Pastor Jens Rohlfing ist beim Castor-Transport als Seelsorger unterwegs. Immer dort, wo Polizei und Atomkraftgegner aufeinandertreffen.
Hitzacker. Eigentlich erwarte man in der Kirche etwas Positives, wenn man von Advent spreche, sagt Pastor Jens Rohlfing. In diesem Jahr aber wird der Beginn der vorweihnachtlichen Zeit für den evangelischen Pfarrer aus Hitzacker und viele seiner Kollegen mit einem Ereignis der ganz anderen Art verbunden sein: Der Castor-Transport rollt nach Gorleben. Trotz kirchlicher Verpflichtungen am 1. Advent werden Rohlfing und etwa 60 weitere Pfarrer und Helfer wieder als Seelsorger am Wochenende unterwegs sein und zwischen den Fronten vermitteln.
Seit einigen Wochen bereiten sich die Seelsorger auf ihren Einsatz vor. Mehrfach haben sie sich bereits getroffen und verschiedene Situationen in Rollenspielen trainiert. „Denen, die noch nicht dabei waren, erzählen wir auch, worauf sie sich einlassen müssen“, sagt er und zählt auf: „Polizeikontrollen, Kälte, Schlafentzug“. Vor allem aber müssen sich die Seelsorger auf die jeweilige Situation einstellen. In Dreier-Teams sind sie in ihren weißen Westen mit der Aufschrift „Seelsorger“ immer dort, wo Polizei und Castor-Gegner aufeinandertreffen.
Das Herz schlägt für den Widerstand
„Mein Herz schlägt für den Widerstand. Aber auf der Straße bin ich für alle da“, sagt Rohlfing über sich selbst. Es sei wichtig, bei den Blockaden neutral zu bleiben und sich von keiner der beiden Seiten instrumentalisieren zu lassen, erklärt er. „Nur so werden wir von beiden Seiten akzeptiert und es kann eine Vertrauensbasis entstehen.“
Gerade von den Castor-Gegnern werden die Seelsorger aber auch ganz bewusst zu Blockadeaktionen hinzu gerufen. „Einfach da sein. Das reicht meistens schon, damit gewisse Sachen nicht passieren“, sagt Rohlfing. Sollte es doch einmal zu Rangeleien oder körperlicher Gewalt kommen, benutzt der Geistliche seine „Geheimwaffe“: Sprache. „Wir sagen den Polizisten dann auch, dass bestimmte Sachen nicht ok waren.“ Auf der anderen Seite mache er aber auch Castor-Gegnern deutlich, dass Widerstand gegen die Polizei aus ihnen keine besseren Demonstranten mache.
Am Anfang eines jeden solchen Einsatzes steht meist der Kontakt zu dem Einsatzleiter vor Ort. Wenn es dann wirklich brenzlig werde, wisse man bereits, wen man ansprechen könne. Dass die Seelsorger weiße Westen tragen, fand Rohlfing „anfangs doof“, wie er sagt. „Das assoziiert man dann gleich mit der berühmten 'weißen Weste'“, dachte er damals.
Inzwischen wisse er die Kennzeichnung zu schätzen, schließlich erleichtere das auch die Arbeit. „Bei Kontrollen werden wir so leichter durchgelassen.“ Denn obwohl die Seelsorger im Einsatzplan der Polizei mit aufgeführt sind, weiß nicht jeder über sie Bescheid. Die Westen sollen auch davor bewahren, dass die Seelsorger mit Demonstranten verwechselt werden. „Einem Kollegen von mir wurde mal beinahe die Nase gebrochen“, berichtet Rohlfing. Inzwischen haben sie deshalb auch einen Anwalt in ihren Reihen.
Wenn der Pastor nicht spricht, um Situationen zu beruhigen, hört meist zu. Auch die Sorgen und Nöte der Polizisten kennt er deshalb gut. Im vergangenen Jahr seien die Beamten teilweise bis zu 36 Stunden im Einsatz gewesen – ohne Schlaf und ohne richtiges Essen. „Dann kann man sogar mal verstehen, wenn sie aggressiv werden“, sagt der Pfarrer.
Besonders betroffen gemacht hat Rohlfing im vergangenen Jahr aber die Begegnung mit einer jungen Polizistin, die am Zwischenlager in Gorleben plötzlich aus Angst vor radioaktiver Strahlung in den Wald lief. „Sie hatte Tränen in den Augen und sagte, dass sie doch noch Kinder kriegen wolle“, berichtet der Seelsorger. Ob er ihr helfen konnte? „Klar, ich habe ihr gesagt, dass sie ja Recht hat.“