Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, beklagt “Übernutzung der Meere“.
Eingriffe des Menschen bedrohen Nord- und Ostsee. Die "Übernutzung der Meere" zerstöre die biologische Vielfalt, beklagt Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). Deshalb müsse der Schutz von Nord- und Ostsee, wie auch der weltweiten Ozeane, eine "herausragende Rolle" spielen.
Besonders negativ seien die Auswirkungen der Fischerei auf das marine Ökosystem. So zeige der jüngste Bericht der Welternährungsorganisation FAO, dass weltweit 80 Prozent der Fischbestände überfischt oder bis an die Grenzen ihrer biologischen Kapazität genutzt würden, sagt Dr. Henning von Nordheim, wissenschaftlicher Direktor des BfN. Der Zustand der kommerziell genutzten Fischbestände habe sich weiter verschlechtert. Es gingen zu viele kleine Fische in die Netze. Nordheim: "Dorsche, die heute gefangen werden, sind meist nur noch um die 40 Zentimeter groß. Sie sind dann zwei, drei Jahre alt und haben sich noch nicht fortgepflanzt. Die Folgen: Die Reproduktionsfähigkeit des Bestandes sinkt, und er wird genetisch ärmer." Die Fischerei wirkt sich nicht nur auf Bestandsgröße, Altersstruktur und genetische Vielfalt aus, sondern habe auch negative Auswirkungen wie ungewollten Beifang und schade dem Meeresboden und dessen Lebensräumen und Arten.
So macht die Fischerei mit am Grund schleifenden Schleppnetzen in der Nordsee sowie Stellnetzen in der Ostsee den Naturschutzexperten Sorgen. Schwere Grundschleppnetze dringen je nach Härte des Sediments ein bis acht Zentimeter tief in den Meeresboden ein und sammeln alles auf, neben Fischen und deren Nachwuchs auch Seeigel, Muscheln, Krebse.
Entsprechend hoch ist der unerwünschte Fang: Für ein Kilo Seezunge werde bis zu neun Kilo Beifang tot über Bord geworfen, so von Nordheim. Bereits ein Schleppvorgang verändere die Artenzusammensetzung am Meeresboden drastisch, sagte der Experte - in der Nordsee werden einige Gebiete bis zu 20-mal im Jahr "regelrecht umgepflügt".
Nicht nur Grund- auch Stellnetze gefährden die Vielfalt. Sie töten alljährlich tausende Seevögel, die sich beim Tauchgang nach Fischen in den hauchdünnen Kunststoffschnüren verheddern und ertrinken. Auch die seltenen Ostseeschweinswale sterben immer wieder in solchen Netzen.
"Wir wollen den Fischfang nicht verbieten", betont BfN-Präsidentin Jessel. Um ihn in Einklang mit der Natur zubringen, sponsert das BfN die Entwicklung schonender Fangtechniken wie Fischfallen. Sie sind für Seevögel ungefährlich. Und alle in die Falle geratenen Meereslebewesen, die für den Menschen nutzlos sind, werden lebend an Bord gezogen und können meist unversehrt freigelassen werden.
Neben der Fischerei setzen die Suche und Förderung von Rohöl und Gas, der Sand- und Kiesabbau, räumliche Nutzungen wie Pipelines und Kabel sowie die Schifffahrt der Meeresumwelt zu, in deutschen Gewässern sogar innerhalb der Schutzgebiete.
Global betrachtet werden inzwischen 40 Prozent aller Meeresgebiete intensiv genutzt - nur noch kleine Gebiete im Nord- und Südpolarmeer gelten als weitgehend unberührt.
Trotz des hohen Nutzungsdrucks sind weltweit weniger als 0,5 Prozent der Ozeanflächen geschützt (an Land sind es fast 19 Prozent) - viel zu wenig, um einen wirksamen Schutz der marinen Lebenswelt zu gewährleisten.
Deutschland tut vergleichsweise viel für die biologische Vielfalt in den Meeren: Schutzgebiete machen 41 Prozent der Meeresfläche (inklusive Küstengewässer) aus. Von Nordheim: "Mit der Ausweisung sind wir europaweit führend, nicht jedoch im Management." Es sei an der Zeit, die Fischerei in besonders empfindlichen Meeresgebieten zu beschränken, etwa Grundschleppnetze von Riffen und Sandbänken zu verbannen. Insgesamt solle der kommerzielle Fang ökosystemgerechter gestaltet werden.
Bei der Genehmigung weiterer Windparks (siehe Extratext) werde schon heute zurückhaltender vorgegangen, versicherte Jessel: "Früher hat man viele Fehler gemacht, weil die Forschung zu den ökologischen Folgen noch nicht so weit war. Inzwischen werden einzelne Projekte zum Schutz der Natur abgelehnt, zum Beispiel auf der Oderbank. Hier dürfen keine Windrotoren gebaut werden, weil sie Seetaucher zu sehr stören."
Informationen im Internet:
www.bfn.de/