Ausnahmezustand in der Stadt an der Förde: Von heute an wird in Kiel wieder Nordeuropas größtes Sommerfest gefeiert - die Kieler Woche.
Kiel. Ausnahmezustand in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt: Die 117. Kieler Woche hat offiziell begonnen. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und THW-Kiel-Kapitän Marcus Ahlm eröffneten das neuntägige Fest am Samstagabend vor einigen tausend Besuchern auf dem Rathausplatz gemeinsam mit Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD). Mit einem Typhon gab Carstensen lautstark das traditionelle Startsignal „Leinen los!“. Die Veranstalter erwarten bis Sonntag kommender Woche rund drei Millionen Gäste aus aller Welt. Die Kieler Woche gilt als weltweit größtes Segelereignis und größtes Sommerfest im Norden Europas.
2000 einzelne Veranstaltungen aus Sport, Musik, Gesellschaft und Politik stehen auf dem Programm. Schon Stunden vor der offiziellen Eröffnung am Abend zogen tausende Besucher durch die Innenstadt und am Förde-Ufer entlang. Regenschirm und Wetterjacke gehörten dabei zur Standardausrüstung, denn zum Auftakt des neuntägigen Großereignisses regnete es teils kräftig. Am Abend hatte dann auch das Wetter ein Einsehen: Zur Eröffnungszeremonie zeigte sich der Himmel sogar stellenweise in hellem Blau. „Die tollste Stadt der Welt feiert das tollste Fest der Welt“, schwärmte Oberbürgermeister Albig. THW-Kapitän Ahlm versprach unter dem Beifall der Zuschauer, die Handball-Meisterschale wieder von Hamburg nach Kiel zu holen.
„Von 52 Wochen im Jahr ist die Kieler Woche für viele mit Abstand die schönste“, sagte Carstensen. Bei diesem Ereignis präsentiere sich Schleswig-Holstein von seiner schönsten Seite, nämlich als weltoffener und herzlicher Gastgeber. „Eine ganze Stadt feiert – und das Land feiert mit.“ Bei einem Empfang im Rathaus verpasste Carstensen dem Oberbürgermeister einen Seitenhieb in Richtung Landespolitik: „Sie werden das ja viele Jahre noch machen“, meinte er unter großen Gelächter – Albig will das nämlich nicht, sondern vielmehr für die SPD als Spitzenkandidat die Neuwahl des Landtages im Mai nächsten Jahres gewinnen.
Die Segelregatten in den Olympischen Klassen begannen bereits am Sonnabendmorgen. Für viele Teilnehmer geht es um die Qualifikation für Olympia 2012 in London. Insgesamt 5000 Sportler haben sich zu den Wettfahrten vor Kiel-Schilksee angemeldet.
Musikalisch lieferten die Söhne Mannheims mit Xavier Naidoo einen ersten Höhepunkt bereits am Freitagabend. Nach der offiziellen Eröffnung am Abend heizte Alphaville („Forever Young“, „Big in Japan“) dem Publikum ein. 300 Rock- und Popkonzerte stehen auf dem Plan der Kieler Woche. Juli, Revolverheld und Sunrise Avenue sind dabei, Klaus Lage, Silly, Torfrock, Laith Al-Deen, Dieter Thomas Kuhn, die Spider Murphy Gang und viele mehr. Mit ganz wenigen Ausnahmen sind alle Konzerte kostenlos.
Viele Gäste zog es am Samstag mit großen und kleinen Segelbooten aufs Wasser, um die Regatten zu verfolgen oder einfach die Seele baumeln zu lassen. Wer sich für die Marine interessiert, hatte ein Ziel: Im Marinehafen luden mehr als 20 Schiffe zum traditionellen „Open Ship“ ein. Mehrere hundert Interessierte warteten geduldig, bis die Fregatten, Minenjäger, Patrouillenboote und Segelschiffe am Nachmittag besichtigt werden konnten.
Noch mehr im Fokus als sonst stand die „Gorch Fock“, die bei ihrer jüngsten Südamerika-Fahrt nicht nur wegen des Unfalltods einer Kadettin in Negativschlagzeilen geraten war. Die Besucher standen trotz Regen am Kieler Marinestützpunkt Schlange, um auf das segelschulschiff zu gelangen. Die "Gorch Fock" kann nach der Affäre um den Tod einer Kadettin im vergangenen November erstmals wieder besichtigt werden - am Sonnabend, Sonntag und Mittwoch im Rahmen der „Open Ship“-Tage. Die „Gorch Fock“ wird in diesem Jahr nicht die Windjammerparade zum Abschluss der Kieler Woche am kommenden Sonnabend anführen, da noch nicht alle Untersuchungen zum Unfalltod der jungen Frau abgeschlossen sind.
Die Veranstalter erwarten bis Sonntag kommender Woche rund drei Millionen Gäste aus aller Welt. Die Kieler Woche gilt als weltweit größtes Segelereignis und größtes Sommerfest im Norden Europas. 5000 Sportler sind zu den Segelregatten vor Kiel-Schilksee angekündigt. Ein Höhepunkt an diesem Sonntag ist die Verleihung des Weltwirtschaftlichen Preises. Geehrt werden unter anderem der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, und Nobelpreisträger Daniel Kahneman.
Segel-Fieber: Nationale Olympia-Qualifikation im Zentrum
Im Mittelpunkt der größten Segelregatta der Welt steht die nationale Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 in London. Es ist Teil zwei der dreiteiligen deutschen Ausscheidung, die im Dezember im australischen Perth mit der WM endet. Knapp 50 Mitglieder der Nationalmannschaft kämpfen im Heimatrevier um 13 Startplätze bei den Olympischen und Paralympischen Spielen. Wer nach der 117. Kieler Woche die Bugspitze vorn hat, darf an der olympischen Testregatta im August im Olympia-Revier vor Weymouth antreten und wertvolle Erfahrungen sammeln.
Das Heimspiel der Deutschen könnte in diesem Jahr besonders erfolgreich verlaufen, denn viele internationale Topathleten sind wegen eigener Qualifikationsregatten und der Nähe zum gerade erst zu Ende gegangenen Weltcup vor Weymouth nicht am Start. „Ich will in Kiel unbedingt aufs Treppchen“, sagt Surfer Toni Wilhelm.
Die Veranstalter haben eine Öffentlichkeitsoffensive angekündigt, werden ihre rund 400 Starts in 45 Klassen und Disziplinen telegen, live und verständlich – teilweise sogar in künstlichen Wasserstadien wie der Segelarena am Hindenburgufer – in Szene setzen und im Internet übertragen. Am Sonnabend beginnt die Mammutveranstaltung, zu der mehr als drei Millionen Besucher, 10000 Masten auf der Förde und 5000 Teilnehmer in 2000 Booten aus mehr als 60 Ländern erwartet werden.
Zu den spektakulärsten Booten der Kieler Woche zählt die Baunummer 1 der neuen Hightech-Trimaran-Klasse MOD 70 namens „Race for Water“. Das 21 Meter lange und fast 17 Meter breite Meter lange futuristische Geschoss repräsentiert eine der schnellsten Einheitsklassen im Segelhochseerennsport und macht vom 24. bis 27. Juni vor dem Kieler Yacht-Club in Düsternbrook fest. Boote dieses Typs erreichen Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 40 Knoten (über 70 Stundenkilometer).
Startboot-Segler Alexander Schlonski und Matthias Bohn segeln um Olympia-Qualifikation
Die Rostocker Startboot-Segler Alexander Schlonski und Matthias Bohn wollen bei der Kieler Woche ab Sonnabend weitere Punkte im Kampf um die nationale Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 sammeln. „Viele internationale Topsegler legen da eine Pause ein, so dass es für die deutschen Crews leichter sein dürfte, Punkte zu sammeln“, sagte Steuermann Schlonski.
Die beiden Mecklenburger haben in der vergangenen Woche bei der „Skandia Sail for Gold“-Regatta den ersten Teil der Olympia-Qualifikation des Deutschen Segler-Verbandes (DSV) für sich entschieden. Für Gesamtplatz 17 nach zehn Wettfahrten bekamen die Hansestädter vier Punkte gutgeschrieben und setzten sich vor der Berliner Crew Robert Stanjek/Friethjoff Kleen (Platz 19 – 2 Punkte) in Front.
Die beiden Hauptstädter werden neben den Lübeckern Johannes Babendererde/Timo Jakobs und dem Hamburger Team Jonannes Polgar/Markus Koy wohl die stärkste Konkurrenz für Schlonski und Bohn auf dem Olympia-Revier in Schilksee sein. Neben dem Duo segeln bei der Kieler Woche aus Mecklenburg-Vorpommern auch Franziska Goltz (Schwerin) im Laser Radial und Jan Kurfeld (Wismar) im Finn Dinghy um Punkte in der Olympia-Ausscheidung.
Die nationale Qualifikation endet mit der Weltmeisterschaft Anfang Dezember im australischen Perth. Die Segler erhalten Wertungspunkte für Platzierungen unter den ersten 20. Jede Regatta ist gleich gewichtet. In jeder Disziplin werden die Segler mit den meisten Wertungspunkten für die Olympischen Spiele nominiert.
Auch die Kirche mischt mit
Während sich das Kieler Leben während der Festtage an Tempo aufnimmt, will die Evangelische Kirche einen Gegenpool bieten. So soll die zentrale evangelische Marktkirche St. Nikolai zu einem „Ort der Entschleunigung“ inmitten des Trubels werden. Motto der spirituellen Angebote: „Tempo 20 – Insel im Strom“.
Die evangelische Jugend wird mit „JiMs alkoholfreier Cocktailbar“ eine Alternative zum Alkoholkonsum anbieten. Die Bar ist ab Sonnabend an der Jungen Bühne (Ratsdienergarten) täglich von 16 bis 23 Uhr geöffnet. Die Seemannsmission feiert ihre traditionelle Morgenandacht unter dem Holtenauer Leuchtturm am Mittwoch (22. Juni) ab 9 Uhr. Ebenfalls am Mittwoch gibt es als kirchenmusikalischen Höhepunkt die „Nacht der Chöre“ (19 bis 23.30 Uhr) mit klassischen und geistlichen Liedern, Gospel und Pop.
Der ehemalige Beauftragte für die Stasiunterlagen, Joachim Gauck (71), liest am Montag (20. Juni) um 19.30 Uhr in St. Nikolai aus seinem Buch „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“. Darin blickt er anlässlich seines 70. Geburtstages am 24. Januar 2010 auf sein Leben zurück. Der Eintritt zur Lesung ist frei. Weiter werden eine Klosterführung mit Besichtigung des Carillons, Turmbesteigungen und stadtgeschichtliche Führungen angeboten.
Das Programm und weitere Informationen finden Sie unter www.kieler-woche.de