Viele Kleine Tümmler verenden als Beifang in Fischernetzen. Oder Lärm stört ihr Echolotsystem.

In Deutschlands Meeresregionen lebt eine einzige Walart: Der höchstens 1,80 Meter lange Schweinswal (Phocoena phocoena), auch Kleiner Tümmler genannt. Er ist zahlreichen Gefahren ausgesetzt und in der Ostsee sogar vom Aussterben bedroht. Das Hamburger Abendblatt sprach mit der Walexpertin und Meeresbiologin Dr. Petra Deimer über die Zukunft der sympathischen Meeressäuger.


Abendblatt:

Wie geht es den Schweinswalen in der Nord- und Ostsee?

Petra Deimer:

In allen europäischen Gewässern geht es ihnen schlecht - in Deutschland in der Nordsee etwas besser als in der Ostsee. In beiden Meeren sterben mehr Schweinswale, als geboren werden.



Abendblatt:

Wie viele Schweinswale gibt es in der Nord- und Ostsee?

Deimer:

In der Nordsee sind es ein paar Tausend, nimmt man das gesamte Meer mit angrenzendem Nordatlantik, vielleicht sogar bis 100 000. In der östlichen und zentralen Ostsee steht die letzte Zählung bei 599 Tieren, doch diese Zahl ist inzwischen wahrscheinlich niedriger. In der westlichen Ostsee, also diesseits der Darßer Schwelle, liegt die Zahl bei 800 bis 1200 Tieren.



Abendblatt:

Was setzt den Walen so zu?

Deimer:

Für die Ostsee ist es in jedem Fall der Beifang durch die Fischerei. Es gibt einen Rettungsplan für die Ostsee-Schweinswale, benannt nach dem polnischen Ort Jastarnia, an dem er beschlossen wurde. Dieser Jastarnia-Plan schlägt vor, Treibnetzfischerei zu ersetzen durch Langleinen-Fischerei und Stellnetze durch Reusen. Treibnetze sind seit Januar endlich grundsätzlich verboten. Leider gibt es in Polen noch eine legale Variante, die aus einer Verknüpfung von mehreren kleineren Netzen besteht. Der Effekt ist ebenso schädlich, solange die Fläche Netzwerk im Gewässer gleich bleibt.



Abendblatt:

Könnten Schutzgebiete helfen?

Deimer:

Auf europäischer Ebene wird derzeit ein Schutzgebietsnetz ausgearbeitet. Deutschland hat seine Gebiete gemeldet, andere Länder noch nicht. Im zweiten Schritt wird geschaut, welche Tätigkeiten man in den Gebieten noch tolerieren kann. Leider wird die Fischerei sicherlich nicht verboten werden. Beim Sand- und Kiesabbau hat sich gezeigt, dass bereits bestehende Nutzungen Bestandsschutz genießen. Also auch das, was zerstörerisch war, ist und bleibt.



Abendblatt:

Werden mitgefangene tote Schweinswale für die Forschung abgegeben?

Deimer:

Das war früher der Fall, doch heute werden die Tiere dem Meer überlassen, weil kein Fischer mit ihrem Tod in Verbindung gebracht werden will. Offenbar haben die Fischer den Eindruck, dass wir sie zu den Buhmännern machen. Dabei haben wir immer betont, dass kein Fischer die Wale absichtlich umbringt.



Abendblatt:

Wer forscht an den Schweinswalen?

Deimer:

Die toten Tiere aus der Nordsee und westlichen Ostsee werden vom Forschungs- und Technologie-Zentrum Westküste in Büsum untersucht. In weiter östlichen Bereichen macht dies das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund. Wir, das heißt die Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM), erheben seit 2002 Zufallssichtungen von lebenden Tieren durch Wassersportler. Wir wissen, dass die meisten Wale im dänischen Großen und Kleinen Belt vorkommen, aber auch in der Flensburger Förde.



Abendblatt:

Welche Rolle spielt die Lärmbelastung durch Baumaßnahmen, Ölsuche mit Schallwellen, Sand- und Kiesgewinnung?

Deimer:

Wenn er in direkter Umgebung der Tiere stattfindet, kann er sie töten. Das gilt auch für die niederfrequenten Signale der Marine. Ständiger Lärm kann nicht nur auf die Nerven gehen, sondern auch eine Maskierung verursachen, das heißt, die Wale können nicht mehr so gut hören und sich nicht mehr mit ihrem Echolot orientieren. Auch der Beutefang funktioniert hauptsächlich akustisch. Zusätzlich erzeugen die Eingriffe oft viele Trübstoffe, die die Meeresregion verschmutzen. Der Sand- und Kiesabbau zerstört zudem die am Boden lebenden Meerestiere und Organismen, die am Anfang der marinen Nahrungskette stehen, und damit indirekt auch die Nahrungsgrundlage der Schweinswale und Seevögel.



Abendblatt:

Die Todfunde an der deutschen Ostseeküste haben sich 2007 mit gut 100 Tieren verdoppelt. Warum?

Deimer:

Die toten Tiere werden nicht mehr für Untersuchungen abgegeben, sondern über Bord geworfen. Manchen Walen ist der Bauch aufgeschnitten worden, damit sie nicht an die Oberfläche treiben. Uns wurde sogar ein Foto eines Wals zugeschickt, an dessen Schwanzflosse ein Ziegelstein gebunden war. Da die Funde von 2007 noch bewertet werden, steigt die offizielle Zahl weiter; es werden bestimmt mehr als 140 werden. Zudem sind die Leute aufmerksamer geworden und melden die Funde - auf keinen Fall sind jedoch plötzlich mehr Schweinswale da.



Abendblatt:

Ist das Beifang-Problem auf große Wale übertragbar?

Deimer:

Der Wissenschaftsausschuss der Internationalen Walfangkommission hat schon 2002 hochgerechnet, dass jährlich 650 000 Meeressäugetiere im Beifang umkommen. Davon sind die Hälfte Wale und Delfine, die andere Hälfte Robben. An der Atlantikküste Nordamerikas haben Untersuchungen gezeigt, dass jeder dritte Buckelwal schon einmal in einem Fischernetz gefangen war, zu sehen an Netzmarken in der Walhaut.



Abendblatt:

Welche Rolle spielt dann noch der Walfang?

Deimer:

Er klingt verschwindend klein im Vergleich mit diesen Zahlen. Er ist ein Zusatzproblem, das sich am einfachsten abstellen ließe. Er ist völlig widersinnig, weil er aufgrund des Fangmoratoriums verboten ist. Der japanische Antarktis-Walfang findet außerdem in einem Schutzgebiet statt.



Interview: Angelika Hillmer

Internet: Projekt "Wassersportler sichten Schweinswale" mit interaktiver Seekarte: www.gsm-ev.de

Website des Bundesnaturschutzamtes: www.habitatmare.de