Wie eine Frau aus Rotenburg ihr gesamtes Vermögen verlor. Nun droht ihr die Sozialhilfe. Ihre Geschichte erzählt von enttäuschtem Vertrauen und dem Scheitern einer Ehe.
Sigrid K. kann ihr Glück kaum fassen, als sie an einem Märztag in einer Pension im Allgäu der Liebe begegnet. War das möglich? Ein Mann in den besten Jahren, gut aussehend und voller Elan, der sich für sie interessiert? Der 37-Jährigen scheint sofort klar, dass sie den Mann ihres Lebens gefunden hat. Dass sie selbst recht gut betucht war, spielt keine Rolle, glaubt sie damals. Schließlich war Jürgen, ihr norddeutscher Romeo, selbst Leiter einer Bankniederlassung in Rotenburg. Das Lebenstempo, das er vorlegt, beeindruckt die eher bodenständig erzogene junge Frau.
Heute, 30 Jahre später und um einige Millionen Euro ärmer, steht Sigrid K. vor den Scherben ihres Lebens und versucht verzweifelt, sie wieder zusammenzusetzen. Für den vermeintlichen Traummann empfindet sie nur noch Wut und Verachtung. Er hat in ihrem Namen ihr gesamtes Geld mit undurchsichtigen Geschäften und Kontensystemen durchgebracht. Die einstige Millionärin lebt auf Sozialhilfeniveau. Jeden Moment droht ihr die Zwangsversteigerung, danach müsste sie Hartz IV beantragen.
Ihre Geschichte erzählt von schon fast naiver Gutgläubigkeit, enttäuschtem Vertrauen und dem Scheitern einer Ehe. Es ist aber auch die Geschichte einer Frau, die sich wie so viele andere nie um die Finanzangelegenheiten der Familie gekümmert hat, sondern diese komplizierte Materie lieber ihrem Mann überließ. Viele dieser Geschichten enden böse, nicht alle aber so dramatisch wie die von Sigrid K.
Am Anfang erscheint ihr alles wie ein Märchen: Aus der Begegnung mit ihrem Jürgen in Oberstaufen entsteht schnell mehr. Nach kurzer Zeit werden die beiden ein Paar. Die erste Ehe der damals 37-jährigen Lehrerin mit einem Unternehmer aus Einbeck ist ohnehin zu Ende. Schon im Juni übersiedelt Sigrid K. mit ihren beiden Töchtern, zehn und zwölf Jahre alt, nach Rotenburg; dem neuen Mann in ihrem Leben kann es nicht schnell genug gehen. Ihre Familie, ihre Freunde sind sprachlos. Als Morgengabe bringt sie die Verkaufssumme ihres großen Wohnhauses in Einbeck mit. Jürgen, der Bankkaufmann, hat sie von der günstigen Gelegenheit überzeugt und eine Möbelspedition geschickt. Auch für ihren Anteil an der Maschinenfabrik ihres ersten Mannes erhält Sigrid K. eine hohe Auszahlung.
Das neue Leben erscheint ihr perfekt, Jürgen behandelt ihre Kinder wie seine eigenen. Seinen Höhepunkt erreicht das Glück vielleicht, als die gemeinsame Tochter Katharina geboren wurde. Oder als die Bank den 40. und 50. Geburtstag der beiden zusammen ausrichtet. Ein riesiges Fest, viele Gäste, ganz großer Bahnhof. Man ist jemand in Rotenburg. Die Bilder aus der Zeit zeigen ein zufriedenes, lebenslustiges Paar und Jürgen K. als einen stattlichen Mann, meist braun gebrannt, einen schweren goldenen Ring am Finger, auf Bedeutung bedacht in einem sehr bürgerlichen Sinne.
Wie sie es von ihren eigenen Eltern kennt, kümmert sich Sigrid K. um Kinder und das Zuhause, ihr Mann, der Bankier, um alles Finanzielle. Er legt das Geld an – ihr Geld. Und das wird immer mehr. Zu den Erlösen aus dem Hausverkauf und ihrem Anteil an dem Unternehmen ihres ersten Mannes kommt das Erbe ihrer Mutter, 560.000 Mark. Jürgen K. jongliert mit immer höheren Summen – in ihrem Namen. Wenn er abends nach Hause kommt, bringt er häufig Schriftstücke mit, die Sigrid K. unterschreiben soll – bloße Formsache, denkt sie. Schon kurz nach ihrem Umzug hat Sigrid K. ein Einfamilienhaus für die Familie erworben, von ihrem Geld. Doch er selbst lässt sich als Eigentümer ins Grundbuch eintragen. Wenn Sigrid K. heute an ihre eigene Naivität denkt, kommen ihr die Tränen. Was sie damals für Vertrauen hielt, erscheint ihr mittlerweile als riesengroße Dummheit. Oder als den unbewussten Hochmut einer Frau, die in tradierten Rollenmustern lebt und sich schlicht nicht vorstellen kann, dass ihre Ehe scheitert.
Wie sie mittlerweile aus vielen Gesprächen erfahren hat, ist sie keineswegs die einzige Frau, der es so ergeht. „Vor allem bei älteren Frauen kümmert sich häufig der Mann um die Finanzen“, berichtet die Hamburger Paartherapeutin Anke Enders-Ngono aus ihrer Praxis. Ähnliche Erfahrungen hat auch der auf Scheidungsrecht spezialisierte Hamburger Rechtsanwalt Dirk Kaden gemacht, dessen Kanzlei Dr. Andrae, Kaden, Reuscher und Kollegen jährlich 300 bis 400 Scheidungen betreut: „Viele Frauen halten sich aus den Finanzen der Familie heraus, so lange noch Geld da ist“, sagt er.
Damals schwelgt auch Sigrid K. noch im Glück. Wie zu Hause der Vater, ein Bauunternehmer, regelt nun ihr Mann die Abwicklung aller Finanzgeschäfte. Vielleicht lehnt sie sich auch deshalb gern bei dem zehn Jahre älteren Mann an, weil ihr Vater gerade gestorben ist. Über diese Dinge grübelt sie heute viel nach, damals jedenfalls lebt die Familie gut. Nach einigen Jahren wird das Haus verkauft und ein neues, größeres Anwesen mit zwei Gebäuden in Rotenburg gebaut und bezogen. Als ihre Schwester stirbt, erbt Sigrid K. noch einmal 1,1 Millionen Euro, davon 655.000 Euro in bar. Die Wende kommt, als Jürgen K. 1986 von seiner Bank als Filialleiter entlassen wird, weil er grob fahrlässig hohe Kredite vergeben haben soll. Vier Jahre lang streitet er mit dem Geldinstitut vor Gericht, bis es zu einer Einigung kommt. Sigrid K. nimmt ihrem Mann ab, dass der ganze Schlamassel nur von Neidern angezettelt worden ist, die ihm den Erfolg nicht gönnen.
Nun betätigt er sich vor allem mit dem Geld seiner Frau. Auf ihren Namen läuft eine Jugendhilfeeinrichtung, an der sich K. zuvor mit einer kleinen Einlage zur Hälfte beteiligt hat. Schon damals hat das System, glaubt sie heute: „Sichere Werte wurden auf seinen Namen, unsichere oder mit Risiken behaftete auf meinen Namen eingetragen“, sagt die 67-Jährige. Ihr Mann leitet die Jugendhilfeeinrichtung mit einer Generalvollmacht, gründet ein unüberschaubares Geflecht von kleineren Firmen, richtet Konten und Unterkonten ein, zwischen denen Beträge in heute nur noch schwer nachvollziehbarer Weise hin- und herfließen. Sämtliche Akten bewahrt er in seinem Büro in der Jugendhilfeeinrichtung auf, die mittlerweile zehn Heime betreibt. Sie selbst hat nur ein Haushaltskonto.
Zwar ist bei ihrer Heirat ein Ehevertrag mit Gütertrennung geschlossen worden. Doch tatsächlich gehört Sigrid K. immer weniger. Sie finanziert, er lässt sich als Eigentümer eintragen. „So ergab sich auf längere Sicht eine völlige Umkehrung unserer Vermögenssituation“, sagt die Rotenburgerin. „Alle meine mitgebrachten Reichtümer verschwanden aus meinem Einflussbereich und Besitzanspruch.“
Und das Geld bestimmt immer mehr die Beziehung; der Streit darum sickert in ihre Ehe ein und vergiftet sie von innen. Folgt Sigrid K. den Finanzplänen ihres Mannes, ist die Stimmung gut. Zeigt sie zunehmend Misstrauen, gibt es Streit, manchmal auch heftige Wutausbrüche. Nach außen zeigt man sich als heile Familie. Die Jugendheime, die Sigrid K. gehören, aber von ihrem Mann verwaltet wurden, scheinen gut zu laufen, doch sie bringen scheinbar immer weniger Geld ein. Die Bankverbindlichkeiten schnellen in die Höhe. Als das Finanzamt anklopft, ist das Geld für die Steuer auf das Erbe der Schwester nicht mehr da. 1,1 Millionen Euro geerbt und kein Geld für die Erbschaftssteuer? Eine weitere Immobilie in Einbeck muss verkauft werden. Sigrid K. beginnt, sich immer mehr zu wundern.
Schließlich muss sich die Familie auch von dem großen Anwesen in Rotenburg trennen. Die relativ niedrige Verkaufssumme von 370.000 Euro bedient exakt einen gemeinsam aufgenommenen Kredit, offen bleibt aber ein weiteres Darlehen auf das Haus auf ihren Namen in Höhe von knapp 100.000 Euro, das sie als Dreingabe für den Rauswurf aus ihrem Haus bedienen muss. Erhebliche Geldbeträge werden zwischen seinen Konten, ihren Konten und Gemeinschaftskonten hin- und hertransferiert. Jürgen K. regelte alles mit einer örtlichen Bank, deren Mitarbeiter er noch aus seiner Zeit, als er selbst Banker war, gut kannte.
Als Sigrid K. immer häufiger nachfragt und selbst anfängt zu recherchieren, gibt es heftige Auseinandersetzungen, eine Trennung und dann wieder eine Versöhnung. Das Paar will es noch einmal miteinander versuchen und nach dem Auszug aus dem Haus eine gemeinsame Wohnung kaufen. Sie besteht darauf, diese auf den Namen der Tochter eintragen zu lassen und leistet ihren Teil der Einlage. Er blieb seine bis heute schuldig. Trotz Streits nimmt sie ihn wieder auf, als er einen körperlichen Zusammenbruch erleidet, auch wenn ihr alle Freunde davon abraten. Erst vor zweieinhalb Jahren schafft es Sigrid K., sich endgültig von ihrem Mann zu trennen. Als er schließlich auszieht, nimmt er einen Großteil der gemeinsamen Möbel mit. Er habe aus dem Verkauf seines Haus ihren Kredit abgelöst, argumentiert er später in einem anwaltlichen Schriftstück, das dem Abendblatt vorliegt. Darin widerruft er diese „Schenkung“ wegen „groben Undanks“. Sigrid K. versteht die Welt nicht mehr.
Nun will sie nur noch eins: Die Dinge aufklären, Grund reinbringen und die Fakten von denen nachprüfen lassen, die etwas davon verstehen – koste es, was es wolle. Sie bringt einige Steine ins Rollen, in der Hoffnung, dass andere für sie herausfinden, was da eigentlich gelaufen ist. Im März 2011 zeigt Sigrid K. ihren Mann bei der Polizei Verden wegen Betruges an. Sie erwartet, dass die Ermittler jetzt tätig werden. Erst passiert nichts, dann erfährt sie, dass das Verfahren eingestellt wurde. Ihr Mann ist von der Anzeige nicht einmal benachrichtigt, geschweige denn vernommen worden.
So unerklärlich findet es ihr Anwalt Christian Häuser nicht, dass die Polizei den Vorwürfen nicht nachgegangen ist. „Das ist Alltag, offenbar sah sie keinen ausreichenden Anfangsverdacht“, sagt er. Teilweise seien die Vorwürfe verjährt gewesen, einige von ihnen nicht beweisbar. „Es kann sein, dass die Polizei die Anzeige nicht so ernst genommen hat, weil sie dachte, sie stamme von einer enttäuschten Ehefrau.“
Sehr viel weniger kann der Rechtsanwalt hingegen das Verhalten des Finanzamtes nachvollziehen. Weil sie sich abermals Aufklärung erhofft, entschließt sich Sigrid K. Anfang 2012 schweren Herzens zur Selbstanzeige bei der Finanzverwaltung. Mieteinnahmen und Werbungskosten waren in einer gemeinsamen Steuererklärung falsch ausgewiesen worden. Nun würde man das Finanzgeflecht von professioneller Seite entwirren, glaubt sie. Doch das Finanzamt bessert lediglich den Steuerbescheid des einen Jahres nach. Damit ist der Fall für die Steuerfahnder erledigt.
Für die 67-Jährige fühlt es sich mittlerweile so an, als habe sich alles gegen sie verschworen. Auch die Bank, über die die Geschäfte abgewickelt werden. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie einen Kredit in fünfstelliger Höhe aufgenommen. Als sie schon getrennt sind, erhält sie ein Schreiben vom Geldinstitut, dass der Kreditrahmen um 15.000 Euro erhöht wurde. Aber schon in den Tagen, bevor dieser Brief überhaupt bei ihr eingeht, hat ihr Mann den neuen Kreditrahmen durch mehrere größere Abbuchungen ausgeschöpft. Ein anderes Beispiel: Gemeinsam schulden Sigrid und Jürgen K. der Bank 140.000 Euro. Er selbst bestätigt in einem offiziellen Schriftstück, er habe „gesamtschuldnerische Verbindlichkeiten“ gegenüber der Bank. Als der Kredit nicht mehr bedient wird, schickt die Bank aber nur Sigrid K. einen Mahnbescheid über die Summe. Sie legt Widerspruch ein und hofft, dass das Geldinstitut nun wiederum dagegen juristisch vorgeht, um an ihr Geld zu bekommen – und aus Sigrid K.s Sicht endlich Licht in das Dunkel der Finanzverhältnisse zu bringen. Doch zu ihrer Überraschung lässt die Bank die Sache auf sich beruhen.
Nun steht Sigrid K. vor dem Nichts – emotional wie finanziell. Jürgen K. hat sich für mittellos erklärt und eine eidesstattliche Versicherung unterschrieben. Sie selbst lebt von den Einkünften aus der einzigen Immobilie, die ihr von den Jugendhilfeeinrichtungen geblieben ist. Die Bank will das Gebäude zwangsversteigern lassen, um eine Grundschuld von 159.000 Euro auf das Haus einzulösen. Sigrid K. hat Einspruch erhoben, bangt jedoch jeden Tag darum, dass der Termin der Zwangsversteigerung festgelegt werden könnte. Verliert sie die Immobilie, bleiben ihr nur noch die 320 Euro Rente im Monat aus ihrer Zeit als Lehrerin.
„Das ist bitter, wenn man sieht, wie viel Vermögen da war“, sagt ihr Rechtsanwalt Christian Häuser. „Übrig ist nur ein Schuldenberg.“ Einen so extremen Fall hat der Jurist in seiner Praxis noch nie erlebt. Er will nicht von Betrug sprechen. Vieles erscheint zwar seltsam, doch beweisbar ist wenig. „Herr K. hat es geschafft, während der Ehe ein sehr komplexes Geflecht aus Konten und Firmen zu schaffen, in dem das Geld seiner Ehefrau praktisch vollständig versickert ist“, sagt der Anwalt. Juristisch dagegen vorzugehen ist vor allem deshalb schwierig, weil K. die meisten Geschäfte im Namen seiner Frau abwickelte. Jedes wichtige Schriftstück trägt ihre Unterschrift. „Brav wie eine deutsche Hausfrau“ habe sie alles unterzeichnet, was ihr Mann ihr vorlegte, so der Anwalt.
Der Mann von Sigrid K. will sich auf mehrfache Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern und verweist auf seinen Rechtsanwalt. Der ist für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Ebenso wie ihre Mutter hat sich auch die gemeinsame Tochter Katharina, 29 Jahre alt, von ihrem Vater losgesagt. Auch ihr Erbe, das die Großeltern und die Tante ihr hinterlassen hatten, hat der ehemalige Banker verwaltet. Auch davon ist heute nichts mehr übrig. Lange hatte die Tochter noch zu vermitteln versucht. „Aber heute habe ich mit meinem Vater abgeschlossen“, sagt die junge Frau. Für ihn stehe das Geld an erster Stelle, glaubt sie, danach komme lange nichts mehr – fast wie bei einer Sucht. „Ich empfinde keine große Wut mehr, aber auch kein Mitleid, ich wünsche mir nur, dass die Wahrheit ans Licht kommt“, sagt sie.
Dass Sigrid K. inzwischen wieder überhaupt Lebensmut gefasst hat, verdankt sie der Hilfe eines Therapeuten. Er unterstützt sie dabei, sich selbst besser zu verstehen, als sie „total im Keller“ ist. „Ich dachte, es sei eine glückliche Beziehung gewesen. In der Therapie habe ich gelernt, dass man das, was da war, nicht Liebe nennt.“ Was sie sich wünscht? „Zur Ruhe zu kommen, diese Existenzängste loswerden“, sagt Sigrid K. Sie will keinen Hass mehr, sondern mit der Vergangenheit abschließen. Und irgendwann ein paar Tage wegfahren oder einfach nur ins Schwimmbad gehen können, ohne beim Nachrechnen festzustellen, dass sie sich das eigentlich nicht leisten kann. Schließlich war sie mal eine sehr vermögende Frau.