Nordpolitiker fordern bessere Absprachen und hoffen jetzt auf den bevorstehenden Nordgipfel zur engeren Zusammenarbeit.
Kiel/Hamburg. Schleswig-Holstein ist auf Hamburg nicht gut zu sprechen. Nach dem überraschenden Arbeitseinsatz eines Hamburger Ex-Schwerverbrechers in Norderstedt fühlten sich gestern viele Politiker im Kieler Landeshaus vom Senat überrumpelt. "Wir sind nicht so frühzeitig informiert worden, wie wir uns das gewünscht hätten", sagte Justizminister Emil Schmalfuß. "Wir ärgern uns mal wieder über die Arroganz der Hamburger", sagte Grünen-Spitzenkandidatin Monika Heinold. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hielt sich öffentlich zurück, um eines der wichtigsten Projekte in der Landesgeschichte nicht zu gefährden. Schleswig-Holstein will Hamburg, gestützt auf neue Gutachten, auf einem Nordgipfel Ende Februar in Kiel vorschlagen, in vielen Bereichen wie etwa der Wirtschaft gemeinsame Sache zu machen.
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Querschüsse aus Norderstedt gab es nicht. Der frühere Sexualstraftäter Hans-Peter W., der aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden musste, wurde von der Polizei gestern aus Hamburg-Jenfeld nach Glasmoor gebracht, um in der Hamburger Vollzugsanstalt auf schleswig-holsteinischem Boden einige Stunden im Außenbereich zu arbeiten. Beamte aus Hamburg brachten ihn zurück, Beamte aus Schleswig-Holstein waren informiert. Ob die Polizei in Norderstedt bereits ein eigenes Überwachungskonzept entwickelt hat, ist offen, zumal sie wie ihre vorgesetzten Dienststellen von den Hamburger Plänen kalt erwischt wurde.
Das Kieler Justizministerium habe erst am vergangenen Donnerstag Infos aus Hamburg erhalten, berichtete Schmalfuß. Die Kieler Versuche, den Arbeitseinsatz des Ex-Verbrechers zu verschieben oder zu stornieren, fielen in Hamburg nicht auf fruchtbaren Boden. Im Kabinett wie im Landeshaus schlugen die Wellen hoch. Hier wie dort wurde beklagt, dass Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Schleswig-Holstein nach dem Eklat um die Windmesse und die Konflikte um die CO2-Speicherung und eine gemeinsame Investitionsbank erneut wie "einen Hinterhof der Metropole" behandelt. "Die Hamburger tun so, als wären wir ihre armen Brüder und Schwestern", sagte Heinold. "Dabei ist klar, dass Hamburg sein Umland genauso braucht wie Schleswig-Holstein die Metropole."
Mit dieser Sichtweise steht Heinold nicht allein. Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) möchte auf der gemeinsamen Kabinettssitzung am 28. Februar in Kiel die ersten Pflöcke für ein "Grundlagenabkommen" mit Hamburg einschlagen. Ziel ist nicht nur eine engere Zusammenarbeit der Wirtschaftsressorts beider Länder. "Es geht um eine Roadmap für eine Kooperation oberhalb des Status Quo und unterhalb eines Nordstaats", sagte de Jager dem Abendblatt. Die Übereinkunft gehe deutlich über das 1991 vereinbarte Regierungsabkommen hinaus.
Die Vorschläge für den neuen Schleswig-Holstein-Hamburg-Deal stammen aus einem Gutachten, das de Jager beim Lorenz-vom-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften (Uni Kiel) eingeholt hatte. Beide Länder sollen sich verpflichten, sich wechselseitig über ihre Pläne zu informieren und "Projekte mit nachteiligen Auswirkungen auf das andere Bundesland zu unterlassen". Bei einem solchen "Wettbewerbsverbot" wären Pläne Hamburgs, die Windmesse aus Husum abzuwerben, ebenso hinfällig wie Versuche Schleswig-Holsteins, Unternehmen aus der Metropole ins Umland zu locken.
Noch weiter als de Jager geht eine Enquete-Kommission des Kieler Landtags. In ihrem bisher noch internen Abschlussbericht empfehlen die Landespolitiker, enger mit Hamburg, aber auch teils mit Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen zusammenzuarbeiten und so insgesamt 100 bis 800 Millionen Euro jährlich zu sparen.
Einige Beispiele liefert der 400-Seiten-Bericht gleich mit. Auf der Wunschliste stehen eine gemeinsame Landesplanung für Hamburg und Schleswig-Holstein sowie ein Bildungssystem mit vergleichbaren Angeboten von der Kita über die Schulen bis zu den Hochschulen. Andere Vorschläge zielen auf derzeitige Doppel-Angebote in Wissenschaft und Wirtschaft oder bei der Krankenversorgung.
Umstritten blieb, ob und wann ein Nordstaat aus Schleswig-Holstein und Hamburg Sinn macht. Klar ist, dass eine Fusion sich nach dem derzeitigen Verteilungsschlüssel im Länderfinanzausgleich nicht rechnet. Unter dem Strich würden Hamburg (ohne Stadtstaatprivileg) und Schleswig-Holstein etwa eine Milliarde Euro sowie in Berlin Einfluss verlieren. Schleswig-Holstein (vier Stimmen im Bundesrat) und Hamburg (drei Stimmen) müssten sich als Nordstaat mit vier Sitzen begnügen. Die Kommission erinnert aber auch daran, dass die Bundesländer ihren Finanzausgleich bis 2020 neu regeln und dabei Übergangslösungen für Fusionsländer einbauen könnten.