Frauen mit Behinderungen werden häufiger Opfer von häuslicher Gewalt. Ein Netzwerk hilft Betroffenen in Lüneburg und will diese stärken.
Lüneburg. Ute Geiling und ihre Kolleginnen können aufatmen: Gestern Abend haben die Mitglieder des Vereins Frauen helfen Frauen im Sozialausschuss des Landkreises ihre Arbeit vorgestellt. In der Sitzung ging es auch um die finanzielle Ausstattung des Frauenhauses. Vor der Entscheidung der Politiker in Stadtrat und Kreistag gab es aus Hannover schon gute Nachrichten. Die Landeszuweisung steigen jährlich von bisher 68 000 Euro auf 76 400 Euro. Damit ist die Zukunft der Einrichtung bis 2015 vorerst gesichert.
Dass es auch mehr als drei Jahrzehnte nach Gründung des Frauenhauses in Lüneburg noch immer dieser Zufluchtsstätte für misshandelte Frauen bedarf, sei traurig, sagt Ute Geiling, die seit 1982 in der Einrichtung arbeitet. Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums kam im Jahr 2004 zu dem Schluss, dass jede vierte Frau mindestens einmal im Leben Gewalt in einer Beziehung erlebt.
Schuld daran sei unter anderem eine noch immer verbreitete Haltung, Gewalt sei ein legitimes Mittel zur Konfliktlösung. Wer in seiner Kindheit Gewalt zwischen den Eltern erlebt hat, ist besonders gefährdet, später selbst auf dieses Verhaltensmuster zurückzugreifen. "Häusliche Gewalt ist kein Problem, dass nur eine bestimmte Schicht betrifft. Im Gegenteil: Alle Frauen, unabhängig von Alter, Bildungsabschluss, sozialer Stellung und Religionszugehörigkeit können körperliche Gewalt in der Beziehung erleiden", sagt Stefanie Bahr. Die Diplomsozialpädagogin arbeitet seit acht Jahren im Lüneburger Frauenhaus. Wichtig sei es, den Frauen zuzuhören und ihr Selbstwertgefühl wieder zu stärken. "Keine Beziehung beginnt mit Schlägen. Prügel ist kein Zeichen für Liebe", sagt Ute Geiling.
Jede Frau wird so betreut, wie sie es möchte. "Nicht alle ziehen gleich hier ein, die meisten suchen das Gespräch", sagt Stefanie Bahr. Zwölf Betten und fünf Kinderbetten stehen im Notfall zur Verfügung. Unterschlupf finden die Frauen, bis es ihnen besser geht. Einige bleiben für ein Jahr.
Trotz der Anerkennung ihrer Arbeit und einer besseren finanziellen Ausstattung sehen Ute Geiling und Stefanie Bahr in einigen Punkten noch Handlungsbedarf für die Politik. "Wir stellen fest, dass Frauen die körperlich eingeschränkt sind oder unter psychischen Problemen leiden, häufiger von Gewalt betroffen sind. Aber nicht alle Frauenhäuser sind auf diese Frauen vorbereitet. Bei uns haben schon Frauen mit Seh- und Hörbehinderungen Zuflucht gesucht, aber eine Frau die im Rollstuhl sitzt, könnten wir momentan nicht aufnehmen, weil unser Haus nicht barrierefrei ist."
Ute Geiling und Stefanie Bahr sprechen sich zudem in Einzelfällen für eine Änderung der Zugangsberechtigung aus. "Vor allem für Migrantinnen, die sich aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Status nur in einem bestimmten Landkreis aufhalten dürfen, gibt es keine Sicherheit, wenn sie nur Einrichtungen in diesem begrenzten Gebiet aufsuchen dürfen. Dann weiß der Mann immer wo sie ist und es ist schwer für diese Frau, zur Ruhe zu kommen", sagt Stefanie Bahr.
60 Frauen und 39 Kinder lebten im vergangenen Jahr vorübergehend im Lüneburger Frauenhaus. Dazu kommen 350 persönliche und 800 telefonische Beratungen, auf Wunsch können die Anruferinnen ihre Probleme auch anonym schildern. In jüngster Vergangenheit haben die vier Mitarbeiterinnen des Frauenhauses einen neuen Trend festgestellt. Immer mehr ältere Frauen rufen an. Vor allem, wenn die Ehemänner an Altersdemenz oder Depressionen erkranken, kann sich aggressives Verhalten in der Beziehung häufen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Frauen, die vor dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, oft ökonomisch abhängig von ihren Männern sind.
Wer körperlich oder seelisch misshandelt wird, entwickelt oft psychosomatische Symptome. "Herzkreislauferkrankungen, Migräne, Magengeschwüre und ähnliche Beschwerden können auf die Diagnose Gewalt zurückgehen. Wir sprechen mit Ärzten und sensibilisieren sie für das Thema", sagt Ute Geiling. Um von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen besser helfen zu können, wurde ein runder Tisch in Lüneburg etabliert. In dem Netzwerk sind neben Medizinern weitere Partner engagiert. Regelmäßig halten Stefanie Bahr und Ute Geiling Vorträge vor Auszubildenden. "Vor allem Krankenpfleger und Erzieherinnen in Kitas können anhand bestimmter Anzeichen erkennen, ob es sich um betroffene Frauen oder Kinder handelt. Wir schulen sie für den Umgang mit Gewaltopfern", sagt Stefanie Bahr. Die Vereinsmitglieder halten zudem engen Kontakt zur Sozialstation im Klinikum und der Institutsambulanz im Psychiatrischen Klinikum.