Die Installation von Offshore-Anlagen vor den deutschen Küsten läuft auf vollen Touren - allerdings auch eine neue Debatte.
Odense. Über den Bau von Windkraftanlagen auf dem Meer kann man John Karlsen nicht mehr allzu viel erzählen. Schon beim ersten Offshore-Windpark, der in der Nordsee errichtet wurde, war er Anfang der 2000er-Jahre als Kranführer dabei, am Horns Rev einige Kilometer vor der dänischen Stadt Esbjerg. Demnächst wird er beim Bau des Windparks Dan Tysk 70Kilometer westlich von Sylt Hand anlegen, an den Hebeln seines nagelneuen Hubwerks.
Karlsen, 52, ist bereits ein Veteran in einer immer noch sehr jungen und äußerst turbulenten Branche. Er steht im Steuerstand eines riesigen Krans, der mit seinen Joysticks und Bildschirmen wirkt wie das Cockpit eines Verkehrsflugzeugs. 30 voll beladene Schwerlastzüge könnte die stählerne Konstruktion mit ihren 1200 Tonnen Hebekraft zugleich bewegen. Der Kran gehört zur "Pacific Osprey", die kurz zuvor am Hafen der dänischen Stadt Odense getauft worden ist. Das Schiff und dessen Schwester "Pacific Orca", je 161 Meter lang und 46 Meter breit, können auf ihren Hubstelzen in Wassertiefen von bis zu 75 Metern stehen und schwere Bauteile montieren, zum Beispiel Türme, Maschinenhäuser und Rotorblätter für Windturbinen. Gebaut für die dänische Reederei Swire Blue Ocean auf der Samsung-Werft in Südkorea, sind sie die weltweit größten Errichterschiffe, die für die Windkraftbranche bislang je entworfen und in Fahrt gesetzt wurden.
Während Karlsen über seine Erfahrungen auf dem Meer berichtet, fährt hinter der "Pacific Osprey" ein kleineres Schiff aus dem Hafen heraus, die "Sea Energy", auch sie ausgestattet mit den Hubstelzen, die für die Schiffe der neuen Offshore-Industrie charakteristisch sind. "Die ,Sea Energy' war ursprünglich ein Containerschiff, das für die Arbeiten am Horns Rev umgebaut wurde", sagt Karlsen. "Damals wurde noch wesentlich stärker improvisiert. Die Aufstellung einer Windturbine auf ein Fundament dauerte acht bis neun Stunden, mit der ,Pacific Osprey' werden es wohl sieben bis acht Stunden sein. Noch wichtiger ist allerdings: Dieses Schiff hier kann bei einer Fahrt elf Windturbinen mit aufs Meer nehmen, die ,Sea Energy' nur drei."
Seit Beginn des neuen Jahrtausends schon, seit der Zeit der rot-grünen Bundesregierung, wird der Aufbau von Offshore-Windparks in der deutsche Nordsee und Ostsee debattiert und geplant. Schon damals wollten die Energiestrategen in Berlin die konstante Windausbeute auf dem Meer als ein Fundament für die Energiewende nutzen, für eine allmähliche Abkehr von Atom- und Kohlekraftwerken. Mit dem neuerlichen Beschluss zum Atomausstieg, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2011 nach den Havarien im japanischen Atomkraftwerk Fukushima durchgesetzt hatte, wurden die alten Offshore-Pläne aus der Zeit ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD) plötzlich wieder hochaktuell.
Seit deren Entwurf war bereits fast ein Jahrzehnt verstrichen. Fertiggestellt wurde in dieser Zeit aber lediglich der Test-Windpark Alpha Ventus vor Borkum mit zwölf Windturbinen. Alle Beteiligten hatten lernen müssen, dass die Umsetzung der Offshore-Projekte weitaus schwieriger ist als zunächst gedacht. Es kostete Jahre Zeit, Milliarden Euro an Investitionen und die Arbeit Tausender Ingenieure, um mit dem Bau von Windkraftwerken weit vor den deutschen Küsten beginnen zu können. Mehrere Großprojekte auf der Nordsee werden mittlerweile gebaut, Global Tech 1, Borkum West II, Nordsee Ost, Bard Offshore 1 und seit Februar auch Dan Tysk, ein Gemeinschaftsprojekt des Energiekonzerns Vattenfall und der Stadtwerke München. In der deutschen Ostsee baut der Energiekonzern EnBW seinen zweiten Windpark Baltic 2.
Vor den Küsten Großbritanniens und Dänemarks stehen längst Hunderte Windturbinen. Nun kommt auch der Aufbau der deutschen Offshore-Parks in Gang, allerdings unter weit komplexeren Bedingungen und unter der widrigen Witterung der Nordsee. Nirgends sonst werden Windturbinen in 40 oder 50 Meter tiefem Wasser montiert, nirgends gab es bislang Tausende Tonnen schwere Umspannwerke, die den Strom auf dem Meer von Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln, damit auf den Transportstrecken von teils mehr als 100 Kilometern möglichst wenig Leistung verloren geht. Hoch spezialisierte Maßanfertigungen und teure Einzelstücke prägen die Startphase der Offshore-Energie in Deutschland. Ein einziger Landanschluss, der mehrere Windparks per Gleichstromübertragung mit dem Netz verbindet, kostet rund eine Milliarde Euro. Ein Errichterschiff wie die "Pacific Osprey" schlägt immerhin noch mit gut 150 Millionen Euro Baukosten zu Buche.
Besonders die Montageschiffe der neuen Generation wie die "Pacific Osprey" oder die "Innovation" des Baukonzerns Hochtief machen den technologischen Fortschritt, die Beschleunigung und Effizienz beim Bau der Offshore-Windparks in den deutschen Gewässern sichtbar. Gerade jetzt aber kommt die Offshore-Industrie von allen Seiten unter Druck. Politiker, Manager, auch Vertreter von Verbraucherverbänden werfen seit Monaten die Frage auf, ob die deutschen Offshore-Pläne nicht völlig überdimensioniert seien, ob die Windkraftwerke auf dem Meer wirtschaftlich überhaupt je sinnvoll betrieben werden können. Gerade angesichts des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes ist das Thema hoch sensibel, denn der Aufbau der Offshore-Windparks wird mit einer gesetzlich geregelten Strompreis-Umlage gefördert, die in den vergangenen Jahren mehrfach erhöht worden war.
Die HSH Nordbank, einer der wichtigsten Finanzierer für Projekte der erneuerbaren Energien in Europa, bewertet den deutschen Offshore-Markt äußerst zurückhaltend - anders als etwa Windkraftwerke an Land. "Die wenigen Windturbinen, die bislang in der deutschen Nordsee stehen, erbringen noch längst keine ausreichend zuverlässigen Daten über die Wirtschaftlichkeit von Offshore-Parks in dieser Region", sagt Lars Quandel, Leiter des Geschäftsbereichs für erneuerbare Energien bei der HSH Nordbank. "Wir wollen den Aufbau von Offshore-Windparks in Deutschland weiterhin begleiten, aber wir investieren nur sehr gezielt in einzelne Projekte." Zu einem der großen Finanzierer der Branche im Land werde man wohl nicht werden.
Die ursprünglichen Regierungsziele für den deutschen Offshore-Ausbau, die im vergangenen Jahrzehnt formuliert worden waren - 10.000 Megawatt installierter Leistung bis 2020, 25.000 Megawatt bis 2030 - gelten allgemein als überholt. 5000 bis 6000 Megawatt bis 2020 erscheinen noch erreichbar. Wenige Hundert Megawatt sind es derzeit. "Die nächsten Ausbaustufen hängen in der Luft", sagt Jörg Kuhbier, der für die SPD früher Senator in Hamburg war und der jetzt die Stiftung Offshore-Windenergie leitet. Bis zur Bundestagswahl im September könnten die Unternehmen keine Entscheidungen treffen. Erst danach werde feststehen, wie und in welcher Höhe Strom aus Offshore-Windparks im Rahmen des novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vergütet werde. Auch der Bau von Landanschlüssen und Netzen verzögere sich weiterhin. "Von der Investitionsentscheidung bis zum Bau eines Windparks vergehen fünf bis sechs Jahre. Ich verstehe, dass die Unternehmen derzeit nicht entscheiden können", sagt Kuhbier. Investoren brauchten Planungssicherheit, wie der Gesetzgeber den Ausbau von Windkraftwerken auf See künftig fördern wolle.
In Hamburg stellte Kuhbier am Donnerstag gemeinsam mit Wirtschaftssenator Frank Horch eine neue Studie des Instituts für Innovation und Technik über Zukunftsberufe in der Offshore-Windenergie vor. Die Beteiligten aus Politik und Wirtschaft wissen, dass sie dringend Fachkräfte für die Offshore-Wirtschaft qualifizieren müssen, wenn diese dem Arbeitsmarkt rechtzeitig zur Verfügung stehen sollen, obwohl die Branche unter den aktuellen Querelen kaum kalkulieren kann, wie viele Menschen sie in fünf oder zehn Jahren in Deutschland tatsächlich beschäftigen wird. Die Offshore-Wirtschaft steckt in einem handfesten Dilemma.
Das ärgert auch den Vattenfall-Manager Holger Grubel, 43, den Projektleiter für den Aufbau des Offshore-Windparks Dan Tysk. An Bord der "Pacific Osprey" freut er sich nach deren Taufe, dass Samsung ein so "herausragendes" Schiff zeitgerecht an die Reederei geliefert habe. Seit 2007 arbeitet der Ingenieur für Vattenfall, bereits an der Errichtung des Testfeldes Alpha Ventus auf der Nordsee war er beteiligt.
Mit 64 Vattenfall-Mitarbeitern setzt er nun von Hamburg aus das Projekt vor Sylt um. Die Perspektiven seiner Branche blieben in Deutschland trotz aller Erfolge unsicher: "Die deutsche Politik wollte eine Offshore-Windkraft-Industrie und eine Stromversorgung von Meereswindparks aufbauen", sagt Grubel. "Diese Offshore-Parks werden jetzt, nach vielen - und teils nachvollziehbaren - Verzögerungen gebaut. Die beteiligten Unternehmen absolvieren dafür teils teure Lernkurven, aber die nötigen Systeme kommen in Gang. Dass ausgerechnet jetzt die Offshore-Windkraft von vielen infrage gestellt wird, erscheint mir geradezu absurd." Vor der Bundestagswahl im September werden die erneuerbaren Energien, auch die Offshore-Windkraft, eines der Topthemen des politischen Streits sein. Den zu verfolgen, bleibt Grubel und seinen Mitarbeitern allerdings nicht viel Zeit. Vom Sommer an soll die "Pacific Osprey" im Rhythmus von zwei Wochen zwischen Esbjerg und dem Baufeld von Dan Tysk pendeln und Windturbinen installieren wie am Schnürchen. "Seit Februar werden die Fundamente gesetzt", sagt Grubel im Sonnenschein auf dem Hubschrauberdeck des Schiffs. "Im Juli beginnt der Aufbau der Windturbinen mit der ,Pacific Osprey', zum Jahreswechsel wird der gesamte Windpark errichtet sein." Politik hin oder her: Dafür haben er und seine Leute jahrelang hart gearbeitet.