Um 10.14 Uhr sauste der erste Strahl durch den Beschleuniger. Hamburg ist damit Weltspitze in der Lichtphysik.

Hamburg ist um eine Weltneuheit reicher. Seit gestern 10.14 Uhr funktioniert die weltweit einzigartige Lichtquelle Petra. Die Physiker und Ingenieure des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy) in Bahrenfeld haben den Beschleuniger der Super-Lampe erfolgreich angeschaltet - Ring frei für "Petra III".

Ob Medikamente oder Schweißnähte, Brillanten oder alte Schriften, Solarzellen oder Datenträger - der haarfeine Röntgenstrahl, den Petra liefert, wird sensationelle Einblicke in die Welt der kleinsten Teilchen erlauben und Neues aus dem Erdinnern zutage fördern. Mediziner, Archäologen, Biologen, Bodenkundler, Chemiker, Erdbebenforscher, Physiker oder Geologen werden profitieren. Petra wird in den kommenden fünf Jahren die Struktur- und Materialforschung revolutionieren.

Dafür hat Hamburgs größtes außeruniversitäres Forschungszentrum den bestehenden Ringbeschleuniger Petra in den vergangenen zwei Jahren komplett überholt und umgerüstet. Ingenieure, Physiker, Techniker, Schweißer, Mechaniker und Tischler räumten den 2,3 Kilometer langen Ring, der zur Hälfte oberirdisch verläuft, vollständig aus. Sie entfernten alle Spulen, die Elektronik, die Vakuum- und Kühltechnik - insgesamt wurden knapp 500 Kilometer Kabel, 15 Kilometer Wasserrohre, 2,3 Kilometer Vakuumelemente, 2,3 Kilometer Stromschienen sowie 890 Magnete entfernt.

"Davon haben wir 670 Magnete überholt und wieder eingebaut. Insgesamt sind im Beschleunigerring etwa 1150 Magnete, die die Teilchen in den neuen Vakuumelementen des Beschleunigers auf Kurs halten. Wir haben unter anderem knapp 700 Kilometer Kabel verlegt, 30 Kilometer Wasserrohre für die Klimaanlage installiert, 15 energieoptimierte Kühltürme aufgestellt. Jetzt können die Teilchen bei uns so schnell ihre Runden drehen wie nach einer Beschleunigung mit sechs Milliarden Volt", sagt Dr. Klaus Balewski, der den Beschleunigerumbau geleitet hat. Zum Vergleich: Eine Röntgenröhre beim Arzt hat 100 000 Volt.

Gestern schickten die Wissenschaftler die ersten positiv geladenen Teilchen, die Positronen, durch den Ring. Die Testphase mit den ersten Experimenten dauert noch bis Ende des Jahres. Danach werden die Positronen im Uhrzeigersinn fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Beschleuniger rasen und das begehrte Licht für die Wissenschaft erzeugen. "In einer Sekunde sausen sie, in Paketen bis zu zehn Milliarden Teilchen gepresst, 130 000-mal durch den Ring", rechnet Balewski vor und fügt hinzu: "Ein Strahlenunfall ist durch die Abschirmung ausgeschlossen. Der winzige Strahl - er ist nicht einmal einen Millimeter groß - kann nicht ausbrechen. Fällt die Spannung, die ihn in Form hält, aus, bricht er in sich zusammen. Die Teilchen landen dann in einem zehn Millimeter breiten und etwa 20 Zentimeter langen Klotz aus Aluminium."

Damit die Positronen die feine, harte und höchst genaue Röntgenstrahlung aussenden, werden sie auf ihrer Reise durch den Beschleuniger von 14 speziellen Magnetstrukturen, sogenannten Undulatoren, abgelenkt. Das ist die kritische Stelle im Experiment. "Wenn man Synchrotronlicht nicht im Griff hat, kann es wie ein Schneidbrenner wirken. Deshalb überwachen wir den Teilchenstrahl an 226 Stationen rund um die Uhr und mit höchster Präzision. So ist sichergestellt, dass das Licht wirklich in den 14 Messhütten mit ihren 27 Experimenten landet", sagt Dr. Hermann Franz, der den Aufbau der Experimentierplätze koordiniert.

Diese werden gegenwärtig im Erdgeschoss der 10 000 Quadratmeter großen und zehn Meter hohen Experimentierhalle aufgebaut. Von der Empore vor den 33 Büroräumen kann man den Baufortschritt gut verfolgen. Die rund 300 Meter lange und 30 Meter breite Halle folgt in ihrer geschwungenen Form dem Kreisbogen des Beschleunigerrings. Auch sie ist eine bautechnische Meisterleistung.

Um selbst kleinste Erschütterungen der hochsensiblen Messinstrumente zu vermeiden, wurde der 280 Meter lange, 24 Meter breite und ein Meter dicke Betonboden in einem Stück geschüttet. Zudem ist die Betonplatte schwingungstechnisch vom Rest des Gebäudes entkoppelt, da dieses auf einem Fundament von 96 Pfählen ruht, die 20 Meter in den Boden getrieben worden sind. So können selbst Schneelasten auf dem Dach oder Stürme, die an Fenstern und Türen rütteln, die Messungen nicht verfälschen. Mitte des Jahres werden die ersten Messungen starten.

Desy hat mit dem gestrigen Tag einen Meilenstein auf dem Weg in die Weltspitze der Licht-Physik zurückgelegt.


www.desy.de