Berlin. Unwetter, Hunger, aber auch Innovationen in der Landwirtschaft: Der Tambora-Ausbruch vor 200 Jahren wirkt bis heute nach.
Als Jahr ohne Sommer ging es in die Geschichtsbücher ein, das Jahr 1816. Unzählige Menschen in Europa verhungerten oder wanderten aus, weil auf den Feldern kaum etwas wuchs, die mageren Ernten im Dauerregen vermoderten, das Vieh verendete. Dass die Not auf eine noch weit verheerendere Katastrophe zurückging, ahnten die Menschen vor 200 Jahren nicht: Auf der kleinen indonesischen Insel Sumbawa hatte der Vulkan Tambora im April 1815 Dutzende Kubikkilometer Magma aus seinem Schlund geschleudert – der Ausbruch gilt als der größte von Menschen dokumentierte.
Überlebt haben nur jene, die die Insel rechtzeitig verließen. Noch auf der mehr als 2500 Kilometer entfernten Insel Sumatra soll der Ausbruch zu hören gewesen sein, Tsunamis trafen auf die Inseln der Region, der Himmel verdunkelte sich für Tage. Mehr als 10.000 Menschen sollen unmittelbar gestorben sein, mehr als 60.000 allein in der Region an den Folgen.
Auf einer Skala von 0 bis 8 liege der aus Volumen und Eruptionshöhe berechnete Vulkanexplosivitätsindex (VEI) des Tambora bei 7, erklärt Thomas Walter vom Geoforschungszentrum Potsdam. „Ein solcher Ausbruch kommt nur alle 1000 Jahre vor.“ Der Vulkan, mit rund 4300 Metern einer der höchsten Gipfel des Archipels, fiel in sich zusammen – und misst nun noch knapp 2900 Meter.
In Baden-Württemberg regnete und schneite es über Monate
Es blieb nicht bei der regionalen Katastrophe. „In den Tropen gibt es riesige Umwälzungszonen in der Stratosphäre“, erklärt Walter. „Wenn Asche und Aerosole dort hingelangen, werden sie global verteilt.“ In Mitteleuropa und Nordostamerika zeigten sich die Folgen 1816: Das Jahr hatte gerade zum Frühling angesetzt, da kehrte der Schnee zurück. Die Kälte blieb. In Regionen wie der Schweiz und Baden-Württemberg hörte es über Monate kaum mehr auf zu regnen oder zu schneien. Auf Tauwetter folgten Hochwasser. Die Getreidepreise vervielfachten sich, Arme versuchten, ihren Hunger mit Gras zu stillen.
Die schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts nahm ihren Lauf. „Die Region war ohnehin ausgelaugt durch die Napoleonischen Kriege“, erklärt Claus-Peter Hutter, Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg. „Und dann kam der vulkanische Winter.“ Gemälde aus jener Zeit etwa von Caspar David Friedrich zeigen glühend rote Sonnenuntergänge, weil von Vulkanaerosolen nur die langwelligen, rötlichen Strahlen durchgelassen werden. Bis 1817 habe es kaum Ernten gegeben, sagt Hutter. „Die Menschen haben ihre Zugtiere geschlachtet und die Saatkartoffeln wieder ausgegraben in ihrer Not.“ Mit Gipspulver, Eichel- oder Sägemehl gestreckte Hungerbrötchen seien gebacken worden. Etliche Menschen wanderten in die USA aus.
Das Jahr ohne Sommer habe aber auch Gutes zur Folge gehabt, so Hutter. „Es gab ein Feuerwerk an Innovationen.“ Ein Glück für Württemberg sei gewesen, dass es in der Zeit von König Wilhelm I. regiert wurde: Der war mit der Zarentochter Katharina Pawlowna verheiratet, die Getreidehilfslieferungen aus Russland organisierte. Und Wilhelm I. setzte sich engagiert für Verbesserungen zugunsten aller ein. Das Paar habe zum Beispiel eine landwirtschaftliche Hochschule gegründet – aus der später die Universität Hohenheim hervorging. Um verbesserte Gerätschaften rasch großflächig einzuführen, seien die entwickelten Eggen und Pflüge als kleine Modelle in großer Auflage aus Holz und Eisen nachgebaut und an die Handwerker verteilt worden. Die Vorläufer der Sparkassen seien zu jener Zeit entstanden, bei denen Bauern fortan einen Notgroschen deponieren konnten, sowie neue Schweinerassen wie das Schwäbisch-Hällische Landschwein. „Und Wilhelm I. ließ 1818 eine Landwirtschaftsmesse ausrichten, eine Mischung aus Erntedankfest und Ausstellung an einem Tag, zu der 30.000 Menschen kamen“, sagt Hutter.
Die größte Katastrophe in der Menschheitsgeschichte war der Tambora-Ausbruch nicht: „Das war wahrscheinlich die Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra vor 76.000 Jahren“, erklärt Walter. „Er war um den Faktor 20 gewaltiger.“ Und führte zu einem genetischen Flaschenhalt, wie Forscher sagen: Nur wenige Tausend Menschen überlebten die auf den Ausbruch folgenden dunklen Kältejahre, schlossen Wissenschaftler aus Erbgutanalysen.
Der vergleichsweise kleine Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull in Island habe im März 2010 einmal mehr gezeigt, wie schnell ein Ausbruch deutliche Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft habe. „Aber: Es ist kein einziger Mensch gestorben“, sagt Volker Wulfmeyer vom Institut für Physik und Meteorologie (IPM) der Universität Hohenheim. Der wirtschaftliche Schaden sollte aus seiner Sicht bei dem Thema nicht im Vordergrund stehen. „Es geht um das Leben von Menschen.“ Für nicht zu verantworten hält er deshalb auch die Idee einzelner Wissenschaftler, künstlich herbeigeführte Vulkanausbrüche im Kampf gegen den Klimawandel einzusetzen. „Das hätte völlig unabsehbare Folgen.“ Den Energieaufwand dafür solle man besser in die Umstellung der Wirtschaft hin zu einem geringeren Kohlenstoffumsatz stecken.
Claus-Peter Hutter hält es für wichtig, dass die Menschheit aus den Erfahrungen mit Vulkanausbrüchen Lehren zieht. „Der Ausbruch des Tambora zeigt, wie Naturkatastrophen Geschichte beeinflussen können. Solche Katastrophen können wir nicht verhindern – andere schon.“ Der menschengemachte Klimawandel sei ein Beispiel, bei dem er sich frage, ob der Mensch wirklich aus der Geschichte gelernt habe.