Das Ehepaar Lohmeyer aus der NPD-Hochburg Jamel in Mecklenburg-Vorpommern wird mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet.
Berlin. Für ihr Engagement gegen Rechtsextremisten im Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern zeichnet der Zentralrat der Juden in Deutschland die Künstler Birgit und Horst Lohmeyer aus. Das Ehepaar werde mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage 2011 geehrt, weil sie im Kampf gegen Neonazis ein besonders mutiges Zeichen gesetzt hätten, teilte der Zentralrat am Dienstag in Berlin mit. Die Preisverleihung ist für den 12. Mai in Schwerin geplant.
Das Ehepaar Lohmeyer setzt sich mit anderen Dorfbewohnern in Jamel gegen Aktivitäten von Neonazis ein. In der NPD-Hochburg organisieren sie jedes Jahr im Sommer ein Rockfestival für Demokratie und Toleranz. Der Preis erinnert an den früheren Zentralrats-Präsidenten Paul Spiegel und ist mit 5000 Euro dotiert. Er wurde 2009 erstmals an den sächsischen Polizeipräsidenten Bernd Merbitz vergeben.
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Wer sich in den winzigen Mecklenburger Ort Jamel bei Wismar verirrt, wird von einem großen Transparent mit einer Rune vor aufgehender Sonne willkommen geheißen. Auf einem Messingschild kann der Besucher lesen, wer hier den Ton angibt: „Dorfgemeinschaft Jamel, frei – sozial – national“. Daneben steht ein Wegweiser, der die Entfernungen nach Königsberg, „Wien/Ostmark“ und Braunau am Inn angibt. Auf einer „Tour für Demokratie“ durch Mecklenburg machte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) im vergangenen September Station in dieser Hochburg der rechten Szene. Denn seit mehreren Jahren sind die NPD-Anhänger nicht mehr unter sich. Ein aus Hamburg zugezogenes Ehepaar bewohnt den ehemaligen Forsthof und organisiert alljährlich im Sommer ein Rockfestival für Demokratie und Toleranz. Thierse kam, um sie zu ermutigen.
Immerhin rund 200 Besucher lockte die Veranstaltung „Jamel rockt den Förster“ im vergangenen August auf ihr Grundstück, berichten Horst und Birgit Lohmeyer dem Bundestagsvizepräsidenten. Wenn die NPD die Sonnenwende oder Hitlers Geburtstag feiere, kämen allerdings deutlich mehr Menschen aus ganz Norddeutschland. Von den zehn Häusern der Ortschaft seien nur drei von Menschen bewohnt, die nicht der rechten Szene angehörten. Auf Thierses Frage, warum sie nach Jamel gezogen seien, antwortet die Schriftstellerin Birgit Lohmeyer: „Das ist ein wunderschöner Ort.“
Als sie sich ihr Domizil suchten, wussten sie, dass ein NPD-Politiker im Dorf wohnt. Dass es innerhalb von sechs Jahren aber immer mehr NPD-Anhänger werden würden, hätten sie nicht geahnt. Zu schwerwiegenden Nachbarschaftskonflikten sei es dennoch nicht gekommen: „Die lassen uns hier unbesorgt leben“, sagt die Autorin. Ihr Mann, von Beruf Musiker, berichtet, es habe allerdings Anfangs verbale Auseinandersetzungen gegeben. „Wir sind zum Glück ein wenig separiert“, sagt er mit Blick auf die Randlage des Forsthofs.
Die Lohmeyers fühlen sich von den Demokraten im Land nicht im Stich gelassen, obwohl sie sich mehr Präsenz von Kommunalpolitikern auf ihrem Festival wünschten. Die Musikveranstaltung wird vom Land gefördert, doch jedes Jahr sei die Finanzierung erneut unsicher. Thierse, der auch als Schirmherr der Amadeu-Antonio-Stiftung gekommen ist, verspricht Unterstützung. Auf seine Frage, ob das Ehepaar in Angst lebe, antwortet Birgit Lohmeyer: „Wir haben 15 Jahre lang in Hamburg-St. Pauli verbracht, das stählt einen. Wir sind relativ angstfreie Naturen.“ Aber Besucher hätten Angst zu kommen.
Die Angst – das ist für Thierse der entscheidende Punkt. So sei es auch im Herbst 1989 gewesen. Als die Bürger ihre Angst überwanden, war es um das SED-Regime geschehen. „Die Angst ist die halbe Miete der Diktatur“, lautet Thierses Fazit. Auch die Atmosphäre in Jamel ist furchteinflößend. Es sind nicht die vielen bellenden großen Hunde, die in Dörfern üblich sind. Ein Abrissunternehmer präsentiert sich auf einem Schild in altdeutscher Schrift mit dem Spruch: „Wir sind die Jungs für’s Grobe“. Daneben ein großes NPD-Emblem.
Dorfbewohner wie der Waldarbeiter Silvio Kosenetzy beteuern: „Hier ist es ruhig.“ Ein anderer Bewohner, der ehemalige Arbeitstherapeut Eberhard Heinrich, berichtet jedoch, ihm sei schon gedroht worden: „Wir werden Euch ausräuchern!“ Er betont aber, das seien nicht die Rechten gewesen. Der aus Thüringen stammende Heinrich wohnt seit fünf Jahren in Jamel. Zuvor habe er in einem anderen Ort bei Wismar gelebt und sei dort auch von Nachbarn drangsaliert worden.
Dass Angst vor Gewalt und Neonazis schnell verschwinden kann, erfuhr Thierse wenig später bei einem Besuch des Fußballclubs Hansa Rostock. Bei einem Drittligaspiel im August hatten Hansa-Fans dem NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, spontan den Zutritt zur Südtribüne des Stadions verweigert.
Der sportlich gebeutelte Club bekam dafür großes Lob aus der Politik und beteiligt sich jetzt an einer Kampagne gegen die NPD. „Wir dürfen den Rechtsextremen nicht das Feld überlassen!“, betont Thierse. Zumindest sportlich beherrscht der FC Hansa seit dem Wochenende wieder sein Spiel: Er ist auf Platz 1 der Liga gerückt. Jetzt will der Club mithelfen, dass die NPD bei der nächsten Landtagswahl aus dem Feld geschlagen wird. (dpa)