Bei dem Unfall auf der Störbrücke bei Itzehoe mit zwei Toten wurde auch eine 72-jährige Frau in die Pathologie eingeliefert - obwohl sie noch lebte. Rettungsdienstleiter bewertet den Einsatz selbst für Profis als ungewöhnlich.
Itzehoe. Es ist der absolute Albtraum: Lebendig begraben oder auch lebendig für tot erklärt zu werden. Einer 72 Jahre alten Frau ist genau das am Montag passiert. Nach einem tragischen Verkehrsunfall auf der Itzehoer Störbrücke (wir berichteten) wurde sie von Ärzten irrtümlich für klinisch tot erklärt und im Leichenwagen in die Pathologie des Klinikums Itzehoe transportiert. Erst dort fiel zwei Bestattern der fatale Fehler auf: Unter der Plane, mit der die Frau abgedeckt war, hörten sie ein Rascheln. Sie alarmierten umgehend die Ärzte.
Die 72-Jährige kam mit schwersten Kopfverletzungen ins Westküstenklinikum in Heide, das auf neurochirurgische Eingriffe spezialisiert ist. In einer vierstündigen Operation kämpften die Ärzte am Montag um ihr Leben. Inzwischen gibt es aber keine Hoffnung mehr – zu gravierend seien ihre schweren Kopfverletzungen. „Die lebensverlängernden Maßnahmen sind eingestellt worden“, sagte Klinikchef Harald Stender am Dienstagabend. Die Koma-Patientin liege im Sterben. Zahlreiche Angehörige seien gekommen, um Abschied von ihr zu nehmen.
Sollte die Frau sterben, droht den Ärzten, die für den Diagnose-Fehler verantwortlich sind, ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung. Es werde genau zu prüfen sein, ob der Tod der 72-Jährigen im Zusammenhang mit ihrer verspäteten Einlieferung in die Klinik steht, sagte Uwe Dreeßen, Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe, dem Abendblatt. Gegenwärtig gebe es jedoch keine Hinweise darauf, dass sich der Zustand der ohnehin schwerstverletzten Frau durch die verzögerte intensivmedizinische Behandlung nochmals merklich verschlechtert hatte.
Rätselhaft bleibt, warum eine noch lebende Frau überhaupt für klinisch tot erklärt werden konnte. Waren die Ärzte überfordert? Fest steht: Die Situation war auch für erfahrene Retter außergewöhnlich belastend. Am Montagmorgen war ein mit vier Kindern und drei Erwachsenen besetzter Audi A4 Kombi in einer verengten Baustellen-Passage der A 23 frontal mit einem VW Golf zusammengestoßen. Offenbar befand sich die siebenköpfige armenische Familie auf dem Rückweg nach Husum. Tamo T., 18, steuerte den Wagen und kam auf der Itzehoer Störbrücke aus ungeklärter Ursache auf die nicht durch Leitplanken abgetrennte Gegenfahrbahn.
Einsatz selbst für Profis ungewöhnlich
Vier Notärzte, ein leitender Notarzt und fast 20 Rettungsassistenten rückten um kurz nach sieben Uhr zur Unfallstelle aus. Peter Happe, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Itzehoe, war als einer der ersten Retter dort. „Überall lagen Trümmerteile herum, drei Kinder kauerten auf der Straße und schrien wie am Spieß. Es war der schlimmste Einsatz, den ich je erlebt habe“, sagte Happe dem Abendblatt. Notärzte und Rettungssanitäter seien „hin- und hergesprungen“, um die „Verletzten zu bearbeiten“. Er habe beobachtet, wie auch die 72-Jährige notversorgt und dann mit einem Tuch abgedeckt worden sei. Für ihre Tochter Jemma, 36, und ihren Enkel, Alik, 6, kam indes jede Hilfe zu spät – sie starben an Ort und Stelle. Unglücksfahrer Tamo T. schwebt noch in Lebensgefahr. Gegen ihn wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Den anderen fünf Schwerverletzten, die auf Kliniken in der Region verteilt wurde, geht es etwas besser.
Überforderung ist ein Wort, das Dr. Marko Fiege, Leiter des Rettungsdienstes am Klinikum Itzehoe, gern vermeiden würde. Selbst für Profis sei der Einsatz ungewöhnlich gewesen. Zwar habe sich die Diagnose, dass die Frau klinisch tot sei, später als falsch entpuppt – das sei unter den Einsatzbedingungen jedoch kaum erkennbar gewesen. „Unsere Leute haben in der Primärversorgungsphase priorisiert, also geschaut, welche Verletzten am schnellsten behandelt werden müssen.“ Die Maxime in solchen Situationen laute: „Rette, was zu retten ist“. Und bis auf die Panne mit der 72-Jährigen sei der Einsatz erfolgreich verlaufen. Spekulationen, wonach bei der 72-Jährigen ein Herzschlag nicht mehr feststellbar war, weil beim Messen der Herzaktion eine Elektrode abgerutscht sei, wies Fiege zurück. Denn die Diagnose „klinischer Tod“ beruhe auf einer umfassenden Einschätzung. So habe die Frau keine Vitalfunktionen gezeigt: Der Kreislauf sei zusammengebrochen, Atmung und Puls hätten ausgesetzt. Hinzu kamen äußere, erhebliche Verletzungen. „Offenbar hat es minimale Lebensfunktionen gegeben, die man aber in der chaotischen Situation nicht registriert hat.“
Ohnehin wäre aber in der Pathologie noch einmal eine Leichenschau durchgeführt worden – um festzustellen, ob die Frau hirntot ist. „Im nachhinein war es aber sicher ein Fehler, dass die Frau im Leichenwagen abtransportiert wurde und nicht im Rettungswagen“, sagt Fiege.