Die Landesregierung habe Reformen bei der menschenrechts- und verfassungswidrigen Sicherungsverwahrung verschlafen, kritisiert die Opposition.

Kiel. Auch nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden gefährliche Straftäter in Schleswig-Holstein vorerst in Sicherungsverwahrung bleiben. Derzeit gebe es im Norden elf Sicherungsverwahrte, die alle in Lübeck untergebracht seien, sagte Justizstaatssekretär Michael Dölp am Dienstag in Kiel. Er hatte am selben Tag das Kabinett unterrichtet über Konsequenzen aus dem Urteil.

Dagegen behauptete die Linke, dass bei weiteren 18 Gefangenen Sicherungsverwahrung bereits angeordnet sei. Dies gehe aus der Antwort auf eine kleine Anfrage im Dezember 2010 hervor. Der SSW warf der CDU/FDP-Landesregierung vor, „derart orientierungslos zu sein, dass von ihr die größte Gefahr für den korrekten Umgang mit gefährlichen Straftätern ausgeht“. Die SPD hielt der Landesregierung vor, „bis heute offensichtlich geschlafen“ zu haben.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 4. Mai sämtliche Regelungen über die erst Anfang 2011 reformierte Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Innerhalb von zwei Jahren muss der Gesetzgeber eine neues Gesamtkonzept für die Sicherungsverwahrung beschließen. Solange dürfen gefährliche Gewalt- und Sexualtäter nach Verbüßung ihrer Strafe unter strengen Voraussetzungen eingesperrt bleiben. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts soll die Sicherungsverwahrung sich deutlich von den Haftbedingungen abheben, den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst sein sowie das Behandlungs- und Beratungskonzept eine realistische Entlassungsperspektive bieten.

Bereits 2009 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eine rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die früher geltende Zehn-Jahres-Grenze hinaus für menschenrechtswidrig erklärt. Seither wurden immer wieder Verwahrte freigelassen, obwohl sie weiter als gefährlich galten. Das aber wollten die Karlsruher Richter verhindern, ohne in offenen Widerspruch zu den Straßburger Vorgaben zu geraten. Auch deshalb ist ein komplett neues Konzept der Sicherungsverwahrung erforderlich.

Die neue Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung werde sehr aufwendig sein, sagte Dölp. „Es wird mehr kosten, daran besteht kein Zweifel.“ Schleswig-Holstein favorisiere eine Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern. Ob es eine länderübergreifende Unterbringung von Sicherungsverwahrten in einer gemeinsamen Einrichtung mit Therapien geben werde, sei aber noch völlig offen. Ein von zehn Ländern erarbeiteter gemeinsamer Entwurf für ein Strafvollzugsgesetz solle bis Ende Juni vorliegen. Offen sei auch, ob es außerdem ein gesondertes Sicherungsverwahrungsgsetz geben solle oder die Anforderungen bereits in das Justizvollzugsgesetz eingearbeitet werden.

Die Darstellung der Landesregierung über die Auswirkungen des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung auf Schleswig-Holstein „war in ihrer Armseligkeit geradezu erschreckend“, kritisierte die SPD. „Das Einzige, was der zuständige Staatssekretär deutlich machen konnte, war, dass die Landesregierung kein Konzept zum künftigen Umgang mit Sicherungsverwahrten hat. Offensichtlich hat sie sich dazu noch nicht einmal eine Meinung gebildet.“

Die Sicherungsverwahrung ist laut SSW 2010 „eines der heißesten Eisen der Sicherheitspolitik“ gewesen. „Trotzdem ist die Landesregierung so planlos, als wäre das Bundesverfassungsgerichtsurteil überraschender als ein Blitz vom heiteren Himmel gekommen“ , kritisierte der SSW. Bereits vor dem Urteil sei klar gewesen, „dass in Schleswig-Holstein beim Thema Sicherungsverwahrung einiges im Argen liegt“. Die Linke verwies darauf, dass von fünf Sicherungsverwahrten, die bis 2010 entlassen werden sollten, keiner an einer sozialtherapeutischen Maßnahme teilgenommen hatte. „Das Ministerium sollte seine Untätigkeit nicht mit Pressekonferenz-Aktionismus übertünchen, sondern endlich seine Hausaufgaben machen.“ (dpa)