.

„Ich glaube, das wird in anderen Landeskirchen und Diakonien Überlegungen auslösen, das könnte ein Modell sein“, meint die Kirchen- und Diakonie-Expertin Annette Klausing von Verdi in Niedersachsen. „Ich bin guter Hoffnung, dass Diakonie und Verdi in Niedersachsen einen guten Weg finden“, erklärte der Arbeitsrechtsreferent der EKD, Oberkirchenrat Detlev Fey.

Der Vize-Chef der Diakonie in Niedersachsen, Jörg Antoine, blickt bereits über die Einigung mit Verdi hinaus auf den nächsten angestrebten Schritt, einen Tarifvertrag Soziales. Darin eingebunden werden sollen auch die Träger der Freien Wohlfahrtspflege, wie etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband oder das Deutsche Rote Kreuz. Ob diese sich aber einem gemeinsamen Tarifvertrag anschließen wollten, sei noch offen. Unterstützung findet der geplante Schulterschluss aber in der Politik: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und das Sozialministerium hätten positiv reagiert, sagte Antoine.