Lernschwache Erstklässler sollen ab nächstem Schuljahr in Mecklenburg-Vorpommern nur noch in Regelschulen aufgenommen werden.

Schwerin. Max ist erst acht und doch schon ein recht erfahrener „Betreuer“. Behutsam streicht er dem neunjährigen Lukas neben sich übers Haar. Ohne Worte ermuntert er seinen Banknachbarn dazu, die Geduld beim Sortieren farbiger Plastikteile nicht zu verlieren. Der mehrfach schwerstbehinderte Lukas besucht dank einer einmaligen Lernkooperation in Schwerin eine Stunde pro Woche die Grundschule im Stadtteil Lankow.

Für sein gesamtes Förderschulsystem plant das Land Mecklenburg-Vorpommern ab Sommer einen tiefgreifenden Umbau. Erstklässler mit Lernbeeinträchtigungen sollen bereits ab 2010/11 zur besseren Integration nur noch in Regel- statt in Sonderschulen aufgenommen werden. Damit will das Kultusministerium in zehn Jahren den Anteil von Förderschülern erheblich senken, der im Nordosten rund doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt.

2008/09 ging in Mecklenburg-Vorpommern jeder zehnte Schüler der Klasse eins bis zehn vor allem wegen Defiziten in Sprache, Lernen, geistiger und emotional-sozialer Entwicklung auf eine Förderschule. Pädagogen und Eltern befürchten indes bei einem zu schnellen Abbau der Förderplätze im Nordosten negative Folgen für alle Kinder – ob mit oder ohne Handicap. „Noch fehlen räumliche, sächliche und personelle Voraussetzungen an den Grundschulen für eine besondere Förderung“, sagt Kirsten Balzer vom Vorstand des Diakonischen Werkes Mecklenburg in Schwerin.

An der Grundschule Lankow ist man da einen Schritt weiter. Gundula Ihde leitet hier seit 2006 eine Diagnoseförderklasse, in der maximal zwölf Schülern in zwei Jahren der Stoff des ersten Schuljahres vermittelt wird. Mittwochs kommen nun bis zu sieben geistig behinderte Kinder der evangelischen Weinbergschule dazu, unter ihnen Lukas. „Für alle Kinder ist das ein Gewinn“, sagen die Lehrer. Die Weinbergschüler würden hier weniger behütet und damit selbstbewusster, die anderen könnten Berührungsängste abbauen und lernen, mit dem Anderssein von Menschen umzugehen.

Auch mit einer ersten Klasse der Schweriner Reuter-Schule hat die Weinbergschule, eine von fünf Diakonie-Schulen zur individuellen Lebensbewältigung, eine solche Lernkooperation. Doch selbst stundenweise Kontakte mit Förderschülern würden nicht immer auf Gegenliebe bei Lehrern wie auch Eltern treffen, meint Kirsten Balzer. „Haltungen lassen sich nicht über Nacht ändern“, sagt sie. Integration müsse wachsen. „Das braucht zusätzliches Geld, mehr Aus- und Weiterbildung – ein Lernprozess für alle Seiten.“

Besonderer Raum für besondere Kinder

Ein überstürztes Zusammengehen von Förder- und Regelschulen rufe nur Ängste hervor, warnt Elternvertreterin Nicola Robbin in der Diakonie-Schule des Klosters Dobbertin (Kreis Parchim). Besondere Kinder brauchten einen besonders geschützten Raum zum Lernen, weiß die Mutter eines mehrfach behinderten Mädchens. Ihre Tochter Charlotte (8) etwa könne in Dobbertin täglich ein Lauftraining absolvieren – undenkbar in einer Regelschule, befürchtet sie.

Während Charlotte eifrig im „Walker“ – einem speziellen Lauflerngerät – ihre Runden auf den breiten Klosterfluren dreht, geht in ihrer Mini-Klasse mit sechs Kindern und drei Pädagogen der Unterricht weiter. Lehrerin Marion Streu erzählt eine Ostergeschichte und unterstützt ihre Worte zum besseren Verständnis für alle mit Gebärdensprache. Später stehe noch jahrgangsübergreifend Deutsch und Mathe für einige ihrer Schüler auf dem Plan, erklärt sie.

„Es wird immer Kinder geben, die nicht in eine Regelschule gehen können“, resümiert Kirsten Balzer vom Diakonie-Vorstand. Wenn Mecklenburg-Vorpommern ab dem neuen Schuljahr zunächst alle Kinder mit Lernbeeinträchtigungen in normale Grundschulen schickt und nicht mehr in separate Förderschulen, gehe das Land den ersten Schritt hin zu mehr Integration oder „Inklusion“.

Letzteres meint die Anpassung des Bildungssystems an die Rechte behinderter Menschen und wird von der UN-Behindertenrechtskonvention seit 2006 gefordert, wie Balzer erklärt. Die Diakonie gehöre mit ihren Schweriner Lernkooperationen zu den Vorreitern. „Doch der Weg ist weit und braucht viel Zeit.“