Beim gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung liegen Bremen und Schleswig-Holstein im Ländervergleich ganz vorn. In Hamburg ist der schnellste Fortschritt zu verzeichnen.

Gütersloh. Im Inklusionsunterricht sollen Kinder mit und ohne Handicap gemeinsam lernen – und das ist nirgendwo in Deutschland so gut etabliert wie in Bremen. In keinem anderen Bundesland lernen so viele behinderte und nichtbehinderte Kinder zusammen. Im Schuljahr 2011/2012 besuchten dort 55,5 Prozent der Kinder mit besonderem Förderbedarf eine reguläre Schule. Damit lag der Anteil doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, wo nur jeder vierte Förderschüler eine Regelschule besucht.

Das geht aus einer Studie des Bildungsökonomen Klaus Klemm hervor, wie die Bertelsmann Stiftung als Auftraggeber am Montag in Gütersloh mitteilte.

Auch Schleswig-Holstein schneidet laut der Studie im Ländervergleich gut ab und landet direkt hinter Bremen auf Platz zwei – vor Berlin. Im Norden besucht demnach bereits mehr als jeder zweite (54,1 Prozent) Förderschüler eine Regelschule.

Auch in Hamburg dürfte das Ergebnis der Studie für Freude sorgen. Nirgendwo sonst werden beim Thema Inklusion so schnell Fortschritte gemacht. Der Anteil der Förderschüler, die in der Hansestadt eine reguläre Schule besuchen, hat sich seit 2009 von 14,5 auf 36,3 Prozent mehr als verdoppelt. Hamburg liege damit inzwischen deutlich oberhalb des Bundesdurchschnitts von 25 Prozent.

In Mecklenburg-Vorpommern haben besonders viele Schüler Förderbedarf

Auch in Mecklenburg-Vorpommern lernen immer mehr Förderschüler an Regelschulen – inzwischen fast jeder dritte. Vor vier Jahren war es noch jeder fünfte. „Die Inklusion in Mecklenburg-Vorpommerns Schulsystem kommt voran“, lobte die Stiftung.

Seit drei Jahren werden in Mecklenburg-Vorpommern keine Erstklässler mit Förderbedarf beim Lernen oder der emotionalen Entwicklung mehr in Förderschulen eingeschult.

Allerdings habe Mecklenburg-Vorpommern im Ländervergleich nach wie vor den höchsten Anteil von Sonderschülern an der Gesamtschülerschaft, heißt es in der Studie.

In Mecklenburg-Vorpommern wird bei überdurchschnittlich vielen Kindern ein Förderbedarf festgestellt, hieß es weiter. Der Nordosten sei das einzige Bundesland, in dem mehr als jedes zehnte Kind als förderbedürftig eingestuft wird. Die Förderquote sei zwar seit 2009 von 11,7 auf 10,9 Prozent zurück gegangen, liege aber noch weit über dem Bundesdurchschnitt von 6,4 Prozent.

Experten loben positive Entwicklung

„Kinder mit Handicaps müssen in Schleswig-Holstein schon länger nicht mehr automatisch auf eine getrennte Förderschule gehen. Diese Entwicklung nimmt weiter an Fahrt auf“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Zugleich hat sich der Anteil der Sonderschüler an der Gesamtschülerschaft weiter verringert.

Besuchten 2009 noch 3,1 Prozent aller Schüler in Schleswig-Holstein eine getrennte Förderschule, waren es 2012 nur noch 2,7 Prozent – das ist die niedrigste Exklusionsquote aller Bundesländer; sie liegt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (4,8 Prozent).

Auch in den einzelnen Bildungsstufen ist Schleswig-Holstein Vorreiter. Die Praxis in allen anderen Bundesländern „je älter die Kinder, desto geringer die Chance auf gemeinsames Lernen“ ändere sich im Norden positiv. Während im Bundesdurchschnitt vor der Einschulung zwei Drittel der förderbedürftigen Kinder in eine inklusive Kindertageseinrichtung gehen, sind es in Schleswig-Holstein 80 Prozent. In der Grundschule ist der schleswig-holsteinische Inklusionsanteil mit 80 Prozent sogar doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. In der Sekundarstufe I werden in Schleswig-Holstein noch 60 Prozent der Förderkinder inklusiv unterrichtet – bundesweit sind es lediglich 22 Prozent.

Niedersachsen rangiert der Studie zufolge bei der Inklusion im Ländervergleich aber auf den hinteren Rängen. Dort gehen 11,1 Prozent der Förderschüler auf eine reguläre Schule. Doch auch hier sehen Experten Fortschritte: Der Anteil der Förderschüler an regulären Schulen stieg von 6,6 Prozent (2008/2009) auf 11,1 Prozent (2011/2012).

In keinem anderen Bundesland ist der Anteil der Kinder, bei denen ein besonderer Förderbedarf festgestellt wird, so niedrig. Während bundesweit durchschnittlich 6,4 Prozent aller Schüler Förderbedarf haben, liegt er in Niedersachsen bei 4,9 Prozent. In Bremen rangiert er bei 6,3 Prozent.

Ausbau der Inklusion erfordert Investitionen

Für den Ausbau der Inklusion sind laut Dräger zusätzliche Investitionen notwendig. Im vergangenen Jahr hatte Professor Klemm in einer Studie berechnet, dass – selbst wenn die Mittel der Sonderschulen weitgehend zu den Regelschulen umgeschichtet würden - in Schleswig-Holstein jährlich 6,2 Millionen Euro für 88 zusätzliche Lehrkräfte gebraucht werden, um inklusiven Unterricht in angemessener Qualität anzubieten. „Inklusion ist richtig und wichtig, aber die Schulen brauchen Unterstützung und vor allem genügend gut ausgebildetes Personal“, betonte Dräger.

Deutschlandweit macht die Studie einen eindeutigen Trend aus: Je älter die Kinder, desto seltener werden sie gemeinsam unterrichtet. Das gilt auch für Bremen, das bei den einzelnen Bildungsstufen ebenfalls Vorreiter ist. Während 93 Prozent der behinderten Kinder in eine reguläre Kita gehen, sind es in der Grundschule 79 Prozent und in der Sekundarstufe 42 Prozent. Damit liegt ihr Anteil nach der Einschulung aber immer noch fast doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt.

Sowohl für Niedersachsen als auch für Bremen fordern die Experten mehr Geld, um die Inklusion voranzubringen. Nach ihren Berechnungen müsste das kleinste Bundesland jährlich 4,7 Millionen Euro für 66 zusätzliche Lehrer aufbringen. In Niedersachsen sehen sie einen Bedarf von jährlich mehr als 15 Millionen Euro für 215 Lehrer.