100 Tage Schwarz-Gelb in Kiel. Der Ministerpräsident über die Ein-Stimmen-Mehrheit, das Sparpaket und seine Traumhochzeit im Sommer.

Kiel. Abendblatt : Herr Carstensen, Sie hatten den Schleswig-Holsteinern eine Koalition des Aufbruchs versprochen. Die SPD spricht von einer Tu-Nix-Regierung. Welche Bilanz ziehen Sie nach den ersten 100 Tagen?

Carstensen : Ich bewerte die 100 Tage als ausgesprochen gut. Wir haben einiges angeschoben, sind dabei, den Landesentwicklungsplan zu überarbeiten, wollen das Sparkassengesetz ändern und bereiten uns auf den Doppelhaushalt 2011/12 vor. CDU und FDP arbeiten sehr gut zusammen.

Abendblatt : In Kiel läuft es also besser als in Berlin?

Carstensen : Das mag gut sein. In Kiel gibt es anders als vor einem Jahr in der Großen Koalition keinen Krach. Das liegt auch daran, dass ich mich mit dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Wolfgang Kubicki, außerordentlich gut verstehe.

Abendblatt : Hätten Sie Herrn Kubicki nicht lieber an der kurzen Leine im Kabinett?

Carstensen :. Wolfgang Kubicki liebt die parlamentarische Freiheit. Er ist ein ungebundener Vogel. Es würde ihm wehtun, wenn er im Kabinett eingebunden wäre.

Abendblatt : Herr Kubicki steuert die Regierung mit. Er ist sozusagen regierender Fraktionsvorsitzender.

Carstensen : Es stimmt, er ist nicht nur Fraktionsvorsitzender, er ist auch Mitglied der Haushaltsstrukturkommission. Dieses Gremium stellt die Weichen für unser wichtigstes Projekt. Wir müssen und wir wollen die Neuverschuldung des Landes bis 2020 auf null reduzieren und so die Zukunft Schleswig-Holsteins sichern.

Abendblatt : Sie kündigen seit Wochen einen radikalen Sparkurs an. Wann präsentieren Sie die Streichliste?

Carstensen : Die Streichliste für 2011 und 2012 wird vor der Sommerpause vorgelegt. Die Vorarbeiten laufen. Der Finanzminister hat den Ressorts rigide Vorgaben gemacht. Die Minister müssen nun in der Haushaltsstrukturkommission Farbe bekennen.

Abendblatt : Auf dem Prüfstand steht auch das dritte kostenlose Kita-Jahr. Es wurde auf Vorschlag der CDU erst vor Kurzem eingeführt.

Carstensen: Alles steht bei uns auf dem Prüfstand. Dabei ist es egal, von wem etwas kommt oder seit wann etwas gilt. Entscheidend ist, dass wir genügend einsparen, um unser strukturelles Defizit von 1,25 Milliarden Euro in Schritten von jährlich jeweils zehn Prozent bis 2020 abbauen.

Abendblatt: Das Ziel ist allein mit der Streichung von Landesleistungen nicht zu erreichen.

Carstensen : Das stimmt. Uns stehen weitere schmerzhafte Einschnitte ins Haus. Wir müssen zusätzlich bis 2020 jede zehnte Stelle im Landesdienst streichen, also 5600 Jobs. Und wir brauchen natürlich Wirtschaftswachstum. Die Steuereinnahmen müssen wieder steigen.

Abendblatt: In dieser Rechnung gibt es eine große Unbekannte – den Bund. Wenn er auf Kosten der Länder Politik macht, kann Schleswig-Holstein sein Sparziel nicht erreichen und verliert zudem die zugesagte Armenhilfe von 80 Millionen Euro im Jahr.

Carstensen: So weit darf es nicht kommen und so weit wird es nicht kommen. Ich treffe mich am Donnerstag wieder mit Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen. Wir beraten, wie wir den Bund darauf verpflichten können, die Geschäftsgrundlage einzuhalten und die Länder nicht zu belasten, etwa durch Steuergesetze.

Abendblatt: Schleswig-Holstein ist im Bundesrat derzeit das Zünglein an der Waage.

Carstensen: Das haben wir beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Sinne der Länder genutzt. Und um es ganz klar zu sagen. Schleswig-Holstein wird weitere Belastungen für die Länder nur noch akzeptieren, wenn es einen vollen Ausgleich gibt.

Abendblatt : Die Schleswig-Holsteiner sollen den Gürtel enger schnallen, die Regierung hat zwei neue Beauftragte eingestellt. Wie passt das zusammen?

Carstensen : Wir blähen unseren Apparat nicht auf, sondern haben das mit den Beauftragten so schlank gemacht wie möglich. Sie arbeiten ohne großen Stab, nutzen vorhandene Büros und erhalten nur eine Aufwandsentschädigung. Unser Mittelstandsbeauftragter Hans-Jörn Arp hat sich schon erfolgreich um eine Firmenansiedlung gekümmert. Arps Kosten haben wir also schon raus.

Abendblatt: Sie regieren seit Freitag nur noch mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit. Reicht das?

Carstensen: Ich habe eine Stimme Mehrheit. So wie einst Gerhard Stoltenberg, Björn Engholm oder Heide Simonis. Sie sehen mich ausgesprochen gelassen. Wir setzen auf die Loyalität und Solidarität der Regierungsfraktionen. Jeder Abgeordnete weiß, was es bedeuten kann, wenn er aus dieser Disziplin ausschert.

Abendblatt: Einer Ihrer Abgeordneten hat den Aufbau einer zweiten Polizeihundertschaft gefordert. Ist das schon ausscheren?

Carstensen: Ich kenne die Lage bei der Polizei. Eine zweite Hundertschaft ist das Erste, was ich einrichten würde, wenn das Geld da wäre. Es ist aber leider nicht da.

Abendblatt: Das Landesverfassungsgericht wird die Mandatsverteilung im Landtag prüfen und könnte die schwarz-gelbe Mehrheit kippen.

Carstensen: Wir haben nach Recht und Gesetz gewählt. Wir sind nicht bei Formel 1, wo Bedingungen geändert werden, damit es andere Sieger gibt.

Abendblatt: Die Landtagsjuristen gehen davon aus, dass die CDU beim Ausscheiden eines Abgeordneten den Sitz verliert und Schwarz-Gelb damit die Mehrheit.

Carstensen: Diese Entscheidung müsste im Fall der Fälle das Landesverfassungsgericht treffen. Ich will es aber nicht darauf anlegen, sondern setze darauf, dass alle CDU-Abgeordneten bis 2014 an Bord bleiben.

Abendblatt: Wen würden Sie im Ernstfall mit ins schwarz-gelbe Boot holen – Grüne oder SSW?

Carstensen: Ich habe keinen Grund, darüber zu spekulieren. Aber ich beobachte und stelle fest, dass es in Hamburg gut läuft.

Abendblatt: Die unklaren Mehrheitsverhältnisse betreffen Sie auch persönlich. Sie haben ein Landtagsmandat.

Carstensen: Ich bin direkt gewählter Abgeordneter aus Nordfriesland, habe landesweit das beste Ergebnis geholt und möchte das Mandat bis zum Ende der Wahlperiode ausüben.

Abendblatt: Sie wären dann nur noch Hinterbänkler, falls Sie in gut zwei Jahren mit 65 den Stuhl des Ministerpräsidenten einem Nachfolger überlassen würden.

Carstensen: Dazu möchte ich nur zwei Dinge sagen. Erstens: Mein Amt als Ministerpräsident macht mir Spaß und ist mir mehr denn je eine Verpflichtung. Und zweitens: Kanzler wie Helmut Schmidt und Helmut Kohl sind nach ihrer Amtszeit im Bundestag geblieben.

Abendblatt: Der Landtag hat eine Kommission eingesetzt, um Vor- und Nachteile eines Nordstaats mit Hamburg auszuloten. Sie haben sich als Abgeordneter enthalten. Warum?

Carstensen: Ich halte zwar die Frage für wichtig, aber nicht die Kommission. Sie verursacht Kosten und krankt daran, dass Hamburg und andere norddeutsche Länder nicht mit am Tisch sitzen.

Abendblatt: Hamburg hat das Gastschulabkommen gekündigt, pocht auf einen neuen Elbe-Vertrag. Im Landeshaus heißt es bereits: Hamburg will sparen, Schleswig-Holstein soll zahlen.

Carstensen : Ich weiß nicht, ob da eine Systematik drin ist. Entscheidend ist, dass wir die Probleme lösen. Wir sind da auf einem guten Weg. Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust und ich sind die Motoren der Zusammenarbeit in Norddeutschland. Niedersachsen kann auf Schleswig-Holstein verzichten, aber wir nicht auf Hamburg und Hamburg nicht auf uns. ***

Abendblatt: Eine gute Voraussetzung für einen Nordstaat. Traut sich Schleswig-Holstein?

Carstensen: Ich habe gesagt, dass wir in einer WG leben und mehr daraus werden kann, wenn die Bürger es wünschen. In Umfragen gab es dafür bisher aber keine klare Mehrheit. Und mit einer Zustimmung von 52 zu 48 Prozent kann man nicht heiraten.

Abendblatt: Deutschland wird sehr kleinteilig regiert.

Carstensen: Das ist mir durchaus bewusst. Ich bin derjenige, der eine Neuordnung der Länder in der Föderalismuskommission angesprochen hat. Schleswig-Holstein steht dabei aber nicht an erster Stelle. Andere Länder haben größeren Handlungsbedarf. Ich denke an Bremen und an das Saarland.

Abendblatt: Sie persönlich haben sich getraut und Silvester Ihre Lebensgefährtin geheiratet. Wie fühlt man sich als junger Ehemann?

Carstensen: Ich fühle mich spitzenmäßig und habe das Gefühl, meine Frau auch. Wir haben unsere Hochzeit nicht an die große Glocke gehängt, weil wir keine öffentliche Trauung wollten. Das ist leider nicht ganz gelungen.

Abendblatt: Sie wollen im Sommer kirchlich heiraten. Erwartet uns dann eine Traumhochzeit?

Carstensen: Ich möchte eine kirchliche Trauung, weil ich in meinem Glauben sehr fest bin. Es ist in erster Linie unsere Traumhochzeit. Wir wollen mit Verwandten, Geschwistern und Freunden feiern. Wo, steht nicht fest. Es gibt viele schöne Kirchen in Schleswig-Holstein.