Opfer von häuslicher Gewalt oder Sexualstraftaten in Niedersachsen können sich an “Netzwerk ProBeweis“ wenden. Es werden Beweise aufgenommen.

Hannover. Misshandelte und vergewaltigte Frauen in Niedersachsen bekommen Unterstützung von einer neuen Anlaufstelle. Sie können sich nach einem Übergriff in sogenannten Beweisambulanzen von Rechtsmedizinern untersuchen lassen, ohne sofort bei der Polizei Strafanzeige erstatten zu müssen. Die professionelle Spurensicherung direkt nach der Tat ermögliche eine spätere Beweisführung vor Gericht, sagte Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) am Freitag bei der Vorstellung des Projekts "Netzwerk ProBeweis“. Bis zu drei Jahre werden die Beweise aufbebwahrt.

Hintergrund ist, dass zum Beispiel Vergewaltigungsopfer häufig so stark traumatisiert sind, dass sie gar nicht oder erst weit später in der Lage sind, zur Polizei zu gehen. Dann lassen sich aber zum Beispiel Verletzungen nicht mehr dokumentieren.

+++"Prügel ist kein Zeichen für Liebe"+++

Die ersten Beweisambulanzen werden am 1. Juni in der Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und in der Außenstelle des Instituts in Oldenburg eröffnet, weitere sollen folgen. Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration finanziert das Projekt drei Jahre lang, für 2012 und 2013 stehen jeweils 270.000 Euro zur Verfügung. Ähnliche Netzwerke gibt es bereits in Hamburg, Bremen und Rheinland-Pfalz.

Statistisch ist der eigene Partner der gefährlichste Mann für Frauen: Nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums wird jede vierte Frau in Deutschland zumindest einmal im Leben Opfer von häuslicher Gewalt oder einer Sexualstraftat, begangen vom aktuellen oder einem früheren Partner. Die Dunkelziffer ist hoch. So erstatten nur zehn Prozent der Frauen, die in Beratungsstellen von Schlägen berichten, anschließend tatsächlich Anzeige gegen ihren Partner. Bei Sexualdelikten sind es sogar nur fünf Prozent. Das kam in einer Studie von 2004 heraus. Weit seltener sind Männer Opfer häuslicher Gewalt. Betroffene können sich aber auch an das neue Netzwerk wenden.

Die in den Beweisambulanzen gesicherten Spuren können nach Freigabe durch die Betroffenen in Ermittlungs- und Strafverfahren eingebracht werden. "Für die Justiz zeichnet sich hierdurch eine Möglichkeit ab, die Beweissituation in einer Reihe von Strafverfahren entscheidend zu verbessern, in denen derzeit noch die Situation Aussage gegen Aussage besteht“, erklärte Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann.

Die Rechtsmediziner der MHH wollen landesweit mindestens zehn Partnerkliniken gewinnen, die über eine Notfallambulanz/Chirurgie und eine Gynäkologie verfügen. Demnächst sollen Beweisambulanzen in den Einzugsgebieten Osnabrück, Braunschweig und Stade/Lüneburg hinzukommen. Die Partnerkliniken erhalten alle Utensilien, die für die Untersuchung und Beweissicherung benötigt werden, etwa Tupfer für Abstriche, Röhrchen für Blutproben und Asservierungstütchen.

Prof. Peter Hillemanns, Direktor der MHH-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, erhofft sich, dass mit dem Projekt auch niedergelassene Gynäkologen sowie Frauenkliniken vom Wissen der Rechtsmediziner profitieren. Sie erhalten nun einen Leitfaden, was genau zu tun ist, wenn eine Frau mit Misshandlungen in die Praxis oder Ambulanz kommt.

(abendblatt.de/dapd)