Experten suchen nach der Quelle des multiresistenten Keims. Kritik an Informationsfluss wird immer lauter. Staatsanwaltschaft ermittelt.

Bremen. Nach dem Tod dreier winziger frühgeborener Babys im Bremer Klinikum Mitte ist die Bestürzung groß. Sowohl die Krankenhausleistung als auch Behörden tappen auf der fieberhaften Suche nach der Quelle des multiresistenten Bakteriums im Dunkeln. Währenddessen werden die Fragen, ob alle Informationen zur richtigen Zeit an die richtige Stelle weitergegeben werden, immer lauter.

Weil Infektionen bei Frühgeborenen nach Angaben der Ärztlichen Geschäftsführerin, Brigitte Kuss, kaum zu verhindern sind, gingen die Ärzte nach ersten Fällen Ende Juli und Anfang August nach den bestehenden Hygiene- und Behandlungsstandards vor. Ein Baby starb am 8. August, doch dann schienen die Maßnahmen zu greifen. Die Lage entspannte sich, bis sich das Bakterium plötzlich erneut ausbreitete. Am 7. September informierte die Klinik nach Angaben von Sprecherin Karen Matiszick das Gesundheitsamt. Am 16. und 27. Oktober starben zwei weitere Frühchen. Nachgewiesen wurde der Keim bei insgesamt 15 Neugeborenen auf der Intensivstation, sieben von ihnen erkrankten schwer. Den vier Überlebenden geht es inzwischen besser.

Dass sich die Klinikleitung und die Gesundheitsbehörde erst am Mittwoch entschlossen, die Öffentlichkeit zu informieren, sorgt für Aufregung. Die zuständige Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) bemängelte im Verwaltungsausschuss der Bürgerschaft, dass sie erst jetzt von dem Fall erfahren habe. Medienberichten zufolge meinte die Senatorin damit die Klinikleitung. Ihre Sprecherin, Karla Götz, versucht am Donnerstag, die Wogen zu glätten. Es gehe in erster Linie darum, die Quelle der Infektion zu finden und auszuschalten. Danach müsse aufgeklärt werden, ob es Informationspannen gegeben habe.

Offensichtlich muss die Senatorin dabei auch in ihrem eigenen Haus suchen. Götz bestätigt, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich liegende Gesundheitsamt habe frühzeitig von dem Ausbruch der Infektion gewusst.

Nach Angaben der Ärztin Kuss sterben mehr als 50 Prozent der Frühchen mit so geringem Gewicht. „Das ist Medizin an der Grenze des Lebens“, sagt sie. Ohne Intensivmedizin hätte keines dieser Babys eine Überlebenschance. Infektionen bei den Winzlingen, deren Immunsystem noch nicht leistungsfähig ist, seien kaum zu vermeiden.

Warum ist der Bremer Fall besonders schwerwiegend? Drei unterschiedliche Bakterien hätten die Mediziner nicht so ratlos gemacht. Aber es handelt sich in allen Fällen um exakt die gleiche Mutation. Dass heißt, es gibt eine nicht erkannte Quelle, die auch durch alle ergriffenen Hygienemaßnahmen nicht ausgeschaltet werden konnte. Konsequenz: Weitere Fälle sind möglich. Die Quelle können auch Menschen sein, die mit den Neugeborenen umgehen.

Die Lösung des Problems erhoffen sich die Verantwortlichen des Bremer Klinikums von Experten des Robert-Koch-Instituts. Dieses verfügt über große Erfahrung und wird immer dann zur Hilfe gerufen, wenn betroffene Einrichtungen nicht mehr weiter wissen.

Die Vorfälle riefen auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Der Sprecher der Behörde, Frank Passade, bestätigte, die Ermittler hätten erst am Mittwoch durch Medienberichte davon erfahren. Jetzt soll zunächst ein medizinischer Sachverständiger die Akten prüfen.

Özkan kondoliert Eltern toter Babys

Die niedersächsische Gesundheitsministerin Aygül Özkan hat den Eltern der verstorbenen Kinder öffentlich ihr Beileid ausgesprochen. Als Mutter könne sie nachempfinden, was die Ereignisse für die Eltern bedeuten müsse, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag in Hannover.

Özkan warnte vor Spekulationen über Ursachen der Infektionen, an denen die drei Babys verstorben waren. Momentan könne man noch dazu noch nichts sagen. „Die Klinik wird genau prüfen, welche Maßnahmen nun ergriffen werden müssen“, betonte sie. Die drei Frühgeborenen erlagen im August und im Oktober Infektionen mit einem besonders resistentem Keim.

ESBL – wenn Bakterien Antibiotika ausschalten =

Keime, die gegen Antibiotika resistent sind, stellen für die Medizin ein zunehmendes Problem dar. Gerade abwehrgeschwächte Menschen in Krankenhäusern und Arztpraxen seien gefährdet, warnen Fachleute. Darmbakterien, die Antibiotika wie Penicillin durch genetische Veränderungen mit Hilfe von Enzymen ausschalten, sind eine ständige Bedrohung.

Sie werden auch ESBL-Bildner genannt – die Abkürzung für Extended-Spectrum-Beta-Laktamasen. ESBL bezeichnet also keinen bestimmten Keim, sondern die Eigenschaft unterschiedlicher Keime, Antibiotika zu inaktivieren. Obwohl ESBL nicht so leicht übertragbar ist wie der Krankenhauskeim MRSA, nehmen die Infektionen damit stark zu.

Hauptursache für die Entstehung multiresistenter Bakterien sind der unkritische Einsatz von Antibiotika und unzureichende Hygiene, warnen Mediziner. Der Nachweis von ESBL ist aufwendig und dauert mehrere Tage. Die Übertragung erfolgt meist über kontaminierte Hände. Gefahr droht vor allem bei Harnwegs- und Hautinfektionen sowie bei Sepsis – im Volksmund oft „Blutvergiftung“ genannt.

Fachleute schätzen die Zahl der Infektionen durch multiresistente Erreger in Deutschland auf insgesamt 400.000, die der Todesfälle auf 10.000 im Jahr.

Insbesondere bei den ESBL-bildenden Darmbakterien sei die Zunahme gefährlich. Denn für diese Erreger gebe es in absehbarer Zeit keine neuen Antibiotika. Manche Darmbakterien sind bereits gegen alle bekannten Antibiotika resistent. Ärzte fordern daher einen sparsameren Umgang damit.