Am Sonntag solle weiter nach den Überresten eines seit zwei Jahren vermissten Türken gesucht werden. Bislang war die Suche erfolglos.
Altenholz. Die Suche nach einer einbetonierten Leiche in einer Lagerhalle bei Kiel ist auch am zweiten Tag nach einer Großrazzia gegen die Hells Angels in Norddeutschland erfolglos geblieben. Am Sonntag solle weiter nach den Überresten eines seit zwei Jahren vermissten Türken gesucht werden, teilte die Polizei mit. Am Freitag hatten die Ermittler mit schwerem Gerät das Fundament der von den Rockern genutzten Halle nahe Altenholz aufgebrochen, am Samstag wurden große Betonplatten aus dem leergeräumten Gebäude transportiert.
„Es wird mit Hochdruck gearbeitet“, sagte eine Sprecherin des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein. Ebenfalls fortgesetzt wurde am Samstag die Durchsuchung einer Kfz-Werkstatt in der Kieler Innenstadt. Medienberichten zufolge sollen die Hells Angels dort in einem ehemaligen Trafo-Häuschen eine Art Folterkammer eingerichtet und darin vor zwei Jahren den damals 47-jährigen Tekin Bicer möglicherweise mehrere Stunden lang misshandelt und schließlich erschossen haben. Als Hintergrund werden Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Drogengeschäften vermutet. Eine offizielle Bestätigung gab es zunächst nicht.
Bei der Suche nach der Leiche wurden erneut Spezialgeräte eingesetzt. Helfer des Technischen Hilfswerks und einer Baufirma unterstützten die Polizei in dem Gewerbegebiet. Mit einer Asphaltfräse und Betonsägen wurde der Boden weiter aufgebrochen und große Betonstücke nach draußen gebracht.
Zuvor hatten die Beamten die eingeschossige Halle, die den Hells Angels als Treffpunkt gedient haben soll, mit Leichenspürhunden abgesucht. Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) reisten aus Wiesbaden an, untersuchten den Boden mit Chemikalien. Dass die Ermittler dabei schon einen konkreten Hinweis auf Leichenteile erhalten hatten, wollte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Kiel, Oberstaatsanwältin Birgit Heß, auf Nachfrage nicht bestätigen. Dennoch gehen die Ermittler weiter davon aus, dass der 47 Jahre alte Arbeitslose von Mitgliedern des seit Januar verbotenen Kieler "Höllenengel"-Charters getötet wurde und seine Leiche im Fundament der Halle eingegraben oder einbetoniert wurde. Welche Verbindung Bicer zu den Rockern hatte und warum er ihnen möglicherweise in die Quere gekommen war, ist weitgehend unklar. Spekuliert wird über Drogengeschäfte. Der türkischstämmige Familienvater war am 30. April 2010 aus einer Kieler Gaststätte spurlos verschwunden. Kurz darauf soll er in Begleitung von drei Männern gesehen worden sein. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass er zuletzt eine große Geldmenge bei sich hatte.
Und wenn es um Geld geht, das haben viele ehemalige Geschäftspartner der Hells Angels erfahren müssen, hört für viele der Rocker mit dem Totenkopfemblem, egal ob aus Kiel, Hannover oder Berlin, jeglicher Spaß auf.
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Knapp 60 Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität sind allein im Jahr 2011 gegen Rockerklubs und ihnen nahestehende Vereinigungen geführt worden - nicht alle davon indes gegen Hells Angels. Fast immer ging es um Drogen, Menschenhandel, räuberische Erpressung und Zuhälterei. "Bei den Rot-Weißen geht es nur noch um Kohle. Mit Motorradromantik hat das nichts mehr zu tun", sagte ein Aussteiger dem Abendblatt. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, das sich in Deutschland 121 kriminelle Rockergruppierungen mit 500 regionalen Untergruppen etabliert haben.
Ihnen gehören nach vorsichtigen Schätzungen des BKA 6500 Mitglieder an. Das Hells-Angels-Charter Hannover, angeführt von Deutschlands mächtigstem Hells Angel Frank Hanebuth, gilt laut Experten als inzwischen mitgliederstärkstes und einflussreichste Untergruppe weltweit. Rund um Hannover herrscht folglich die bundesweit größte Dichte an Unterstützerklubs. Lange Jahre kontrollierten die Rot-Weißen, so genannt wegen ihrer Vereinsfarben, das Hannoveraner Rotlichtviertel Steintor. Allein zwischen 2006 und 2010, so rechnete CDU-Innenminister Uwe Schünemann im Juli 2011 vor, habe sich die Zahl der häufig kriminellen Mitglieder der Rockerklubs in Niedersachsen von 290 auf deutlich über 500 erhöht. Das Gros entfiel auch hier auf die Hells Angels.
Dabei geben sich die oft martialisch auftretenden Rocker gern auch bürgerlich. Als Beispiel enger Verzahnung von Höllenengeln und lokaler Politik dient seit 2011 das niedersächsische Städtchen Walsrode. Dort trat die parteilose Bürgermeisterin Silke Lorenz in einer leicht hilflos wirkenden Geste an die Vorsitzenden von Sport- und Freizeitvereinen sowie Firmenchefs heran und bat sie höflich, zukünftig bitte keine Beziehungen mit örtlichen, stadtbekannten Hells Angels mehr einzugehen. Dies freilich erst, nachdem zwei bekennende Gegner des örtlichen Rockerchefs Opfer von Drohungen und Sachbeschädigungen wurden. Sie hatten die enge Verzahnung eines Höllenengels, der Betreiber eines Bordells, einer Bowlingbahn, eines Sportklubs und einer Sicherheitsfirma ist, mit dem öffentlichen Leben in Walsrode angeprangert. Auf Stadtfesten stellte seine Firma den Ordnungsdienst, Vereine profitierten von seinen Spenden. Der Rocker und Mäzen war bestens vernetzt - deshalb übersah man die Nebentätigkeit des Mannes bei den Hells Angels lange Zeit geflissentlich.
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In Schleswig-Holstein war die Feindschaft zwischen den Hells Angels und den Bandidos zeitweise derart eskaliert, dass die Behörden Ende April 2010 die Reißleine zogen: Dem Beispiel Hamburgs folgend, wo die Hells Angels seit 1983 offiziell nicht mehr genehmigungsfähig sind, wurden die Vereine Hells Angels MC Flensburg und Bandidos MC Probationary Chapter Neumünster verboten - sie hatten sich in den blutigen Auseinandersetzungen besonders hervorgetan.
Die Flensburger Höllenengel galten damals als das mächtigste Charter in Schleswig-Holstein. Mit dem Verbot der Neumünsteraner sprengten die Behörden gleichsam den damaligen Brückenkopf der Bandidos in Norddeutschland, mit deren Erscheinen im Frühjahr 2009 ein wahrer Rockerkrieg begonnen hatte. Auszüge aus dem Kampfhandlungen: Im Januar 2009 schossen Hells Angels in Kaltenkirchen auf einen Bandido. Im September fuhren Höllenengel einen Bandidos-Biker auf der A 7 an. Im Februar 2010 überfielen Bandidos zwei Red Devils - Mitglieder einer den Hells Angels nahestehenden Rockergruppe. Im März darauf schossen Unbekannte auf das Haus des Kieler Hells-Angels-Chefs. Im gleichen Monat wurden Bandidos-Anhänger von Hells Angels vor einem Fitnessstudio in Kiel niedergestochen.
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Wie ihre norddeutschen Amtskollegen warnen die Innenminister der Länder immer wieder vor sich verfestigenden Strukturen der Rockerkriminalität: In Bayern beobachtete das LKA zuletzt einen starken Zulauf bei den einschlägigen Klubs. Trotz eines Stillhalteabkommens zwischen Hells Angels und Bandidos sei es 2011 immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen, bestätigte BKA-Abteilungsleiter Peter Henzler im Januar 2012.
Der Ex-Ermittler und Buchautor Stefan Schubert aus Bielefeld glaubt, dass sich die kriminellen Machenschaften gerade der Hells Angels massiv verstärkt haben. Schubert: "Deutschland ist eines der wichtigsten Länder für die Hells Angels weltweit geworden." Rund 1000 Vollmitglieder und bis zu 3000 Unterstützer seien unter dem Totenkopfemblem aktiv.
Mit Material von dpa und dapd