Wie Soldaten auf Extremsituationen reagieren, sei eine Frage der Disziplin, aber auch der Einfühlung. Zweifellos sei es belastend für Soldaten, "wenn sie in einem fremden Land von unberechenbaren Leuten umgeben sind, wo sie auf Schritt und Tritt nicht sicher sind, ob sie nicht gleich eine Mine lostreten oder ihnen Kugeln um die Ohren fliegen werden. Das macht Unruhe und führt zu Verhärtung", antwortet Horst-Eberhard Richter (83) auf die Frage, wie er das Verhalten deutscher Soldaten in Afghanistan beurteilt.
Der Psychoanalytiker, der 1962 in Gießen einen der ersten deutschen Lehrstühle für Psychosomatik übernahm, war selber im Krieg. Er wurde im Spätwinter 1942 zur leichten Artillerie nach Russland eingezogen, stand als Richtkanonier hinter einer Haubitze und feuerte auf den Feind. Er habe wohl getötet, räumte der überzeugte Friedenskämpfer ein, der sich sehr genau an seine Zeit im Krieg erinnert.
Es sei nicht ungewöhnlich, dass Soldaten sich in derartigen Situationen durch Zynismus und sadistische Ironie Luft machten. Das bringe zumindest momentan eine Entlastung. "Ich nehme an, dass einige Soldaten in einer solchen Verfassung mal einen Schädel in die Hand genommen und Gelächter geerntet haben. Sie waren sich über die begangene Schändung gar nicht im Klaren. Wenn das fotografiert wird, dann haben offenbar auch andere Soldaten Spaß gehabt, was fürchten lässt, dass den Leuten die Verwerflichkeit solcher Entgleisung und solcher Schamlosigkeit nicht genügend nachdrücklich eingeprägt worden ist", sorgt sich Richter.
Um seine Disziplin und seine Sensibilität nicht zu verlieren, las der damals 18- bzw. 19-Jährige jeden Tag ein paar Minuten in einem Reclam-Heftchen "etwas über Liebe, über Menschlichkeit". Man brauche etwas für die innere Welt, um inmitten der Gewalt nicht total zu verhärten. Schließlich würden Rekruten darauf gedrillt, alle Gefühle auszublenden. Ausdrücklich betont der Mediziner, der auch Philosophie und Psychologie studiert hat, dass auch Religion einem Menschen in derartigen Extremsituationen Halt geben könne. Er allerdings habe vor einem Großangriff in Richtung Don, dessen nördlichste Quellflüsse sich etwa 150 Kilometer südlich von Moskau befinden, einen Divisionspfarrer erlebt, "der uns zum Angriff gegen die vermeintlich gottlosen Kommunisten eher scharfgemacht hat".