Sie sind scheu und in der Ostsee sehr selten. Erstaunlich, dass Trudi sich in der Hauptsaison am Strand von Eckernförde herumtreibt. Warum?

Eckernförde. Morgens kreist „Trudi“ gern im flachen Ostseewasser, ehe sie an Land robbt und es sich im feinen Sandstrand von Eckernförde gemütlich macht – zwischen neugierigen Badegästen und Strandkörben. Mitten in der Hauptsaison hat das Seehundweibchen, aus welchen Gründen auch immer, beschlossen, „Urlaub“ am besten und bei schönem Wetter dicht bevölkerten Strand des beliebten Ostseebades in Schleswig-Holstein zu machen. Seit fünf Wochen nun hält „Trudi“ den Rummel um ihre Anwesenheit aus – und sogar ihren Namen, der Ergebnis eines Zeitungs-Wettbewerbs war.

Zur Auswahl standen auch noch „Eck-Seal“ oder „Robbecka“, berichtet Stefan Borgmann, Geschäftsführer der örtlichen Tourist- Information. „Ecki“ sei schon vergeben gewesen, so lautet der Spitzname für das Eckernförder Wappentier, ein Eichhörnchen. Touristen-Trauben stehen oft um „Trudi“, machen Fotos. Kinder wollen es am liebsten streicheln (was aber verboten ist). Einmal habe sogar ein freilaufender Hund „Trudi“ fast gebissen, ein anderes Mal sollen Steine geworfen worden sein, berichtet Sven Gappisch (33), der zusammen mit Thomas Brandt und dem gelernten Tierpfleger Gerd Callsen als freiwilliger Tierschützer „Trudi“ Tag und Nacht bewacht. Jüngst bekam ein Jugendlicher 24 Stunden Strandverbot, weil er dem Tier zu nahe kommen wollte. Nachts schläft Gappisch am Strand, bei kaltem Wetter im Strandkorb und hört, wie „Trudi“ vermutlich zu nächtlicher Fischjagd ins Wasser gleitet.

Am Vormittag geht die Seehündin regelmäßig an Land, wo Callsen schon mit vier Metallstangen und Seil einen etwa 20 mal 30 Meter großen Strandbereich direkt am Wasser abgesteckt hat und dann schnell umsteckt, wenn das Tier sich daneben sonnt. Vor dem provisorischen Areal steht ein Schild „Achtung Rastende Robbe! Lieber Spaziergänger, um Störungen zu vermeiden, bitte mindestens 200 Meter Abstand zum Tier halten.“ Doch das ist Illusion. Bis auf wenige Meter nahe sind die Touristen, oft scheinen sie nicht zu wissen, dass Seehunde Raubtiere mit scharfem Gebiss sind und in Bedrängnis auch zubeißen können.

Am Freitagmorgen sitzt Ulrike Bannert (43) aus Korbach (Hessen) noch fast allein bei grau trübem, kühlem Wetter im Sand, angelehnt an einem Strandkorb und beobachtet „Trudi“ im Wasser und an Land. „Ich komme schon seit Tagen.“ Warum? „Es ist spannend zu sehen, wie sie sich verhält, sie beruhigt mich – solche Tiere kann man ja sonst auch nur im Zoo sehen“ Ein 78-jähriger Mann schert sich nicht um den Seehund. „Nein, ich habe keine Angst, mit dem Tier gemeinsam im Wasser zu schwimmen“, sagt der weißhaarige Brillenträger, als er aus der Ostsee an Land geht. „Es sind immer die selben Fragen, die gestellt werden“, sagt Gappisch schon genervt. Wo kommt „Trudi“ her? Ist sie nicht einsam? Sie hat doch bestimmt Hunger? Wann wird das Tier denn wieder freigelassen? Kann es mit Bällen spielen?...

Die Spekulationen sind laut Gappisch vielfältig: „Trudi“ könnte aus einem polnischen Bestand kommen wegen ihrer Fellzeichnung. Die fehlende Scheu vor Menschen könnte daran liegen, dass sie aus einer Seehund-Aufzuchtstation stamme. Dagegen spreche aber, dass sie weder gechipt noch markiert sei. Könnte ein großer Makrelenschwarm in der Eckernförder Bucht als fette Beute der Grund fürs Hiersein sein? „Im gesamten Ostseebereich gibt es nur noch etwa 350 Seehunde“, sagt der Biologe Alexander Liebschner vom Bundesamt für Naturschutz auf der Ostsee-Insel Vilm bei Rügen. Die Tiere sind Einzelgänger und leben nur zur Paarung zusammen oder sind auf Sandbänken mal als Rudel vorübergehend zusammen. „Vermutlich macht das Tier in Eckernförde seinen im Juni oder Juli üblichen jährlichen Fellwechsel“, sagt Liebschner.

Dafür müssten die Seehunde an Land und sich sonnen. „Wenn ein Tier nicht gestört wird, kann so ein Fellwechsel in zwei bis drei Tagen, maximal in einer Woche vollzogen sein.“ In dieser Zeit fressen die Tiere so gut wie nichts. Bei häufigen Störungen könne der Fellwechsel aber länger dauern. Aber warum dann an einem Strand mit Baderummel? „Vielleicht hat das Tier keine anderen Ort für sich gesehen“, rätselt auch Liebschner. Gappisch mutmaßt, dass „Trudi“ vielleicht die Urlauber am Strand als Schutz wie durch ein Rudel auf einer Sandbank empfinden könnte. Die Fragen bleiben, „Trudi“ schweigt – und bleibt.