Als einziger Landwirt in Deutschland verkauft Hans-Hinrich Kruse nach jüdischen Reinheitskriterien produzierte Milchprodukte. Knapp 200 Kühe und 100 Ziegen hat Kruse auf dem Hof.
Rellingen. In weißen Gummistiefeln hetzt Hans-Hinrich Kruse zwischen seinen Mitarbeitern und den Maschinen hin und her. Hat die Milch die richtige Temperatur? Sind genügend Verpackungskartons eingelegt? Käse wenden. Milch nachgießen. Hans-Hinrich Kruse hat scheinbar überall gleichzeitig seine Hände und achtet auf jedes Detail. Das muss er auch, denn die Milchprodukte, die er herstellt, müssen die höchsten Qualitätsstandards erfüllen. Hans-Hinrich Kruse produziert koschere Milcherzeugnisse.
„Ich mache das nun schon seit 2010 und es wird von den Kunden gut angenommen“, sagt der 61 Jahre alte Landwirt. Auf dem Hof der Meierei „Kruses Hofmilch“ im Schleswig-Holsteinischen Rellingen, kurz vor den Toren Hamburgs, stellt er Milch, Joghurt, Käse und Quark gemäß den Speisegesetzen des Judentums her Als einziger Milchbauer in Deutschland vertreibt er bundesweit die koscheren Produkte.
„Bei meinen Mitarbeitern bestand großes Interesse daran, in die Produktion koscherer Produkte mit einzusteigen. Es war etwas Neues für uns alle“, sagt Kruse. Der Umstieg auf Koscher, er sei nicht sonderlich schwer gewesen. Denn koschere Milch ist, ganz im Sinne von Kruse, ein besonders naturnahes Produkt. „In unserer hofeigenen Molkerei wird die Kuh- und Ziegenmilch lediglich pasteurisiert und ohne weitere Behandlung am nächsten Tag ausgeliefert. Diese ganzen Zusätze für Milchprodukte, die es in der Industrie inzwischen gibt, die gibt es bei mir nicht“, sagt er. Wären sie drin, dann wären die Produkte auch nicht koscher. Damit die Qualität garantiert bleibt, wachen der Hamburger Rabbiner Shlomo Bistritzky oder ein sogenannter Maschgiach, der an seiner Stelle den Produktionsprozess kontrollieren darf, akribisch über die Einhaltung der Reinheitsgebote für die Kuh- und Ziegenmilchprodukte. Auch an diesem Tag. Bistritzky trägt Kittel, Füßlinge und Kippa und geht zwischen den Maschinen in der Halle umher. Ein Blick auf die Milchfarbe. Alles ist in Ordnung. Thermometerangabe? Ebenfalls in Ordnung. Die koschere Produktion läuft tadellos.
Doch wann ist Milch koscher und wann nicht? Wenn ein Euter verletzt ist und Blut die Milch verunreinigt, dann ist sie nicht mehr koscher und damit für für Juden nicht mehr genießbar. Es sei nicht „Chalaw Yisrael“, wie Juden sagen. Auch darf die Milch nicht mit chemischen Zusätzen versehen werden, nicht künstlich länger haltbar gemacht werden. „Die Milch muss daher innerhalb von sieben Tagen verbraucht werden. Länger hält sie sich nicht“, sagt Kruse. Ein Nachteil sei das nicht. „Im Gegenteil, die Qualität der Milch ist immer außerordentlich hoch. Frischer geht kaum noch“, sagt Kruse. Bistritzky stimmt dem zu. „Die Milch muss höchsten Ansprüchen genügen, denn die jüdischen Speiseregeln sind vielfältig und streng. Sie verbieten nicht nur Blut in den Speisen. Fleisch- und Milchprodukte dürfen nicht zusammen gegessen werden, niemals in Berührung kommen“, sagt der Rabbiner. Deshalb komme das Lab für den Käse nicht aus einem Kälbermagen, sondern aus dem Reagenzglas.
Die eigentliche koschere Milchproduktion beginnt im Stall. Knapp 200 Kühe und 100 Ziegen hat Kruse auf dem Hof, die dort geboren wurden und auf den Wiesen und Weiden rund um den Hof grasen. Regelmäßig werden sie gemolken. Gegen drei Uhr in der Frühe wird die Melkmaschine in Gang gesetzt. Dabei darf kein Euter verletzt werden. Darauf achtet für gewöhnlich der Maschgiach. „Früher waren wir jede Woche morgens vor Ort, um zuzuschauen, wie gemolken wird“, sagt der Rabbiner. Inzwischen bestehe zwischen Kruse und dem Rabbi ein solches Vertrauensverhältnis, dass eine ständige Kontrolle nicht mehr nötig sei. Wenn die Milch im Tank ist, würden die einzelnen Produkte angesetzt. „Die gesamte Anlage muss vor dem Prozess 24 Stunden lang ruhen, bevor sie wieder auf Betriebstemperatur gebracht werden darf“, sagt Kruse. Wenn die Maschine dann warmgelaufen ist, dann geht es in der Meierei weiter im Akkord, bis Käse, Milch, Joghurt und Quark produziert und abgepackt sind. Alles unter den wachsamen Augen des Rabbiners oder des Maschgiachs.
Bistritzky schaut zu, wie die Milch abgefüllt wird, schaut sich den reifenden Käse in der Kühlkammer an. Wohlwollendes Kopfnicken. Wenn Bistritzky nichts zu beanstanden hat, dann gibt es ein Siegel für die Produkte auf die Verpackung: „Chalaw Yisrael“ - koscheres Produkt. „Allein in Hamburg leben 8000 Juden. Viele wollen koschere Produkte“, sagt der Rabbiner. Koscher, das sei für viele Juden vor allem ein Merkmal für die Güte der Ware. „Für einige Juden hat koscheres Essen auch eine tief religiöse Bedeutung“, sagt der Rabbi. Im Judentum gibt es rituelle Speisevorschriften, die als Kaschrut-Gesetze bezeichnet werden. Das Einhalten dieser Vorschriften führt in der Vorstellung der Juden zur Harmonie zwischen Körper und Seele.
Der Talmud vergleicht den jüdischen Haushalt mit einem kleinen Tempel und der gedeckte Tisch ist der Altar. Jede Mahlzeit hat eine spezielle Bedeutungen. Die Speisen müssen deshalb rein, tauglich, geeignet sein, also koscher. Für strenggläubige Juden war es bis vor einigen Jahren relativ kompliziert, koschere Lebensmittel in Deutschland zu erhalten. „Viele Produkte wurden aus Israel importiert. Die Nachfrage steigt, so dass es sich finanziell für Betriebe lohnt, koschere Waren anzubieten“, sagt der Rabbiner.
Mehrere Geschäfte und Institutionen haben inzwischen die koscheren Produkte von Kruse im Sortiment. So zählen Schulen und Kindergärten ebenso zum Kundenkreis, wie Supermärkte und kleinere Einzelhändler in Hamburg. „Demnächst wird im Grindelviertel ein koscheres Lebensmittelgeschäft eröffnet, auch da werden wir die Produkte anbieten“, sagt Bistritzky. Dass es nach etlichen Jahrzehnten wieder einen Laden für koschere Lebensmittel im Hamburger Grindelviertel geben wird, mache das Leben für Juden einfacher.
Bis vor wenigen Jahren hätten, so erzählt Kruse, viele Juden in Deutschland aus der Not heraus koscheres Milchpulver aus Belgien gekauft. Dass diese Menschen nun eine Alternative haben und wirklich frische Milch genießen können, das findet Kruse gut. Und der Rabbi auch.